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Der Anstieg der Flüchtlingszahlen ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremisten.
© REUTERS

Flüchtlinge in Europa: Rechte Populisten wittern ihre Chance - eine Übersicht

Die Zunahme der Flüchtlingszahlen fordert die reichen Länder Europas heraus. Nicht nur logistisch, auch politisch. Populisten und rechte Kräfte versuchen zu profitieren. Lesen Sie hier eine Übersicht über einzelne Länder.

Die steigenden Zahlen von Flüchtlingen bedeuten in allen betroffenen Zielländern große Anstrengungen für die Behörden. Nicht immer sind sie der Lage gewachsen. Das zeigte sich auch in Dresden, wo es in der Nacht zum Samstag zu gewaltsamen Auseinandersetzungen vor der neuen Zeltstadt für Flüchtlinge kam. Die rechtsextreme NPD hatte zu einer Demonstration aufgerufen. „Ich habe noch nie erlebt, dass Rot-Kreuz-Helfer in einem zivilisierten Land wie Deutschland angegriffen werden“, sagte DRK-Landeschef Rüdiger Unger dem MDR.

Die Polizei war nur mit 50 Beamten im Einsatz, die offensichtlich überfordert waren. Jetzt wird die Zeltstadt rund um die Uhr von der Polizei bewacht.

Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland hat sich im ersten Halbjahr auf 180000 verdoppelt. Verdoppelt haben sich auch die Kosten – auf etwas fünf Milliarden Euro, wie eine Umfrage der Deutschen Presseagentur ergab. Landesregierungen und Parteien treibt die Sorge um, dass die Entwicklung den Rechtsextremismus befördern kann. „Das Thema Asyl kann die Parteienstatik verändern“, sagte CSU-Chef Horst Seehofer kürzlich.

Auch in anderen Ländern versuchen populistische Bewegungen und Parteien, von dem Thema zu profitieren.

Italien: Das Ende der Verdrängung

Die Hauptlast bei der Aufnahme der Mittelmeerflüchtlinge hat Italien zu tragen. Auch wenn sich mittlerweile Schiffe verschiedenster europäischer Staaten – darunter auch deutsche, schwedische, irische – an der Ersten Hilfe auf See beteiligen: Die Geretteten landen ausnahmslos auf italienischem Territorium. Täglich kommen mehrere hundert in Süditalien an, vornehmlich in Sizilien; etwa 85000 sind es seit Jahresbeginn. Der Chef der Grenzpolizei, Giovanni Pinto, rechnet fürs ganze Jahr mit 200000 Ankünften; das wären 30000 mehr als 2014. So lange die Flüchtlinge im äußersten Süden Italiens erstversorgt wurden und sich dann individuell auf die Weiterreise nach Mittel- und Nordeuropa machten, konnte der Rest des Landes das Problem bequem verdrängen. Heute aber zwingt die Zentralregierung alle Regionen Italiens zur dauerhaften Aufnahme von Asylsuchenden; diese füllen mittlerweile Turnhallen, Kasernen, leerstehende Hotels. Und jetzt lehnt sich der reiche Norden auf.

Venetien und die Lombardei, von der rechtsextremen Lega Nord beherrscht, erklären ihr Boot für voll. In Rom haben Neofaschisten unlängst ein Stadtviertel zu Gewalt gegen ein neues Flüchtlingsheim aufgehetzt. Zu jenen, die – auf jeden Populismus-Zug aufspringend – gegen Ausländer polemisieren, gehört auch Beppe Grillo, der Gründer der „Fünf-Sterne-Bewegung“: „Schickt sie alle ins Innenministerium, dort ist genug Platz“, ruft er. Für Rom fordert er Neuwahlen, „bevor die Stadt untergeht in Ratten, Müll und Zuwanderern.“

