Kampf gegen den IS: Rakka vor der Befreiung
Militärbündnis unter Kurdischer Führung: IS in einigen Tagen aus früherer Bastion vertrieben.
- Muhamad Abdi
- Hannes Heine
In den nächsten Tagen könnte das von Kurden geführte Bündnis „Syrische Demokratische Kräfte“ das syrische Rakka vollständig befreit haben. Zumindest geht die Militärallianz selbst davon aus. Inzwischen seien SDF-Kämpfer in allen Vierteln der Stadt präsent, hieß es. Der Deutschland-Vertreter der kurdischen Autonomieregion Rojava, Masod Hasan, sagte dem Tagesspiegel: „Wir rechnen damit, die Fahne der SDF nächste Woche überall im Zentrum hissen zu können.“ Rakka galt als eine Art Hauptstadt des „Islamischen Staates“ (IS) in Syrien.
Die SDF sind ein Bündnis aus säkularen Kurden, orientalischen Christen und sunnitischen Arabern. Angeführt wird das Bündnis von der linken Kurdenmiliz YPG. Die US-Armee unterstützt die SDF mit Luftangriffen. Im Juni hatte der Sturm auf Rakka begonnen.
Kurdenvertreter Masod Hasan berichtete, dass verbliebene IS-Kämpfer die Kurden um einen Korridor gebeten hätten, um aus Rakka abziehen zu können. Die SDF-Führung habe dies abgelehnt. Sie möchte die verbliebenen Dschihadisten festnehmen. „Es gibt jetzt nur noch 100 IS-Kämpfer dort, die meisten sind offenbar Ausländer“, sagte Hasan. „Die Schlacht um Rakka ist nur deshalb nicht beendet, weil wir vorsichtig sind, aus Rücksicht auf die Zivilisten.“ Hilfsorganisationen berichteten kürzlich, der IS könnte 8000 Männer, Frauen und Kinder in Rakka als „Schutzschilde“ missbrauchen. Viele „Gotteskrieger“ haben in den vergangenen Tagen Berichten zufolge versucht, nach Palmyra zu entkommen. Hasan sagte, Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al Assad hätten sich vereinzelt mit dem IS koordiniert – ein Vorwurf, der auch von anderen syrischen Oppositionellen erhoben wird. Assad hoffe, so das Vorrücken der Kurden zu behindern. Die Autonomiebestrebungen der Kurden fürchten alle Staaten in der Region.
Obwohl die von den Kurden angeführten SDF nun Rakka kontrollieren, drohte die schlagkräftigste Kurdenmiliz YPG, bald wieder abzurücken. Denn während die Kurden in Syrien und im Irak als prowestlicher Garant gelten, greifen von der Türkei unterstützte Islamisten in diesen Tagen kurdische Gemeinden um Afrin an. Afrin gehört zu Rojava, ist aber weitgehend von Islamisten und türkischen Truppen umstellt.
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich zuletzt mit Russland und dem Iran auf eine erneute Intervention in Syrien geeinigt. Das offizielle Ziel: die sogenannten Deeskalationszonen zu sichern. Türkische Soldaten haben deshalb zusammen mit islamistischen Verbündeten den Westen der Provinz Idlib besetzt, die ans kurdische Afrin grenzt. Die Aufteilung Syriens in Einflusszonen schreitet somit voran. Die syrischen Kurden fürchten, zwischen den auswärtigen Mächten und Assad zerrieben zu werden.
Umso wichtiger dürfte aus Sicht der Kurden die Anerkennung Rojavas durch den Westen sein. Ähnlich wie die Kurden im Nordirak unterhalten die Kurden in Nordsyrien Kontakte ins Ausland – zum Missfallen Assads und der Türkei. Mit Vertretern Rojavas trafen sich in Europa vor allem französische, belgische und skandinavische Politiker.
In Deutschland ist das wegen der traditionellen Nähe zur Türkei schwierig. Masod Hasan hofft daher, nach der Befreiung Rakkas durch die Kurden auch offiziell mit deutschen Ministerien sprechen zu können. Muhamad Abdi/ Hannes Heine