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Deutsche Sicherheitspolitik muss mutiger werden - und europäischer. Hier die deutsch-französische Brigade beim 20. Jubiläum im Frühjahr.
© picture-alliance/ dpa

Sicherheitspolitik darf kein Nischenthema bleiben: Regierung und Parlament müssen für Rückhalt in der Gesellschaft werben

Eine bessere Koordination zwischen den Ministerien und mehr Befugnisse für das Europaparlament können Deutschlands Beitrag robuster machen. Ein Gastkommentar.

Ekkehard Brose ist seit Oktober 2019 Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und war von 2014-2016 Deutscher Botschafter im Irak. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder. Fragen an die Deutsche Sicherheitspolitik werden auch Gegenstand des diesjährigen Deutschen Forum Sicherheitspolitik am 7. Oktober sein (www.baks.bund.de) 

Sage keiner, es gebe sie nicht, die Glanzpunkte der sicherheitspolitischen Debatte in Deutschland. Außenminister Hans-Dietrich Genschers Forderung, man solle Michail Gorbatschow beim Wort nehmen. Joschka Fischers Rede an seine Grünen zur politischen Rechtfertigung des Kosovo-Einsatzes und natürlich sein berühmtes „I am not convinced“ zu den amerikanischen Invasionsplänen in Irak.

Oder vor sechs Jahren das „Signal von München“: Die vielstimmige Aufforderung von Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Deutschland solle nicht an der Seitenlinie verharren, sondern sich „früher, entschiedener und substantieller“ einbringen. 

Und heute? Sicherheitspolitik führt in Deutschland noch immer ein Nischendasein. Es fehlt die gesellschaftliche Unbefangenheit des Umgangs mit den eigenen Interessen, mit der eigenen Sicherheitsvorsorge, den Streitkräften, auch der Rüstungsindustrie. Regierung und Bundestag beschäftigen sich eher widerwillig mit diesen sperrigen Gegenständen, militärischen Fragestellungen allemal. 

Die Rücksichtnahme auf deutsche Befindlichkeiten ist vorbei

Unsere Partner hat das so manches Mal verwundert. Nun ist US-Präsident Donald Trump zum Verkünder einer neuen Wahrheit geworden: Keine Rücksichtnahme mehr auf deutsche Be- und Empfindlichkeiten. Auch Deutschland soll sich gefälligst um die harte Sicherheit kümmern.

Derweil wird die Liste transatlantischer Streitfragen länger. Die USA wollen die Bürde der Führungsmacht nicht wie bisher tragen. Russland und China fordern uns mit neuer Vehemenz an vielen Fronten heraus. Krisenbaustellen auch in der südlichen Nachbarschaft Europas: Das Mittelmeer, Libyen, Sahel, Somalia, Syrien, der Irak. 

Der Brexit bedeutet die weitere Schwächung der bereits jetzt unzureichenden militärischen Fähigkeiten der EU. Zentrale Stützen multilateraler Ordnungspolitik - die Vereinten Nationen, internationales Recht, die Rüstungskontrolle, der freie Welthandel - schwächeln im Gegenwind von „America First“ und einer schleichenden Renationalisierung von Außenpolitik. Wir ahnen, selbst ein Wahlsieg Joe Bidens wird diesen bösen Film nicht einfach zurückdrehen; zu viele Autoren haben an seinem Skript geschrieben. 

Der Zivilgesellschaft muss Realpolitik besser vermittelt werden

Deutschland ist es bisher gelungen, seine Außenpolitik mit Augenmaß und Fortune auf die Bedingungen permanenter Krisendiplomatie auszurichten. Ein umsichtiger Umgang mit der Corona-Gefahr geht einher mit einer Politik, die das Allgemeinwohl nicht aus dem Auge verliert. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen in der Welt gerade von uns, von Deutschland, Antworten auf die großen Fragen erhoffen. Die deutsche Öffentlichkeit nimmt die gestiegenen Erwartungen wohl wahr, sucht aber ihrerseits nach Orientierung.

