Europäische Union: Reifeprüfung für den Balkan
In der Unionsfraktion wird kontrovers diskutiert, ob EU-Beitrittsgespräche mit Albanien beginnen sollen.
Ab März kommenden Jahres wird die EU kleiner, weil Großbritannien aus der Gemeinschaft austritt. Wenn es nach dem Willen der EU-Kommission geht, soll die Europäische Union allerdings mittelfristig wieder wachsen. In dieser Woche empfahl die Brüsseler Behörde die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Mazedonien. Ein baldiger Start von Verhandlungen ist aber nicht garantiert, wie die Diskussion im Bundestag zeigt.
Das Parlament muss im Rahmen des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung in EU-Angelegenheiten Stellung zu einer möglichen Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Mazedonien nehmen. Dabei wird angestrebt, Albanien und Mazedonien in zwei getrennten Beschlüssen zu behandeln. Vor allem unter den Fachpolitikern in der Union wird derzeit intensiv diskutiert, ob die Zeit für Beitrittsgespräche insbesondere mit Albanien reif ist. Während von Mazedonien vor einem Beginn von EU-Verhandlungen in erster Linie eine Lösung des jahrzehntelangen Namensstreits mit Griechenland erwartet wird, gibt es im Fall Albaniens nach Angaben aus der Unionsfraktion eine längere Liste von Bedenken. Vor allem die weit verbreitete Korruption in dem Westbalkan-Land gilt als ein Hindernis für den Beginn von Beitrittsgesprächen.
Arbeitsgruppe berät am kommenden Dienstag
Am kommenden Dienstag wollen sich Außen-, Verteidigungs- und Europapolitiker einer Arbeitsgruppe der Unionsfraktion zum westlichen Balkan mit den Beitrittschancen Albaniens befassen. Nach der Ansicht des europapolitischen Sprechers der Union, Florian Hahn (CSU), kann sich jedes europäische Land, das die europäischen Grundwerte achtet, um den EU-Beitritt bewerben. „Wir werden eingehend prüfen, ob Albanien die erforderlichen Kriterien für die Aufnahme von Verhandlungen eingehalten hat“, sagte Hahn dem Tagesspiegel. „Einen politischen Rabatt wird es dabei nicht geben“, fügte der CSU-Politiker hinzu. Hahn betonte, dass es momentan um die Aufnahme von Beitrittsvererhandlungen gehe und nicht um einen „noch in weiter Ferne“ liegenden Beitritt.
CDU-Politiker Krichbaum: Die Zeit ist noch nicht reif
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum (CDU), hält unterdessen eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht. „In erster Linie stellen Korruption und ein hohes Maß an Organisierter Kriminalität ein Problem dar“, sagte er zur Begründung. Krichbaums kritische Haltung zur EU-Reife Tiranas hat den CDU-Politiker inzwischen auch zur Zielscheibe von albanischen Medien werden lassen, die dem Ministerpräsidenten Edi Rama nahestehen. Dabei wurde Krichbaum unter anderem unterstellt, im Interesse des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu handeln.
Auf EU-Ebene wird sich zunächst ein EU-Gipfel am 17. Mai in Sofia mit den Beitrittsperspektiven der Westbalkan-Länder befassen. Auch beim EU-Gipfel Ende Juni dürften die Beitrittskandidaten Mazedonien und Albanien auf der Agenda stehen.
Chancen auf einen EU-Beitritt können sich auch Montenegro und Serbien ausrechnen. Mit diesen beiden Ländern führt Brüssel bereits Beitrittsgespräche. Für Montenegro und Serbien kann sich die EU-Kommission einen Beitritt im Jahr 2025 vorstellen. Der Fortschrittsbericht der Brüsseler Behörde bescheinigte Serbien unter anderem Verbesserungen beim Kampf gegen die Korruption, insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Sorgen bereitet der Kommission allerdings die mangelnde Meinungsfreiheit in dem Balkanstaat. Auch das Verhältnis zwischen Belgrad und dem Kosovo müsse normalisiert werden, lautete eine Forderung in dem Bericht.
Experten zweifeln am Zieldatum 2025
Viele Experten bezweifeln allerdings angesichts der Reformdefizite in Montenegro und Serbien, dass ein Beitritt 2025 machbar ist. Die Befürworter einer neuen Erweiterungsrunde sind hingegen der Ansicht, dass die Europäische Union sämtlichen sechs Ländern des westlichen Balkans – also auch Bosnien-Herzegowina und Kosovo – angesichts des wachsenden Einflusses Russlands, Chinas und der Türkei in der Region langfristig eine Perspektive bieten müsse.
Das Argument verfängt allerdings in vielen Mitgliedstaaten nicht - und dort fällt am Ende auch die Entscheidung, ob die Empfehlungen der Kommission umgesetzt werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bereits eine rote Linie gezogen: In seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg erklärte er am vergangenen Dienstag, er werde erst dann eine neue EU-Erweiterungsrunde unterstützen, wenn es zu einer „Vertiefung und Verbesserung“ der Gemeinschaft komme. Nach seinen Worten könne eine Gemeinschaft, die mit 28 und demnächst 27 Mitgliedern schon sehr schwerfällig agiert, mit 30 oder 32 Mitgliedstaaten erst recht nicht funktionieren. Das passt zu Macrons Überlegung, einen „harten Kern“ innerhalb der EU zu schaffen, um den sich weitere europäische Staaten herumgruppieren. Macron hat damit die Idee eines „Kerneuropa“ wiederbelebt, die bereits 1994 von den CDU-Politikern Wolfgang Schäuble und Karl Lamers ins Spiel gebracht worden war.