Flüchtlinge in der EU: Renzi: "Wenn dies eure Idee von Europa ist, dann könnt Ihr sie behalten"
Es war eine hitzige Debatte bis tief in die Nacht, die zeigt, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist. Am Ende steht eine Einigung, mit der aber kaum jemand zufrieden ist.
Wortgefechte und Vorwürfe mangelnder Solidarität: Nach einer erhitzten und bis in die frühen Morgenstunden gehenden Debatte haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag auf die Verteilung von 60.000 Flüchtlingen in Europa geeinigt. Die Aufnahme durch die Mitgliedstaaten soll jedoch nur auf freiwilliger Basis und nicht über verpflichtende Quoten erfolgen. Zufrieden war am Ende kaum einer der Gipfelteilnehmer.
40.000 Flüchtlingen sollen dem Beschluss zufolge aus den stark belasteten Ländern Italien und Griechenland in den kommenden beiden Jahren auf andere EU-Staaten verteilt werden, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte. Die EU-Innenminister würden dazu bis Ende Juli die Details festlegen. Darüber hinaus sollten weitere 20.000 Flüchtlinge von außerhalb der EU Aufnahme finden - etwa aus Flüchtlingslagern rund um Syrien.
Die laut Diplomaten emotional geführte Debatte über die Flüchtlingspolitik nahm auf dem Gipfel mehrere Stunden in Anspruch. Der italienische Regierungschef Matteo Renzi warf Kollegen, die verpflichtende Aufnahmen ablehnten, einen Mangel an Solidarität vor. "Wenn dies eure Idee von Europa ist, dann könnt Ihr sie behalten", sagte Renzi italienischen Angaben zufolge. "Zeigt entweder Solidarität oder verschwendet nicht unsere Zeit."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer "sehr engagierten Diskussion" und nannte die Flüchtlingsfrage eine der "größten Herausforderungen, die ich in meiner Amtszeit bezüglich der Europäischen Union gesehen habe". Sie sehe hier "eine riesige Aufgabe auf uns zukommen".Und Europa müsse zeigen, ob es dieser Aufgabe gewachsen sei. "Da wird also noch viel Arbeit sein."
Konflikt zwischen Jean-Claude Juncker und Donald Tusk
Die EU-Kommission hatte wegen der dramatischen Lage in Italien und Griechenland Ende Mai die Verteilung auf andere Staaten über verbindliche Quoten vorgeschlagen. In den beiden Ländern kamen in diesem Jahr schon mehr als 100.000 Bootsflüchtlinge an. Die Kommissionspläne stießen jedoch von Anfang an bei Großbritannien und einer Reihe von Ländern in Osteuropa auf Ablehnung.
Beim Gipfel kam es nach Angaben aus EU-Kreisen auch zu einem Konflikt zwischen Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk. Beide hätten sich über rechtliche Aspekte der Pläne der EU-Kommission gestritten, hieß es.
Juncker sagte nach der Sitzung, angesichts der Dimension des Problems sei die Verteilung von insgesamt 60.000 Menschen "eine bescheidene Anstrengung". Dies zeige, "dass Europa nicht auf Höhe der Prinzipien ist, die es fordert". Für ihn habe die Frage, ob es um eine verpflichtende oder freiwillige Verteilung gehe, letztlich "keine große Bedeutung". Das Wesentliche sei, "dass wir eine Einigung für 60.000 Personen gefunden haben".
Er sei "ein sehr ruhiger Mensch", sagte seinerseits Renzi nach den Beratungen. Er habe in der Debatte gesagt, Europa erscheine ihm als Ort, wo nur über Finanzmittel geredet werde. "Das ist nicht das Europa, an das wir gedacht haben, als wir es 1957 in Rom gegründet haben." Die Umverteilung der 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland sei für ihn nur "ein erster Schritt".
Tusk sagte, die Flüchtlingskrise betreffe nicht nur Italien und Griechenland. "Seit Beginn des Jahres wurden ein Drittel der Asylbewerber in Ungarn registriert - das ist mehr als in Italien." Tusk forderte "eine geografisch umfassende Herangehensweise".
Neben der Verteilung wollen die EU-Länder auch die Voraussetzungen für die schnellere Abschiebung von Wirtschaftsflüchtlingen schaffen, wie Tusk sagte. Dabei soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex Hauptankunftsländer künftig stärker unterstützen und auch selbst Abschiebungen einleiten können. Zudem soll die Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern bei der Wiederaufnahme von Migranten, beim Grenzschutz und der Bekämpfung von Fluchtursachen verstärkt werden - insbesondere auch über eine stärkere Entwicklungshilfe für kooperationsbereite Länder. (dpa)