Raffinierter als in Belarus: Putins Niederlagen bei den Regionalwahlen sind gewollt
Dass Putins Partei „Einiges Russland“ nicht überall gewann, ist kein Zeichen beginnender Erosion. Es gehört zum Herrschaftssystem des Kremls. Ein Kommentar.
Russland hat am Wochenende in den Regionen gewählt, und Putins Partei „Einiges Russland“ hat nicht überall gewonnen. Das ist ein Erfolg für die Protestwähler, zweifellos. Vor allem die Niederlage der Kreml-Partei im sibirischen Tomsk ist ein Zeichen.
Dort war der Oppositionelle Alexej Nawalny mutmaßlich vergiftet worden. Niederlagen der Partei der Macht an der Peripherie sind dennoch keine Signale beginnender Schwäche oder von Fehlkalkulationen. Auch diese Regionalwahlen sind begleitet von Fälschungsvorwürfen. Es wäre wohl ein Leichtes gewesen, das Ergebnis überall zu manipulieren. Der Kreml hat es nicht gewollt.
In Belarus versucht der Diktator Lukaschenko seit Wochen, den Aufstand der Bevölkerung mit brutaler Gewalt niederzuschlagen. Der Umgang Putins mit Unmut in seinem Land ist viel raffinierter. Sein Machtapparat kontrolliert ein System von Ventilen, durch das die Menschen Dampf ablassen können, bevor es zu einer gewaltigen Explosion wie in Minsk kommt.
Zu diesem System gehört ein scheinbares Mehrparteien-System, in dem mal die Kommunisten, mal die faschistoide Schirinowski-Partei mit Nadelstichen so etwas wie Opposition simulieren dürfen. Dazu gehört aber auch, dass man lokale Proteste – wie gegen die Absetzung eines Gouverneurs im fernen Sibirien, eine Mülldeponie im Hohen Norden Russlands oder eine Kirche in Jekatarinburg nicht sofort unterdrückt, sondern erst einmal laufen lässt.
Und dazu gehört auch, dass Putins Kandidaten bei Wahlen auch mal wie jetzt - kontrolliert - verlieren. So vermeidet die russische Führung, dass sich ein Pulverfass wie beim Nachbarn Belarus bis zum Rand füllt. Selbst die Explosion in Belarus spielt Putin letztlich in die Hände. In Minsk fließt Blut, in Sibirien darf die Opposition Wahlen gewinnen. Wie demokratisch Russland doch ist!