Bruch der Kenia-Koalition abgewendet: Rainer Wendt wird nicht Staatssekretär in Magdeburg
Sachsen-Anhalts CDU-Innenminister Stahlknecht will den umstrittenen Polizeigewerkschafter nicht mehr ins Ministerium holen. Offenbar intervenierte auch Berlin.
Der CDU-Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, hat offenbar eine brisante Personalentscheidung rückgängig gemacht und so den drohenden Bruch der Kenia-Koalition in Magdeburg verhindert. Wie die „Bild“ berichtete, zog Stahlknecht am Abend das Angebot an den umstrittenen Polizeigewerkschafter Rainer Wendt zurück, Staatssekretär im Innenministerium zu werden.
Die ursprünglich von Stahlknecht geplante Personalie war am Freitag bekannt geworden. Seitdem war der Protest bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne immer schärfer geworden, ein Bruch der Koalition schien kaum noch zu verhindern. Allerdings wurde offenbar auch die CDU-Fraktion von der Ankündigung überrascht. Nach "Bild"-Informationen hatte sich am Sonntagnachmittag das Bundeskanzleramt in die Personalie Wendt eingeschaltet.
In Magdeburg wurde zuvor die Personalie Rainer Wendt als einsame Entscheidung von Innenminister Stahlknecht gesehen. Auch die Spitze der CDU-Fraktion war nicht informiert, erfuhr der Tagesspiegel aus Koalitionskreisen. Nach außen hielt Ministerpräsident Reiner Haseloff aber zu Stahlknecht, der immer wieder als sein möglicher Nachfolger gehandelt wurde. Zuletzt stand der Minister auch wegen der Pannen rund um den rechtsextremistischen Anschlag in Halle schwer in der Kritik.
Auch am Sonntag war die Berufung von Wendt noch als „faustdicke Überraschung“ gewertet worden. Auch weil die Linie des Ministerpräsidenten bislang gewesen sei, auf Menschen aus Sachsen-Anhalt zu setzen. „Vom Kabinett wird es dafür keine Zustimmung geben“, hatte es aus dem Innersten Kreis der Koalition geheißen. Eine Entscheidung von Haseloff sei gefragt. „Der Imageschaden für Sachsen-Anhalt ist jetzt schon immens“, hieß es weiter. Die nächsten Tage würden zeigen, ob und wie es mit der Koalition weitergehen könne.
Die AfD deutete an, eine CDU-Minderheitsregierung zu tolerieren
Hinter vorgehaltener Hand wird auch über eine bewusste Provokation von Stahlknecht spekuliert, die Koalition zu sprengen. Er hätte so möglicherweise mit einer von der AfD tolerierten Minderheitsregierung weitermachen können, so die Überlegung. AfD-Abgeordnete hatten am Sonntag bereits angedeutet, einen solchen Schritt mitzugehen.
Michael Bock, Vize-Chefredakteur der Volksstimme Magdeburg, zitierte den Landeschef der „Jungen Alternativen“ Jan Wenzel Schmidt auf Twitter mit den Worten: „Zum Wohle des Landes würden wir durchaus über eine Tolerierung der #CDU nachdenken. Herr #Wendt ist ein Hoffnungsschimmer für das von #Stahlknecht geführte Innenministerium.“
Die Vize-Vorsitzende der FDP in Sachsen-Anhalt, Lydia Hüskens, fordert von Haseloff, die Vertrauensfrage zu stellen. Wenn er sich seinen „Weg von SPD und Grünen diktieren lasse“ gerate er in Konflikt mit seiner Fraktion. „Macht er es nicht, ist Sachsen-Anhalt auf dem Weg in eine Minderheitsregierung.“ Sein Führungsanspruch sei „in Frage gestellt.“
Rainer Wendt bezog doppeltes Gehalt und gab Nebeneinkünfte nicht an
Im Jahr 2017 war eine Doppelbesoldung Wendts bekannt geworden. Obwohl er hauptamtlich als Vorsitzender der Polizeigewerkschaft arbeitete, bezog er viele Jahre lang ein Teilzeitgehalt als Polizist - bis er 2017 im Polizeidienst pensioniert wurde. Zudem hatte er laut Innenministerium in Nordrhein-Westfalen über mehrere Jahre lukrative Nebeneinkünfte nicht angegeben.
Der SPD-Landesvorsitzende Burkhard Lischka hatte zudem kritisiert, Wendt sei darüber hinaus in den vergangenen Jahren zudem wiederholt durch Ressentiments und Vorverurteilungen aufgefallen. „Das passt nicht zu einer Koalition der Vernunft und der Bollwerkfunktion, für die wir die Kenia-Koalition gebildet haben.“
Die SPD wollte den notwendigen Laufbahnbeschlüssen als Voraussetzung zur Ernennung Wendts weder im Kabinett noch gegebenenfalls im Koalitionsausschuss zustimmen. Damit Wendt in den Rang eines Staatssekretärs hätte aufsteigen können, hätte er etliche Laufbahnstufen überspringen müssen. Dazu hätte nach Angaben der SPD ein entsprechender Beschluss im Kabinett gefasst werden müssen. Bei einer Ablehnung durch die Sozialdemokraten wäre die Sache im Koalitionsausschuss gelandet - dort ist laut Koalitionsvertrag Einstimmigkeit notwendig.
In Magdeburg gab es schon zuvor schwere Konflikte in der Kenia-Koalition
Ministerpräsident Haseloff und Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatten Wendt als "einen der fachkundigsten und bekanntesten Vertreter der Interessen unserer Polizei und engagierten Anwalt für die Sicherheit in unserem Land" bezeichnet.
Der Innenminister zeigte zunächst auch keinerlei Absicht, von seiner Personalentscheidung Abstand zu nehmen: „Als Grundlage der Zusammenarbeit innerhalb der Koalition gilt der Koalitionsvertrag, der auch die Ernennung von Staatssekretären regelt. Des Weiteren wird die Ernennung - wie in einem Rechtsstaat üblich - nach geltendem Recht und nicht nach politischen Vorgaben erfolgen“, sagte Stahlknecht nach der Ankündigung der SPD. Am Freitag hatte er dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gesagt: „Personalentscheidungen, die ich zu treffen habe, treffe ich für mein Haus und im Sinne meiner Partei.“ Dafür müsse er nicht die Grünen um Erlaubnis bitten.
Dass der fast-Staatssekretär nicht mit der Entscheidung zufrieden ist, machte er in seinem Newsletter deutlich.
Es ist in Magdeburg nicht der erste heftige Konflikt zwischen den Koalitionspartnern. Die Koalition stand bereits im April kurz vor dem Aus. Damals drohten ebenfalls die Grünen mit einem Rückzug. Es ging um einen Streit um das sogenannte „Grüne Band“, ein Naturprojekt, das die CDU plötzlich blockiert hatte. In letzter Minute gab es eine Einigung. Insider beschreiben inzwischen die Atmosphäre besonders zwischen Grünen und CDU als „unterkühlt“ und „zunehmend gereizt“. Es gäbe mittlerweile ein „tiefes Misstrauen auf allen Seiten“.
So ist auch diesmal offenbar in letzter Sekunde eine Lösung gefunden worden. Die sogenannt Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt war die erste ihrer Art auf Landesebene. Wäre sie jetzt auseinander gebrochen, wäre das mit Sicherheit als Signal nach Sachsen gewertet worden, wo nach der Landtagwahl gerade über ein solches Bündnis verhandelt wird.