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Eine Hebamme untersucht in einer Praxis eine schwangere Mutter.
© dpa

Debatte um Hebammen: Regierung kennt Zahl der Betroffenen nicht

Gesundheitsminister Gröhe hat zwar versprochen, den freiberuflichen Hebammen zu helfen. Allerdings kennt sein Ministerium weder die genaue Zahl der Betroffen noch ihre Einkommenssituation.

In der Debatte um die Hebammenversorgung in Deutschland fehlt es der Regierung vielfach an verlässlichem Zahlenmaterial. Das ist der Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zu entnehmen, die dem Tagesspiegel vorliegt. So hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zwar versprochen, den freiberuflich tätigen Hebammen in der Geburtshilfe, die unter der Last steigender Haftpflichtprämien stöhnen, „zeitnah“ zu helfen. Allerdings kennt sein Ministerium weder die genaue Zahl der Betroffenen noch deren Einkommenssituation.

„Eine umfassende, differenzierte Statistik zu allen in Deutschland tätigen Hebammen nach Erwerbsstatus gibt es nicht“, schrieb die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach (CDU) den Fragestellern. So werde weder erfasst, welche Tätigkeiten Hebammen freiberuflich ausübten, noch wie viele außerhalb der Kliniken Geburtshilfe leisteten. Man könne ihre Zahl nur schätzen, es seien wohl zwischen 2200 und 3800. Auf die Frage, ob es angestrebt sei, die Zahl dieser Hebammen zu erhöhen, äußerte sie sich ausweichend. Ziel sei es, dass es „ausreichend Hebammen und Entbindungspfleger“ gebe, um die gesetzlich verankerte Wahlfreiheit der Versicherten zu gewährleisten.

Neun Kilometer zum Klinikum

Ländliche Regionen seien nicht unterversorgt, versicherte Fischbach. Gleichzeitig gestand sie regionale Unterschiede in der Erreichbarkeit des nächsten Krankenhauses mit Geburtshilfeabteilung ein. In Städten betrage die durchschnittliche Entfernung zwei Kilometer, auf dem Land mehr als neun – mit Ausnahme eines Kreises, jedoch nirgendwo über 20 Kilometer.

Keine Kenntnis besitzt die Regierung auch darüber, wie viele Geburtshäuser und Hebammenpraxen in den vergangenen Jahren geschlossen oder neu eröffnet wurden. Nur für die Kliniken gibt es Zahlen. Dort machten zwischen 2003 und 2012 insgesamt 159 Geburtshilfestationen dicht.

Einkommenentwicklung? Keine Ahnung

Und zur Entwicklung des Einkommens freiberuflicher Hebammen seit 2010 lägen ebenfalls keine Daten vor, räumte die Staatssekretärin ein. Das einzige, was sie den Fragestellern diesbezüglich liefern konnte, waren die Gesamtausgaben der Krankenkassen für Hebammenleistungen. Laut Fischbach stiegen sie zwischen 2010 und 2012 von 431,1 auf 462,7 Millionen Euro – und 2013 nochmals um 12,4 Prozent. Gleichzeitig gab sich die CDU-Politikerin überzeugt, dass die gesetzliche Regelung, wonach die Kostensteigerungen durch steigende Haftpflichtprämien bei den Vergütungsverhandlungen für die Hebammen zu beachten seien, "ihre Wirkung entfaltet".

Ob Migrantinnen oder Bewohnerinnen benachteiligter Stadtteile häufiger oder seltener Hebammenhilfe in Anspruch nehmen? Das Gesundheitsministerium weiß es nicht. Dasselbe gilt für den Zusammenhang von sozialem Status und der Häufigkeit von Kaiserschnitten. Bekannt ist nur, dass die Kaiserschnitt-Rate in Deutschlandbeständig beständig steigt. Zwischen 2003 und 2012 erhöhte sie sich von 25,5 auf 31,9 Prozent. – und zwar ganz unterschiedlich je nach Bundesland. Im Saarland ist sie mit 37,2 Prozent am höchsten, Sachsen kommt nur auf 23,7 Prozent. In Berlin beträgt die Kaiserschnitt-Rate 27,7 Prozent, in Brandenburg 26,1 Prozent. Gründe für die Differenzen sind dem Ministerium nicht bekannt. Frankreich hat übrigens eine Kaiserschnitt-Rate von 20,2 Prozent. Italien dagegen kommt auf 37,7 Prozent.

Zwölf Großschäden pro Jahr

Sogar beim Hauptproblem der Hebammen, das zu lösen sie angekündigt hat, tappt die Regierung statistisch im Dunklen. Als Grund für steigende Haftpflichtprämien nannte Fischbach zwar zunehmende Schadensersatzsummen, zu deren genauer Entwicklung und Höhe aber lieferte sie nur die vagen Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. Demnach stieg der mittlere Aufwand für Großschäden bei Geburten seit 2003 pro Jahr um 6,6 Prozent – auf zuletzt 2,6 Millionen Euro. 90 Prozent entfielen auf Schäden von über 100 000, 47 Prozent auf Schäden von über eine Million Euro. Die Zahl der Personenschäden liege jährlich bei etwa 100, die der Großschäden von über 100 000 Euro bei zwölf.

Bei der Prämienkalkulation seien die Versicherer „grundsätzlich frei“ und unterlägen „keinem Genehmigungserfordernis“, schrieb die Staatssekretärin. Eine Überprüfung für den Bereich der Geburtshilfe mache nur Sinn, wenn hier „mit ungerechtfertigt überhöhten Prämien zu rechnen wäre“. Dafür gebe es „keinerlei Anhaltspunkte“. Es sei falsch gewesen, die Versorgungssicherheit dem Markt zu überlassen, meint dagegen die Linken-Abgeordnete Birgit Wöllert. „Wir brauchen einen heilberufsübergreifenden Haftungsfonds.“

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