Kleine Parteien, große Wirkung: Rechtspopulisten dominieren politische Diskurse auf Social-Media-Plattformen
Auf Twitter, Facebook und Co.: Keine Partei wird häufiger erwähnt als die AfD. In anderen Ländern ist das Bild ähnlich: Rechtspopulisten dominieren.
Rechtspopulisten dominieren den politischen Diskurs auf Social-Media-Plattformen in Europa weit stärker, als es ihrem Wähleranteil entsprechen würde. Das ist das Ergebnis eine Studie der spanischen Datenanalysefirma Alto, die dem Journalistenteam „Investigate Europe“ exklusiv vorliegt. Die Daten aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Polen belegen, dass es kleinen Parteien gelingt, Plattformen wie Facebook oder Twitter große Aufmerksamkeit zu bekommen, indem sie die Mechanismen solcher Plattformen systematisch nutzen.
Aus der Studie geht hervor, dass innerhalb des politischen Diskurses in Deutschland die AfD so häufig wie keine andere Partei erwähnt wird. Sie führt mit 32 Prozent aller Bezugnahmen auf Parteien deutlich vor der CDU mit 23 Prozent, der SPD mit 22 Prozent und den Grünen mit sieben Prozent. Die Zahlen zeigen zwar lediglich an, ob eine Partei erwähnt wurde, nicht ob der Absender mit deren Inhalten übereinstimmte oder diesen widersprach. Doch das Ergebnis ist deutlich.
Am weitesten geht das in Spanien: Dort wurde die rechtsextreme Kleinstpartei Vox, die bis dahin in keinem Parlament vertreten war, in 42 Prozent der Fälle erwähnt. In Italien führt die rechtsextreme Regierungspartei Lega mit 45 Prozent vor der Fünf-Sterne-Bewegung (36 Prozent). Einzige Ausnahme ist Frankreich, wo La République En Marche, die Partei des Präsidenten Emmanuel Macron, fast die Hälfte aller Parteinennungen ausmacht.
Allerdings sammelte Alto die Daten, während in Frankreich vor allem über die Gelbwesten-Bewegung diskutiert wurde, die sich vor allem über die Opposition gegen Macrons Regierung definiert. Aber schon auf dem zweiten Platz der Erwähnungen rangiert auch dort der nationalistische Rassemblement National von Marine Le Pen mit 20 Prozent aller Erwähnungen.
Für ihre Studie werteten die Alto-Analysten mehr als 46 Millionen Nachrichten aus, die zwischen Mitte Dezember vergangenen und Mitte Januar dieses Jahres versendet oder veröffentlicht wurden. Für die Erwähnungen deutscher Parteien erweiterte Alto den Untersuchungszeitraum bis Mitte März.
Kleine sehr aktive Gruppe
Für ihre Studie nutzten sie zudem ausschließlich öffentliche Quellen wie Nachrichtenseiten, Online-Foren sowie Blogs, Facebook- und Instagram-Seiten, Google-Plus-Profile sowie Inhalte der Videoplattformen Vimeo und YouTube. Die Rohdaten legte Alto jedoch nicht vor. Sie konnten daher nicht unabhängig überprüft werden. Die Studie wurde unter anderem finanziert von der Mozilla-Stiftung, der Luminate-Gruppe sowie den Open Society Foundations.
Während ihrer Arbeit stießen die Wissenschaftler auch auf eine kleine Gruppe sehr aktiver Twitter-Nutzer, die massenhaft fremdenfeindliche Inhalte verbreiten und mit ihren Nachrichten versuchen, die Online-Diskussionen an den rechten Rand zu verschieben. Die Inhaber einiger dieser Accounts twittern mehr als 100 Nachrichten pro Tag.
Einige wenige hyperaktive Twitterer setzen bis zu 400 Tweets pro Tag ab
Die Forscher programmierten für ihre Studie einen selbstlernenden Algorithmus, der den soziopolitischen Diskurs auf Twitter erfasste. Dort verbreiten diese hyperaktiven Nutzer einen bedeutenden Teil der Inhalte. Demnach bestritten in Deutschland 106 Nutzer innerhalb eines Monats fast ein Zehntel des soziopolitischen Diskurses. Wenige Twitter-Accounts erreichen einen ähnlichen Anteil in den anderen untersuchten Ländern.
Länderübergreifend umfasst diese Gruppe etwa 1500 Mitglieder. Diese twittern mehr als 100-Mal pro Tag. Das Gros dieser Nutzer zeigt laut den Forschern eine hohe Affinität zu den Inhalten rechtsextremer und fremdenfeindlicher Parteien wie der AfD oder dem Rassemblement National. Über einen Account, der die rechtsextreme spanische Kleinstpartei Vox unterstützt, sendete der Inhaber durchschnittlich mehr als 400-Mal pro Tag. Innerhalb eines Monats setzte er fast 15.000 Nachrichten ab.
Kleine Gruppe, große Wirkung
Für den US-amerikanischen Think Tank Atlantic Council beobachtet der Analyst Ben Nimmo seit Jahren, wie politische Gruppen Social-Media-Plattformen nutzen, um den Diskurs zu beeinflussen. „Social Media ist perfekt für kleine Gruppen, die groß wirken wollen“, sagt er. Denn zum einen könnten sie dort fake accounts, also Konten unter falschem Namen anlegen. Zum anderen könnten sie einen unverhältnismäßigen Einfluss haben, wenn sie auf den Plattformen viel Zeit verbringen.
„Eine Gruppe bestehend aus zehn Personen, die beschließt, ihre gesamte Zeit auf Social-Media-Plattformen zu verbringen, kann dort so viele Inhalte verbreiten, dass sie wie eine große Bewegung wirkt.“ Im analogen Leben sei das unmöglich. Wenn eine Gruppe von zehn Personen durch eine Straße laufe, sei es egal, wie laut sie schreie, jeder würde sehen, dass nur zehn Personen durch die Straße laufen.
Das Journalistenteam „Investigate Europe“ hat in den vergangenen Monaten intensiv über die Desinformationsmaschine nationalistischer und fremdenfeindlicher Bewegungen recherchiert. Den Report dazu können Sie am 14. April im Tagesspiegel lesen.
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