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Mesale Tolu sitzt zusammen mit ihrem kleinen Sohn Serkan in Untersuchungshaft.
© picture alliance / Stefan Puchne

Türkisch-deutsche Beziehungen: Reden ist Gold

Konfrontation führt bei Erdogan zu weiterer Eskalation. Der Westen muss das Gespräch suchen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Auch nach der Bundestagswahl erholt sich das türkisch-deutsche Verhältnis nicht. Denn obwohl die türkische Regierung ihre Bereitschaft zur Normalisierung der Beziehungen signalisiert, bleibt eine grundsätzliche Tatsache unverändert: Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Leute sehen sich von Feinden umringt und reagieren entsprechend. Für Bundesbürger in türkischer Haft wie den Menschenrechtler Peter Steudtner oder die Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu bedeutet das nichts Gutes.

Mit den USA liegt die türkische Führung inzwischen ebenfalls im Streit: Die Vergabe von Besuchsvisa zwischen beiden Ländern ist gestoppt, die türkische Justiz hat zwei US-Konsulatsmitarbeiter festgenommen. Die türkische Lira ging wegen des Krachs auf Talfahrt.

Hinter der Krise stecken grundverschiedene Ansichten über die Ereignisse in der Türkei seit dem Putschversuch im vergangenen Jahr. In Ankara herrscht der Verdacht, der Westen sympathisiere mit Erdogan-Gegnern oder unterstütze diese sogar aktiv, um die Türkei zu schwächen. Die Erdogan-Regierung sieht es als erwiesen an, dass einige der Putschführer und andere Verschwörer von Europa und den USA beschützt werden. Aus der Sicht westlicher Staaten gibt es dagegen keine gerichtlich verwertbaren Vorwürfe gegen diese Beschuldigten. Die Türkei redet über mangelnde Solidarität – der Westen redet über fehlende Beweise.

Deshalb endeten bisher alle Bemühungen um eine Lösung der Krise in einer Sackgasse. Erdogan vermutet politische Gründe hinter der Weigerung des Westens, türkische Regierungsgegner auszuliefern. Das ist einer der Gründe für sein – für Europa und die USA völlig inakzeptables – Angebot eines Austausches westlicher Gefangener gegen türkische Regierungsgegner.

Eine Aussicht auf baldige Besserung gibt es nicht. Der an diesem Mittwoch beginnende Strafprozess gegen Mesale Tolu und das ebenfalls anstehende Verfahren gegen Peter Steudtner könnten die Krise sogar noch weiter verschärfen. Und sollte in Berlin eine Jamaika-Koalition mit einem Außenminister Cem Özdemir zustande kommen, wird sich die deutsche Haltung gegenüber Erdogans Regierung eher weiter verhärten als entspannen.

Wirtschaftliche Strafmaßnahmen, wie etwa die Einschränkung der deutschen Hermes-Bürgschaften für Geschäfte in der Türkei, werden die Erdogan-Regierung nicht unbedingt zum Einlenken veranlassen: Die Führung in Ankara wird die Schuld für mögliche negative Folgen auf die angeblich bösen Ausländer abwälzen. Erdogan ist ein Meister dieser Taktik. Konfrontation führt bei ihm nur zu weiterer Eskalation.

Europäer und Amerikaner sollten sich deshalb auf das klassische Instrumentarium der Diplomatie besinnen. Beharrliche Gespräche mit der türkischen Regierung abseits des Scheinwerferlichts könnten etwas bewegen. Das geht nicht über Nacht. Doch wenn abseits der Kameras und der öffentlichen Aufregung sachlich miteinander geredet wird, könnte das der Auseinandersetzung vielleicht etwas von der Schärfe nehmen, die westliche Häftlinge in der Türkei zu Spielbällen der Politik haben werden lassen.

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