Generaldebatte im Bundestag: „Regieren ist keine Paartherapie!“
Chaos, Schauerspiel, Schaden für die Demokratie: Nach dem Asylkompromiss kritisiert die Opposition in der Generaldebatte im Bundestag die Union - und hat dabei leichtes Spiel.
Volker Kauder findet, das muss jetzt mal gesagt werden „Auch in dieser Zeit ist das Land regiert worden!“ ruft der Chef der Unionsfraktion vom Rednerpult in den Bundestag hinein. Die Union beeilt sich mit dem Klatschen, schon damit man das Kichern der anderen nicht hört. Jeder weiß schließlich, dass es in „dieser Zeit“, also bis vorgestern keineswegs sicher erschien, dass diese Debatte überhaupt noch stattfinden würde. Aber in der Regierungsbank sitzt Angela Merkel auf dem Kanzlerinnensessel und Horst Seehofer zwei Plätze weiter auf seinem Ministerstuhl, wie es sich gehört für die alljährliche Generaldebatte. Augenscheinlich wird also weiter regiert.
Seehofer ist früh gekommen. Der Minister für Inneres, Bauen und Heimat war in den ersten hundert Tagen ein seltener Gast im Plenarsaal. An diesem Mittwoch ist er aber 69 Jahre alt geworden. Ursula von der Leyen gratuliert, Kauder muss sich in einer kleinen Schlange hinter Abgeordnetenkollegen anstellen, Merkel drückt ihm die Hand. Für sie steht der Jubilar sogar extra auf. Alles hat eben seine Zeit – Beschimpfungen in „dieser Zeit“, Umgangsformen danach. Merkels Händedruck fällt aber recht kurz aus.
Wolfgang Schäuble eröffnet die Sitzung. Auf Glückwünsche des Präsidenten im Namen des ganzen Hauses muss Seehofer aber noch ein Jahr bis zur runden 70 warten. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch wird ihm später prophezeien, dass er dann nicht mehr im Amt ist. Seehofer schaut auf. In seinem Blick ist ein „Red’ du nur!“ zu lesen.
Das tut Bartsch mit Vergnügen. Die Opposition hat es diesmal ja auch wirklich einfach. Alice Weidel bekommt als Chefin der größten Oppositionsfraktion traditionell das erste Wort in der Haushaltsdebatte. Es lautet „surreal“, gefolgt von „zerstritten“, „innerlich zerfallen“ und „mit sich selbst und dem eigenen Überleben beschäftigt“. Weidel biegt zwar schnell wieder auf die AfD-Erzählung vom vorgeblich immer noch missachteten „geltenden Recht“ ab. Aber dass man sich zeitweise wie in einem „Narrenhaus“ fühlen konnte, ist nur schwer zu bestreiten.
Auch die anderen reizt der beispiellose Krieg der Unionsschwestern zu Spott und bitteren Ermahnungen. Der Grüne Toni Hofreiter erfindet ein neues Polittheatergenre, das „Schauerspiel“, und ruft Merkel und Seehofer zur Ordnung: „Regieren ist ja keine Paartherapie!“ Der FDP-Chef zeigt Anflüge von Selbstironie. „Wir haben mal gesagt: Besser nicht regieren als falsch“, spottet Christian Lindner. „Wir haben uns nicht vorgestellt, dass beides gleichzeitig möglich ist.“
Debatten müssen auch geführt werden, sagt Merkel
Und Bartsch weiß jetzt auch, wofür das C im Namen beider Parteien steht: „Chaos“. Aber bei aller Häme, sagt der Linke, dahinter stecke tiefer Ernst: Wenn sich Regierungsparteien derart aufführten, fördere das Verdrossenheit, schade der Demokratie und damit am Ende allen hier unter der Reichstagskuppel.
Merkel hat sich eine knappe und eine ausführliche Erwiderung zurecht gelegt. Die knappe lautet: Debatten müssen halt auch mal geführt werden. Die ausführliche heißt: Das gilt erst recht für Richtungsdebatten. „Es geht um die Zukunft Europas“, sagt die Kanzlerin und hebt – Stichwort Multilateralismus – die Bedeutung der Zusammenarbeit in einer komplexen Welt hervor. Klar seien die Interessen in Europa unterschiedlich, gerade auch bei der Frage der Migration; aber entscheidend für den Bestand der Gemeinschaft sei, dass man dafür gemeinsame Lösungen finde.
„Eigentlich trivial, eigentlich selbstverständlich“, sagt Merkel. Der Herr Innenminister lässt nicht erkennen, dass er womöglich gemeint sein könnte. Später nickt er nur knapp, als die Regierungschefin seinen Auftrag wiederholt, mit EU-Ländern jetzt Rückübernahmeabkommen zu verhandeln. Schließlich tut Merkel ihm ja sogar den Gefallen, einen ausgesprochen CSU-kompatiblen Satz zu sagen: „Es muss mehr Ordnung in alle Arten von Migration kommen, damit Menschen den Eindruck haben, Recht und Ordnung werden durchgesetzt.“
Der Applaus der Union bleibt trotzdem verhalten. Die SPD spart ihn sich gleich ganz auf für die eigene Chefin. Andrea Nahles hat sich vergiftete Solidaritätsadressen von Lindner anhören müssen. Die Unionseinigung gehe zu Lasten des Koalitionspartners, befand der Freidemokrat: „Das ist kein fairer Umgang mit der SPD!“ Nahles lässt sich darauf aber gar nicht ein. Die SPD bleibe bei ihren Prinzipien: keine nationalen Alleingänge, keine geschlossenen Lager. Und im Übrigen erwarte ihre Fraktion, „dass es jetzt hier vorangeht“. Die Sozialdemokraten arbeiten und regieren, während die anderen rumtönen und sich zoffen, heißt ihre Botschaft: „Wir brauchen keine ’Masterpläne’, wir brauchen gutes Handwerk!“ Die SPD klatscht ent- und geschlossen.
Seehofer hat kein Mandat und ist als Minister erst an der Reihe, wenn sein eigener Haushalt diskutiert wird. Also redet der Landesgruppenchef für ihn. Merkel legt ihr Handy vorsorglich zur Seite, aber Alexander Dobrindt spricht sie gar nicht an. Er prügelt lieber auf die Grünen ein: „Ihre Jeder-darf-nach-Deutschland-kommen-Ideologie ist die Gefahr für Recht und Ordnung!“ Der Beifall fällt vom Pult gesehen nach rechts hin breit aus: Bei der CSU klatschen etliche, bei der FDP einige – bei der AfD fast alle.
Robert Birnbaum