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Verhasst und geliebt. Spitzenkandidat Ebrahim Raisi, der sogenannte "Blutrichter".
© Atta Kenare / AFP

Wahlen im Iran: Reine Show

Die bevorstehenden Wahlen im Iran sind eine Farce, doch die Bevölkerung ist für Empörung längst viel zu apathisch. Ein Gastbeitrag.

Natalie Amiri ist Auslandskorrespondentin der ARD. Im Frühjahr veröffentlichte die Halbiranerin im Aufbau Verlag das Buch "Zwischen den Welten - Von Macht und Ohnmacht im Iran", das auf ihre Erfahrungen als Korrespondentin in Teheran zurückgeht.

Der Hashtag, der seit Wochen in den sozialen Medien zu lesen ist, lautet #NeinzurIslamischenRepublik. Auf Farsi, auf Englisch, in anderen Sprachen. Und: #RaibiRai, was soviel bedeutet wie: Meine Stimme bekommt ihr nicht. IranerInnen im Inland (dort ist es unter Androhung von Haftstrafe verboten, diesen Hashtag zu verwenden) und Ausland versehen ihre Tweets damit. „Das Spiel ist aus“ sagten sie schon 2019. Als Proteste der Zivilgesellschaft gegen das Regime brutal niedergeschlagen wurden, Hunderte getötet und sich von den Verhafteten noch immer Tausende in iranischen Gefängnissen befinden.

Bisher hat sich die iranische Zivilgesellschaft immer wieder überreden lassen, zur Wahl zu gehen. „Eslahtalab, Usulgara, dige tamume majerah!“ (Reformer, Konservative, das Spiel ist aus!), riefen die Studenten auf dem Gelände der Amir-Kabir-Universität in Teheran im Januar 2020, nachdem das Regime ein ukrainisches Passagierflugzeug kurz nach dem Start in Teheran abgeschossen hatte.

Die Bevölkerung hat inzwischen erkannt, dass die Politiker, die im Iran auf der politischen Bühne erscheinen, alle aus einem Topf stammen. Egal ob vermeintliche Reformer oder Konservative – Reformen wird es nicht geben. Eine Verbesserung ihres Lebensstandards auch nicht. Freiheit, darüber spricht schon lange keiner mehr. Nicht innerhalb diesen Systems.

Erschöpfung hat sich breit gemacht

Die frustrierte, enttäuschte und erschöpfte iranische Gesellschaft, die seit 42 Jahren in einem menschenverachtetenden religiösen und politischen System überlebt hat, hat vorerst einen friedlichen Weg gewählt ihren Unmut auszudrücken, sie will die Präsidentschaftswahlen boykottieren.

Die Menschen werden damit nichts bewirken, denn das politische Establishment hat auch entschieden, dass das Spiel aus ist. Es gibt genug Schergen, die die Menschen, sollten sie aufbegehren, niederknüppeln. Sie haben Waffen, die Kontrolle über die Staatsmedien, brutale Geheimdienste.

Was sie verlieren, ist etwas anderes. Ein Wort. „Jomhouri-e Eslami-e Iran“ – die islamische Republik Iran. Viele sagen, dass das Wort Republik ab nun keine Berechtigung mehr haben wird. Denn demokratische Wahlen haben keine Bedeutung mehr. Die Wahlen, mit der die Menschen zumindest die von einem ultrakonservativem Gremium im Vorfeld ausgewählten Kandidaten wählen konnten. Sie gingen jedes Mal zur Wahl, um den schlimmeren Kandidaten zu verhindern und glaubten hoffnungsvoll dem „Reformer“. Doch dieses Mal hat das religiöse Establishment die Grenze überschritten.

Sieben Kandidaten sind zur Wahl zugelassen worden, sechs davon sind ultrakonservativ. Über 500 haben sich registriert. Auch Frauen, selbst wenn sie wissen, dass sie keine Chance haben, am 12-köpfigen, aus sechs Geistlichen und sechs Juristen zusammengesetzten ultrakonservativen Wächterrat vorbeizukommen.

Beeinflusst wird das Gremium, das über die Kandidaten bestimmt, vom Revolutionsführer. Das Gremium sortiert die Kandidaten aus und lässt nur die Handvoll zu, deren Loyalität zum System sie sich sicher sind. Dieses Mal sind sie auf Nummer sicher gegangen und haben nicht einmal mehr einen „Scheinreform“- Kandidaten zugelassen. Sechs politisch farblose Männer wurden zugelassen und ein Spitzenkandidat: Ebrahim Raisi.

