„Bald nicht mehr genug Intensivbetten“: Ramelow sieht Kliniken überlastet, Kretschmer warnt vor neuem Lockdown
Das RKI verzeichnet erneut eine Rekordzahl an Corona-Neuinfektionen. Zwei ostdeutsche Ministerpräsidenten mahnen nun mit eindringlichen Worten zum Handeln.
Die Corona-Infektionszahlen in Deutschland schießen in die Höhe, die Impfkampagne stockt, die Zahl der zur Verfügung stehenden Intensivbetten ist wegen fehlenden Personals um rund 4500 geringer als noch vor einem Jahr. Fakten, die darauf hindeuten, dass dramatische Wochen bevorstehen könnten.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow warnte daher am Freitagmorgen im ZDF in bisher ungeahnter Schärfe: „Wir werden in den nächsten Tagen an die Situation kommen, dass wir nicht mehr genügend Intensivbetten haben“, sagte der Linken-Politiker.
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„Wir haben eine Pandemie der Ungeimpften. Und wir werden niemandem mehr garantieren können, der ungeimpft ins Krankenhaus kommt, dass er überhaupt noch in Thüringen behandelt wird.“ Man könne zwar garantieren, dass man behandelt werde und jeder Mensch, der Hilfe brauche, werde Hilfe bekommen. „Aber er wird sie nicht mehr dann in Thüringer Krankenhäusern bekommen können.“
Und sein sächsischer Kollege Michael Kretschmer warnte im Deutschlandfunk in ähnlich eindringlichem Ton, dass es ohne schnelles Handeln eine neue Lockdown-Debatte geben werde. „Wir haben keine Zeit. Wenn wir uns jetzt zu viel Zeit lassen, endet das wie im vergangenen Jahr mit einem Lockdown“, so der CDU-Politiker. Man müsse jetzt Maßnahmen treffen und nicht erst in zwei oder drei Wochen.
Kretschmer fordert Wiedereinführung der kostenlosen Corona-Tests
„Wir müssen dieses Land vor einem Lockdown schützen“, sagte Kretschmer weiter. Dazu brauche man ein Infektionsschutzgesetz, das auch Werkzeuge an die Hand gebe, um der Pandemie wirklich entgegentreten zu können. In dem Zusammenhang sprach er sich auch für kostenlose Tests aus.
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Es müsse außerdem deutlich werden, dass etwa die 2G-Regelung keine unzumutbare Belastung sei, sondern ein Instrument, um einen kompletten Lockdown zu verhindern. 2G bedeutet, dass zu bestimmten Orten nur noch Geimpfte und im letzten halben Jahr Genesene Zutritt bekommen und für Ungeimpfte Tests nicht ausreichen. Das sächsische Kabinett will eine solche Regelung an diesem Freitag einführen.
Sachsen und Thüringen zählen zu den Bundesländern mit den höchsten Inzidenzen, aber den geringsten Quoten vollständig Geimpfter. Für Sachsen meldet das RKI am Donnerstag einen Wert von 56,9 und für Thüringen von 60,9 Prozent. Der Bundesschnitt liegt bei 66,9 Prozent. Unter dem Schnitt liegt auch Bayern mit 64,8 Prozent.
Am Freitag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) den zweiten Tag in Folge einen Höchstwert bei den Neuinfektionen – 37.120 bestätigte positive Tests und 154 weitere Covid-19-Tote binnen 24 Stunden. Die Sieben-Tages-Inzidenz erreichte 169,9 – das sind die Ansteckungen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen. In Thüringen lag sie mit 386,9 mehr als doppelt so hoch. Sachsen war fast gleichauf mit 385,7, danach folgt Bayern mit 256,8.
Spahn rechnet mit immer mehr Intensivpatienten
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet wegen der hohen Infektionszahlen mit immer mehr Intensivpatientinnen und -patienten in den kommenden Wochen. Etwa 0,8 Prozent der Neuinfizierten würden auf den Intensivstationen behandlungsbedürftig, sagte Spahn am Freitag nach einem Treffen der Gesundheitsminister von Bund und Ländern in Lindau. In der Regel trete dies nach 10 bis 14 Tagen ein.
