Russland und das Importverbot: Putins Racheakt mit Bumerangeffekt
Wladimir Putin hat einen Importstopp für Lebensmittel verfügt, so reagiert der russische Präsident auf Sanktionen. Für Russland könnte das zu Problemen führen - aber auch für die betroffene Agrarbranche in der EU.
Noch sind die Moskauer Supermärkte gut sortiert. „Unsere Lager sind voll“, sagt eine Verkäuferin und räumt Erzeugnisse holländischer Kaskunst in das Kühlregal. Es könnten die letzten gewesen sein. Am Mittwoch hatte Kremlchef Wladimir Putin einen einjährigen Einfuhrstopp für Agrarerzeugnisse, Lebensmittel und Rohstoffe zu deren Herstellung verfügt. Einzige Ausnahme, das geht aus einer Donnerstag von der Agraraufsichtsbehörde dazu veröffentlichten Liste hervor, ist Kindernahrung. Das Verbot gilt nicht nur für EU-Mitglieder, sondern auch für Importe aus den USA, der Schweiz, Kanada, Japan und Australien. Der Zoll wurde angewiesen, Lieferungen, die bereits unterwegs sind, an der russischen Grenze zu stoppen.
"Nationale Interessen schützen"
Die Entscheidung über das Importverbot, so ein Sprecher der Aufsichtsbehörde, habe zum Ziel, „die nationalen Interessen Russlands zu schützen“. In Wahrheit ist es Moskaus Retourkutsche für „harte“ Sanktionen wegen Putins Ukraine-Politik. Bei Sanktionen gilt stets ein Prinzip: Sie sollen Sünder treffen, den, der sie beschlossen hat, aber möglichst schonen. Das dürfte in diesem Fall extrem schwierig werden. Die deutsche Wirtschaft in Russland fordert daher ein „Ende der Sanktionsspirale“, einen Stabilitätspakt für die Ukraine und die Einrichtung eines „Business Advisory Council“. Sanktionen beider Seiten, heißt es in einer Erklärung der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer in Moskau, seien „nicht zielführend“. Nötig seien Deeskalation auf allen Seiten und klare Exit-Strategien.
Vor allem Osteuropa soll getroffen werden
High-Tech-Exporteur Deutschland kommt noch ziemlich glimpflich davon. Der Wert der Güter aus deutscher Produktion, die nun von den russischen Importbeschränkungen in Mitleidenschaft gezogen werden dürften, wird auf rund 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Weitaus härter trifft es im Verhältnis zum gesamten Ausfuhraufkommen die Osteuropäer, die vor allem Agrarerzeugnisse nach Russland exportieren. Die Baltenstaaten, an deren Außenhandelsbilanz das Russland-Geschäft mit bis zu 8,5 Prozent beteiligt ist, lieferten Milch, Molkereierzeugnisse, Frischfisch und Konserven. Aus Polen und teilweise auch Ungarn kamen Fleisch, tiefgefrorenes Obst und Gemüse, das preiswert ist und schon zu Sowjetzeiten einen guten Ruf hatte. Vor allem die einstigen Ostblockstaaten und Ex-Sowjetrepubliken, glauben sogar kritische Beobachter in Moskau, hätten die Westeuropäer zu mehr Härte gegenüber Russland gedrängt. Daher würden sie jetzt auch am härtesten dafür von Moskau zur Kasse gebeten. Der Schaden für Russland selbst halte sich indes in Grenzen.
Weißrussland und Kasachstan sollen helfen
Bei Obst und Gemüse - hier deckte Russland seinen Bedarf bisher zwischen 20 und 30 Prozent mit Importen aus der EU - stehen Lieferanten im Kaukasus und Zentralasien bereit. Der Einfuhrstopp von Fleisch- und Milchprodukten könnte sich dagegen als Bumerang erweisen. Denn die russische Landwirtschaft ist derzeit nicht einmal in Ansätzen in der Lage, den Bedarf zu decken. Zwar verhandelt Putin bereits mit den Amtskollegen aus Weißrussland und Kasachstan. Auch erwägt Moskau, die drohende Lücke durch Importe aus Schwellenländern, vor allem in Lateinamerika, zu decken. Doch musste wegen Qualitätsmängeln, die ausnahmsweise nicht politisch begründet waren, vor einigen Jahren Fleisch aus Brasilen vom Markt genommen werden. Ob sich russische Erzeuger angesichts dieser Zwänge das angekündigte staatliche Preisdiktat gefallen lassen, bleibt abzuwarten. Um Hungerrevolten zu vermeiden, muss die Regierung für Subventionen womöglich die Reste des ohnehin halbleeren Reservefonds anzapfen.
EU behält sich Gegenmaßnahmen vor
Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte am Donnerstag, die Brüsseler Behörde behalte sich angesichts der russischen Importbeschränkungen das Recht vor, „geeignete Maßnahmen“ als Reaktion zu ergreifen. In Moskau sagte ein EU-Sprecher, das Verbot untergrabe „das Ansehen Russlands als zuverlässiger Partner“. Dass die EU nun ihrerseits weiter an der Sanktionsschraube drehen wird, ist allerdings zunächst nicht absehbar. Denn in der Erklärung der EU-Kommission in Brüssel hieß es auch: „Die Europäische Union bemüht sich weiterhin um eine Deeskalation der Situation in der Ukraine.“ Ein Blick auf die Zahlen macht deutlich, warum die EU kein Interesse haben dürfte, eine Ausweitung des Handelskrieges zuzulassen. Die von Putin verhängten Importbeschränkungen treffen einen Sektor, für den das Russland-Geschäft eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Immerhin zehn Prozent der EU-Agrarexporte mit einem Wert von knapp zwölf Milliarden Euro gingen im vergangenen Jahr nach Russland. Dabei fielen 2013 vor allem der Export von Früchten, Käse und Schweinfleisch mit einem Handelsvolumen von jeweils rund einer Milliarde Euro ins Gewicht. Einen großen Anteil an den Landwirtschaftsprodukten, die Russland aus der EU importiert, machen zudem Gemüseprodukte, Spirituosen und Wein aus.
Überangebot an Äpfeln, Tomaten und Pfirsichen in der EU
Ob die vom russischen Importstopp betroffenen Landwirtschaftsbetriebe Entschädigungen von der EU erwarten könnten oder ob mögliche nationale Ausgleichszahlungen von den Brüsseler Wettbewerbshütern kritisch unter die Lupe genommen werden könnten, ließ der Kommissionssprecher offen. Derartigen Fragen stellten sich derzeit noch nicht, sagte er. Allerdings kann es schnell dazu kommen, dass auf dem EU-Binnenmarkt demnächst ein Überangebot bei einigen Agrarprodukten entsteht, falls sich anstelle Russlands keine anderen Exportkunden finden - dies gilt beispielsweise für Äpfel, Tomaten und Pfirsiche, an denen in diesem Sommer innerhalb der EU alles andere als ein Mangel herrscht. Der Moskauer Importstopp könnte den Preis dieser Früchte weiter drücken.