Frankreich: Restriktive Sozialisten

Als die Innenminister der EU Anfang Juli über den Vorschlag der Brüsseler Kommission berieten, Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen in den Mitgliedstaaten zu beschließen, lehnte Frankreich dies ab. Nach Auffassung der sozialistischen Regierung sah der Vorschlag keine ausgewogene Verteilung vor. Dabei liegt Frankreich, gemessen an seinen Möglichkeiten, bei der Aufnahme von Flüchtlingen unter dem EU-Durchschnitt. Mit 972 Flüchtlingen je einer Million Einwohner rangiert es hinter Deutschland, Schweden und Italien nur auf dem vierten Platz. Etwa zehn Prozent der in der EU Asyl suchenden Personen entfallen auf Frankreich. Nach dem Quotenvorschlag hätten es 14 Prozent werden sollen. Diese Zahlen widerlegen die Ansicht vieler Franzosen, ihr Land werde von Flüchtlingen überlaufen. Genährt wird sie vom rechtsextremen Front National, dessen Präsidentin Marine Le Pen die Zuwanderung für alle Probleme von der Arbeitslosigkeit bis zur Terrorgefahr verantwortlich macht. Sie fordert daher einen Einwanderungsstopp und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Das findet auch bei der rechtsbürgerlichen Opposition unter Führung des ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy Anklang und mag die strikte Haltung der sozialistischen Regierung erklären.

Großbritannien: Torys und Populisten in einem Boot

Das Wachstum von rechtsgerichteten Parteien bedroht die Integrationsbereitschaft europäischer Länder, urteilt der Integrationsindex MIPEX. Großbritannien ist zusammen mit den Niederlanden im Integrationsindex am meisten abgefallen – 6 Plätze auf einen Mittelrang von 15. Flüchtlings-Hilfsorganisationen fordern zwar eine menschlichere Behandlung von Asylbewerbern, einige wenige fordern höhere Quoten von Asylanten. Aber die Toryregierung und Ukip sind sich einig, dass eine gemeinsame europäische Asylpolitik nicht in Frage kommt und das Flüchtlingsproblem außerhalb Europas angepackt werden muss – durch Hilfe in Afrika oder Syrien. Dabei fühlt sich Großbritannien von der Lage jenseits des Ärmelkanals in Calais belagert. Inzwischen versuchen über 5000 Migranten dort in inoffiziellen Lagern verzweifelt, über den Kanal zu kommen. Im Durchschnitt einmal pro Woche stirbt ein Migrant beim Versuch, auf fahrende Lastwagenzüge aufzuspringen. Die britische Regierung stellt Material für Kilometerlange Sicherheitszäune zur Verfügung, um Hafen- und Tunnelanlagen zu sichern. Frankreich, fordern britische Politiker, müsse seine internationalen Verpflichtungen erfüllen und den Fähr- und Kanalverkehr effektiver sichern – auch vor der Störung durch Migranten.

Schweden: Ein kleines Land nimmt die relativ meisten Menschen auf

In Schweden, das EU-weit gemessen an der eigenen Bevölkerungszahl die meisten Asylbewerber aufnimmt – im 3. Quartal 2014 waren es laut der EU-Statistikbehörde eurostat 2925 Asylbewerber pro einer Million Einwohner –, galt unter den etablierten Parteien Kritik an der Asylpolitik bis vor kurzem als tabu. Doch inzwischen bewegen sich die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) auf die 20-Prozent-Marke zu, und nicht zuletzt angesichts hoher Arbeitslosigkeit unter Migranten und unübersehbarer Probleme in den Kommunen, vor allem im Wohnungsmarkt, hat die bürgerliche Opposition in den vergangenen Monaten Vorstöße unternommen. Gefordert werden unter anderem Schnellverfahren für Asylgesuche mit geringer Erfolgsaussicht und die Vergabe zeitlich begrenzter Aufenthaltsgenehmigungen.

Dänemark: Linke und Rechte übertreffen sich bei Verschärfungen

In Dänemark hat die rechtspopulistische Dänische Volkspartei (DF) seit 2001, dem Beginn ihrer zehnjährigen parlamentarischen Zusammenarbeit mit einer liberal-konservativen Regierung, die Politik entscheidend geprägt. Im diesjährigen Wahlkampf übertrafen sich die großen Parteien des bürgerlichen wie des linken Lagers mit Vorschlägen für weitere Verschärfungen der Einwanderungs- und Asylpolitik. Bei der Parlamentswahl im Juni wurde die DF zweitstärkste Partei. Sie unterstützt die Minderheitsregierung der liberalen Venstre von Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen. Nachdem sich die die Asylbewerberzahl 2014 mit rund 15000 im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt hatte, ist es erklärtes Ziel der Regierung, Dänemark für Flüchtlinge unattraktiver zu machen. Kurz nach ihrem Antritt brachte die Regierungspartei mit Unterstützung von DF, Konservativen und Liberaler Allianz einen Gesetzentwurf ein, der unter anderem vorsieht, die Sozialhilfe für Flüchtlinge stark zu kürzen. Die monatlichen Bezüge für eine Person ohne Kinder sinken demnach auf umgerechnet 796 statt jetzt 1453 Euro brutto. Das Gesetz soll im September in Kraft treten.