Der Spitzenkandidat wird auch "Blutrichter" genannt

Er wird auch „Blutrichter“ genannt, wegen seiner Mitgliedschaft in dem „Vierer-Komitee“, mitverantwortlich für Massenhinrichtungen von Tausenden politischen Gefangenen im Sommer 1988. Raisi, so wird gesagt, ist auch der Favorit des mächtigen Geheimdienstes der Revolutionsgarde. Wem soll die Zivilbevölkerung, die sich nach Reformen sehnt, also ihre Stimmen geben?

Wenn es nicht so traurig wäre, dann könnte man sich über kreative Überschriften im Ausland freuen: „Stell Dir vor es sind Wahlen und keiner geht hin“, oder „Die Wahl der Qual“. Quälend impliziert jedoch, dass man die Qual fühlt. Doch die Bevölkerung reagiert schon fast apathisch.

Ich habe mit vielen gesprochen, doch einen Tag vor der Wahl erklärte mir eine Bekannte aus Teheran ausdrücklich : Sie kenne keinen, der zur Wahl geht, nicht einmal ihre Nachbarin, und die sei religiös. Sie sagte das mit einer Stimme, die verriet, dass sie sich schon lange dazu entschlossen hatte, Es war offenbar kein Thema, das sie aktuell bewegte.

In diesen Tagen bewegte sie eher, wie sie einen Job findet, ob sie nach einem Jahr endlich mal wieder Fleisch essen kann, oder ob es in den nächsten Stunden Strom geben wird, damit sie das Beatmungsgerät, das ihre Mutter nach einer schweren Covid-Erkrankung benötigt, betreiben kann.

In der Islamischen Republik Iran hat schon seit Längerem eine Transformation der Gesellschaft stattgefunden. Ziviler Ungehorsam, Mangel an Solidarität zum System, das Regime ist so unbeliebt wie noch nie. Als die Zivilgesellschaft 2009 zu Hunderttausenden auf der Straße war und gegen Wahlbetrug protestierte. Damals lag die Wahlbeteiligung bei 84,8 Prozent. Damals gab es noch Hoffnung auf Reformen. Heute rufen die Mütter der bei den Protesten 2019 getöteten Söhne und Töchter über die sozialen Medien zum Boykott der Wahl auf.

Staatsbedienstete müssen wählen gehen

Den Müttern sind die Hände gebunden, sie bekommen keine Gerechtigkeit. Das einzige was ihnen als Waffe bleibt, ist das Nichtwählen. Sie wollen dem politischen System signalisieren, dass sie kein Verlangen mehr haben, sich am politischen System zu beteiligen. Es ist eine Wahl, die für sie getroffen wird, vom Revolutionsführer. Sie sagen: Unsere Stimme wird doch überhaupt nicht gezählt. Es ist nur Show, in der wir wie Schafe zu den Wahlurnen gehen sollen.

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Laut Umfragen iranischer Institute werden um die 40 Prozent der 59 Millionen Wahlberechtigten im Land zur Wahl gehen. Davon sind zahlreiche gezwungen, denn sie sind Staatsbedienstete und müssen ihren Wahlstempel vorweisen. Der Revolutionsführer hat im Staatsfernsehen aufgerufen, am Freitag zahlreich zur Wahl zu erscheinen, die Wahlen im Iran seien frei und kompetitiv. Ein Iraner schrieb dazu auf Twitter: „Entweder ist er wirklich weltfremd oder richtig dreist.“

Die Präsidentschaftswahlen 2021 werden wohl eine historisch geringe Wahlbeteiligung hervorbringen. Es ist ein Referendum der mündigen iranischen BürgerInnen zum politischen System der Islamischen Republik. Das Ergebnis wird der iranischen Bevölkerung weder Freiheit, noch Gerechtigkeit bringen. Doch vielleicht etwas Genugtuung. Für einen Moment, dann wird sie die Angst erfassen, vor der Zeit, in der der vielleicht nächste Präsident mit dem Titel „Blutrichter“ das Sagen übernehmen wird.

Natalie Amiri

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