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Schnell und gründlich: Polens starker Mann hinter den Kulissen, Jaroslaw Kaczynski.
© Kacper Pempel/REUTERS
Update

Nach dem Machtwechsel: Regierung in Polen entmachtet Verfassungsgericht

Trotz aller Proteste stimmt Polens Unterhaus der Neuordnung des Verfassungsgerichts zu. Die Regierung unterwirft sich damit die Verfassungshüter.

Zwei Tage lang rangen Regierungspartei und marginalisierte Opposition in Polen in einer Sondersitzung des Sejm um die Zukunft des Verfassungsgerichtes. Am späten Dienstagabend stimmte das polnische Unterhaus schließlich einer umstrittenen Neuordnung des obersten Gerichts zu. Wie Regierungschef Viktor Orban in Ungarn will sich auch Polens starker Mann, Jaroslaw Kaczynski, nach dem Erdrutschsieg seiner Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die oberste Hüterin der bisher demokratischen Verfassung des Landes unterwerfen.

Dazu hatte die PiS bereits eine Woche nach der Regierungsübernahme durch die von Kaczynski vorgeschobene Regierungschefin Beata Szydlo eine Reihe umstrittener Gesetzesnovellen eingereicht. Demonstrationen dagegen halfen genauso wenig wie Proteste von Rechtsgelehrten und dem Helsinki-Komitee für Menschenrechte: In der zweiten Lesung vom Montag verschärfte die PiS-Parlamentsmehrheit ihr neues Verfassungsgesetz nur noch zusätzlich.

Willfährige Vollstrecker der Regierungsmacht

So soll das neue Gesetz sofort in Kraft treten und nicht wie bisher einen Monat lang ruhen, um es noch einmal auf die Verfassungsmäßigkeit prüfen zu können. Damit will Polens neue Rechtsregierung offensichtlich verhindern, dass sich das alte Verfassungsgericht noch über das neue Gesetz äußern kann.

Kaczynkis PiS hat dazu jeden Grund. Denn Polens oberste Verfassungshüter sollen nicht mehr unabhängig sein, sondern zu willfährigen Vollstreckern der Regierungsmacht verkommen – so sieht es die Opposition, allen voran die Ende Oktober als Regierungspartei abgewählte rechtsliberale Bürgerplattform (PO). So soll das nötige Quorum derart erhöht werden, dass nur noch selten genügend Verfassungsrichter zusammenkommen dürften – von bisher fünf auf künftig 13 von 15 Richtern. Auch könnten diese das Urteil nicht mehr durch einfache Mehrheit fällen, sondern bräuchten dazu eine Zweidrittelmehrheit.

Die Anrufungen werden überdies nicht mehr wie bisher nach Wichtigkeit, sondern strikt nach Klageeingang behandelt. Dies führt laut Experten dazu, dass aktuell wegen Verfassungszweifeln eingereichte Gesetze der neuen PiS-Regierung jahrelang auf ihre Prüfung warten müssten. Käme es dennoch dazu, so will sich die PiS durch eine Reihe weiterer Regeln die parteipolitische Gefolgschaft der Verfassungsrichter sichern. So können unbotmäßige Verfassungsrichter neuerdings auf Antrag der Parlamentsmehrheit, des Justizministeriums oder des Staatspräsidenten abgesetzt werden – und bis mindestens zu den 2019 fälligen Wahlen sind alle drei Gremien fest in PiS-Hand.

Die Abstimmung am Dienstag galt eigentlich dank der klaren PiS-Mehrheit, die erstmals seit der Wende von 1989 auf keine Koalition angewiesen ist, nur noch als Formsache. Allerdings versuchte die Opposition, die Abstimmung durch zahlreiche Wortmeldungen zu torpedieren und so auf die erste Sitzung 2016 zu verschieben. Neue Bürgerproteste, so das Kalkül, könnten Kaczynski umdenken lassen. Nach einer stürmischen Debatte stimmten dann aber 235 Sejm-Abgeordnete für das Gesetz, dagegen waren 181.

Vorgängerregierungen waren nicht so schnell und gründlich wie PiS

So arrogant das Verhalten der PiS wirken mag: Sie verhält sich wie jede polnische Wahlsiegerin zuvor. Nur ist die strikt hierarchisch organisierte PiS dabei gründlicher und schneller. In Polen ist die politische Kompromisskultur noch schwach. Stattdessen gilt das Prinzip „the winner takes all“. So hat die PiS in den ersten 40 Regierungstagen bereits die wichtigsten Spitzenbeamten, darunter sämtliche Geheimdienstchefs, und die Hälfte der Direktoren von Staatsfirmen ausgewechselt. Ebenfalls noch vor Weihnachten soll das bisher unpolitische Fachbeamtenkorps neuen parteipolitisch orientierten Gesetzen unterworfen werden. Rund 1600 Führungspositionen sollen so mit loyal ergebenen PiS-Parteisoldaten neu besetzt werden.

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