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Das „garstig Lied“ der Realpolitik hört unsere Zivilgesellschaft nicht gern. Und es stimmt ja, für die komplexen Krisen der Gegenwart gibt es keine militärische Lösung. Aber ebenso richtig ist, Diplomatie ohne die glaubhafte Drohung harter Macht ist allzu oft machtlos. Diese Zusammenhänge überzeugend zu vertreten und Sicherheitspolitik in einem umfassenden Sinne gesellschaftlich plausibel zu machen, ist nicht leicht.

Heute, in einer herausfordernden Zeit mit vielen Risiken, ist es notwendiger denn je. Eine geschlossen auftretende Regierung und ein aktiver Beitrag des Bundestages werden entscheidend dafür sein, ob das in den kommenden Jahren gelingt. 

Die Bundesregierung spielt derzeit eine zentrale Rolle in Gesprächen, mögliche Fortschritte in der Libyen-Krise auszuloten. Bei den verstärkten Verteidigungsanstrengungen der Nato in den Baltischen Staaten und Polen leistet Deutschland als einzige kontinentaleuropäische Rahmennation mit 500 Soldaten in Litauen seinen Beitrag. Die Stabilisierungspolitik der Koalition in Irak trägt von Beginn an eine deutsch-irakische Handschrift.

Hier gibt es Beispiele partnerschaftlicher Führung, an die anzuknüpfen lohnt. Welche konkreten Ideen und Erfahrungen können darüber hinaus helfen, das Thema Sicherheit aus seiner Nische zu holen?  

Es gibt zu viele Reibungsverluste zwischen den Ministerien

Gerade in der Sicherheitspolitik gibt es zu viele Reibungsverluste zwischen den Ministerien. Die nächste Bundesregierung sollte die frühe und enge Abstimmung auf Minister-Ebene deshalb in einem Koalitionsvertrag festschreiben. Eine ganzheitliche Sicherheitspolitik und ihre Vermittlung in die Gesellschaft hinein gelingt Außen-, Verteidigungs-, und Entwicklungsministerium allemal besser, wenn ihre Chefs für alle sichtbar an einem Strang ziehen.

Auch im Bundestag sollte dieser Ansatz gespiegelt werden. Warum tagen die Ausschüsse für Auswärtige Beziehungen, Verteidigung, Europa und wirtschaftliche Zusammenarbeit niemals gemeinsam? Die kritische Öffentlichkeit will von den Beweggründen, Risiken und Zielen unserer Sicherheitspolitik überzeugt werden. Deshalb brauchen wir dringend das Instrument einer sicherheitspolitischen Parlamentsdebatte - jetzt! 

Der Bundestag muss Kontrollbefugnisse an das Europaparlament abgeben

Entschlossenheit geht in der Sicherheitspolitik manchmal vor Geschlossenheit. Deutschland sollte mit Frankreich und anderen Partnern von Fall zu Fall die Bildung einer „Koalition der Entschlossenen“ angehen. Wir können uns auf Dauer nicht hinter allerlei klugen Bedenken verstecken. Wenn in wichtigen Fragen, wie zuletzt bei der Verhängung von Sanktionen gegen Belarus, eine Blockade droht, brauchen wir - als zweitbeste Lösung - ein handlungsfähiges Kerneuropa. Auch der Bundestag hat europapolitisch Spielraum nach oben. Dringend notwendige Fortschritte bei der Schaffung europäischer Hochwert-Fähigkeiten, etwa Sanitätseinheiten oder Transportflugzeuge und -Hubschrauber, sind möglich. Sie setzen allerdings die Bereitschaft voraus, parlamentarische Kontrollbefugnisse für diese Kräfte vom Bundestag ins Europaparlament abzugeben. Daran mangelt es. 

Europas Zukunft verlangt nach einer politischen Rückbesinnung. Europa, das sind zuallererst seine Mitgliedstaaten, seine Menschen. Nur ein Deutschland, das entschlossen ist zu vorbehaltlosem Engagement und partnerschaftlicher Führung, wird Europa ausreichend stärken können, um Handlungsfreiheit im rauer gewordenen Wettstreit der Mächte zu bewahren. Für Deutschland gibt es keine sicherheitspolitische Nische mehr. Nirgends. 

Ekkehard Brose

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