„Wenn wir heute knapp 40.000 Neuinfizierte haben, dann werden in einigen Tagen von ihnen 350 bis 400 dann neu aufgenommen werden auf den Intensivstationen“, so Spahn. „Das zeigt eben, dass es noch einige Wochen sind, die so oder so sehr, sehr schwierige sind.“ Es gebe bereits erste Regionen in Deutschland, aus denen Covid-19-Patienten wegen voller Intensivstationen verlegt werden müssten.
Nicht alle Gründe für die dramatischen Zahlen sind klar. Aber: „Das korreliert ganz eindeutig mit dem Impfniveau“, sagte der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz, der vor allem die Lage in Sachsen analysiert, der Nachrichtenagentur dpa. „Die geimpften Risikogruppen sind jetzt wieder gefährdet, da muss man aufpassen.“ Deshalb bräuchten Menschen über 70 Jahre jetzt dringend einen „Booster“.
Und auch für alle anderen sei eine solche Auffrischung sinnvoll, sagte Scholz. „Das ist jetzt wirklich höchste Eisenbahn“, mahnte der Professor am Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie der Universität Leipzig. Bisher haben dem RKI zufolge erst rund 2,4 Millionen Menschen in Deutschland eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Die Impfquoten können aber nicht die einzige Erklärung sein, denn auch Brandenburg hat eine schwache Impfrate von 60,8 Prozent, aber längst nicht so hohe Inzidenzen. In den vorherigen Corona-Wellen wurde auch vermutet, dass der hohe Altersdurchschnitt in Sachsen und Thüringen ein weiterer Faktor sein könnte. In Erfurt wird auch das späte Ferienende als weiterer Grund gesehen.
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In Bayern können die Behörden die Ursachen auch nicht mehr komplett nachvollziehen. „Das Infektionsgeschehen ist diffus“, heißt es der dpa zufolge schlicht aus dem Landratsamt im Hotspot Miesbach. Dort liegt die Inzidenz über 700. Kontrollieren könne man das nicht mehr, die Zahlen stiegen exponentiell. Kontakte würden nicht mehr nachverfolgt, auch Quarantäne-Anordnungen nicht mehr überprüft.
Das RKI änderte in seinem jüngsten Wochenbericht vom Donnerstagabend für unvollständig oder nicht Geimpfte die Risikobewertung von „hoch“ auf „sehr hoch“. Das RKI schreibt: „Für vollständig Geimpfte wird die Gefährdung als moderat, aber aufgrund der steigenden Infektionszahlen ansteigend eingeschätzt.“ Noch vor einer Woche war das Risiko für Geimpfte im Bericht als „moderat“ beschrieben worden.
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Das RKI betont aber auch, dass alle hierzulande verfügbaren Impfstoffe „nach derzeitigem Erkenntnisstand bei vollständiger Impfung wirksam vor einer schweren Erkrankung“ schützten. Die aktuelle Entwicklung der Lage sei dennoch „sehr besorgniserregend“, schreibt das RKI.
Wenn Maßnahmen wie Masken, Abstand, Verringern von Kontakten und Lüften nicht rasch die Zahl der Ansteckungen senkten, sei eine weitere Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle zu befürchten. Auch könnten in diesem Fall die Behandlungskapazitäten der Intensivstationen überschritten werden.
Spahn sagte am Donnerstagabend in den ARD-Tagesthemen, ob es auch 2021 wieder ein Weihnachten in kleinem Kreis geben könnte, entscheide sich in den nächsten Wochen. Für Geimpfte und Genesene werde es jedoch keine Einschränkungen geben. Es sei durch die Impfungen „jetzt viel mehr Alltag möglich als sonst bei diesen Inzidenzen“, so der Minister. Spahn weiter: „Ich kann ihnen noch nicht sagen, wie das wird an Weihnachten.“