Norwegen: Gemäßigte Parteien unter Druck

Seit über zehn Jahren gestaltet Norwegen seine Einwanderungs- und Asylpolitik zunehmend restriktiv. So führte die jetzige konservative Ministerpräsidentin Erna Solberg als Kommunalministerin der zwischen 2001 bis 2005 amtierenden bürgerlichen Regierung eine „48-Stunden-Regel“ für die rasche Abschiebung von Asylbewerbern aus als sicher eingestuften Ländern ein. Rot-Rot-Grün zog ab 2005 mit weiteren Einschränkungen wie befristeten Aufenthaltsgenehmigungen für allein eingereiste Minderjährige bis zur Erreichung der Volljährigkeit nach. Beim Versuch, der rechtspopulistischen Fortschrittspartei Sympathien abspenstig zu machen, begaben sich bürgerliche wie sozialdemokratisch geführte Regierungen auf Kollisionskurs mit den UN, indem sie Asylbewerber in nach offizieller UN-Definition unsichere Gebiete wie Afghanistan zurückschickten. Nach den Attentaten des rechtsextremen Massenmörders Anders Behring Breivik 2011 geriet die Fortschrittspartei wegen ihrer aggressiven antimuslimischen Rhetorik in die Kritik und verzeichnete Sympathieverluste. Bei den Parlamentswahlen 2013 eroberte sie aber erstmals Ministersitze.

Ungarn: Ein Land baut einen Zaun

Die international umstrittene rechtorienrierte Regierung Ungarns baut als Abwehr gegen Flüchtlinge einen Zaun an der Grenze zu Serbien. Der Bau soll jetzt noch beschleunigt werden, hieß es am Wochenende. Er werde bis zum 31. August fertig sein, sagte der rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orban. Zuvor hatte es geheißen, der Zaun solle bis Ende November stehen. Ungarische Soldaten hatten vor knapp zwei Wochen mit dem Bau eines ersten Teilstücks des insgesamt 175 Kilometer langen und vier Meter hohen Grenzzauns begonnen. Die Regierung will damit den wachsenden Zustrom illegaler Flüchtlinge stoppen, die über Serbien ins Land kommen. Die meisten von ihnen stammen aus dem Irak, Afghanistan, Syrien, dem Kosovo und afrikanischen Staaten. Sie wollen in der Regel nicht in Serbien bleiben, sondern in andere EU-Staaten wie Österreich oder Deutschland weiterreisen. Serbien gehört nicht zum Schengen-Raum, das EU-Mitglied Ungarn schon.

Das ungarische Parlament hatte vor kurzem die Asylgesetze verschärft, kurz darauf begannen die Behörden, Flüchtlinge in Zeltlagern in die Randgebiete zu verbannen. Orban sagte am Samstag, illegale Einwanderung sei mit Terrorismus verbunden, darüberhinaus führe sie zu einem Anstieg der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit. „Europa sollte weiter den Europäern bleiben“, sagte Orban.

Polen: Bitte nur christliche Flüchtlinge

„Polen nur den Polen!“ und „Schwarze und Schwule raus!“, skandierte die „Polnische Verteidiungsliga“ (LPO) kürzlich in Poznan. In andern Städten hat die rechtsextreme Gruppe mit ihren Anti-Flüchtlingsslogans die Plakatwände vollgekleistert. Man müsse den Anfängen wehren, denn Islamisten würden den Polinnen bald befehlen, eine Burka zu tragen, sagt Dariusz Brodzik von der LPO. Damit trifft die Organisation den Nerv vieler Polen. 55 Prozent fürchten, dass von Arabern eine Bedrohung für Polen ausgeht. Da sich Polen mitten im Wahlkampf befindet, wird auf dem Rücken der Flüchtlinge Stimmenfang betrieben. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz hat in Luxemburg statt einem Soll von 2659 Flüchtlingen nur die Aufnahme von 2000 möglichst christlichen Syrern und Eritreern zugesagt.

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