Präsidentschaftswahl in Russland: Putins letzte Runde
Mit viel Aufwand wurden die Russen an die Wahlurnen bewegt, um Präsident Putin zum vierten Mal das Vertrauen auszusprechen.
Dass der alte Präsident Russlands auch der neue sein wird, daran bestand schon seit Monaten kein Zweifel. Doch Wladimir Putins Wiederwahl sollte mehr sein als das. Der 65-Jährige sollte mit einem satten Votum im Amt bestätigt werden – von möglichst vielen der knapp 109 Millionen Wähler.
Doch das glückte nicht vollständig; vor allem was die Wahlbeteiligung betraf. Landesweit lag sie bei 60 Prozent – mehr als fünf Prozentpunkte niedriger als 2012. Im Vorfeld waren erwünschte 70 Prozent kolportiert worden. Putin erhielt rund 73 Prozent der Stimmen (nachdem am Abend mehr als ein Viertel ausgezählt war), der kommunistische Kandidat Pawel Grudinin erreichte rund 15 Prozent – angesichts der massiven Negativkampagne gegen ihn ein respektables Resultat. Die liberale Kandidatin Ksenia Sobtschak kam mit wenig mehr als einem Prozent auf dem vierten Platz hinter Wladimir Schirinowskij.
Mit einer beispiellosen Mobilisierungskampagne im ganzen Land, die die Wahl als Staatsbürgerpflicht inszenierte und mit Wettbewerben oder verbilligten Lebensmitteln im Wahllokal lockte, war zur Wahl mobilisiert worden. Der Wahltag wurde als Feiertag für die ganze Familie inszeniert. Putins Wiederwahl fand am vierten Jahrestag der offiziellen Annexion der Krim statt – auch das sollte patriotische Herzen höher schlagen lassen. Doch es war ein inhaltsleerer Wahlkampf, dem es an echter Konkurrenz mangelte. In der nur mäßigen Wahlbeteiligung spiegelt sich auch die Überzeugung vieler Russen, dass Wahlen sowieso nichts ändern.
Viele Vorwürfe der Wahlmanipulation
Am Wahltag war auch von Wahlfälschungen die Rede – vor allem durch illegal eingeworfene Wahlzettel, um die mangelnde Beteiligung künstlich zu erhöhen. In der Teilrepublik Dagestan wurden Wahlbeobachter verprügelt. Dmitrij Kusnezow von der Wahlbeobachterorganisation Golos sah in Moskau wenig Möglichkeiten für Manipulationen – auch weil hier in so gut wie jedem Wahllokal unabhängige Beobachter stationiert waren. „Anders sieht es in Regionen aus, wo es kaum unabhängige Beobachter gibt“ – etwa die Nordkaukasus-Republiken, Mordowien, Tschuwaschien, Baschkirien oder Kemerowo.
Auf der interaktiven „Karte der Verstöße“ der Wahlbeobachter von Golos wurden zahlreiche Verletzungen der Wahlrechtsordnung festgestellt. Mitarbeiter staatlicher Betriebe, Studenten und öffentliche Bedienstete wurden unter Druck gesetzt, an der Stimmabgabe teilzunehmen. Teilweise wurde ihnen direkt aufgetragen, für Putin zu stimmen, damit ihre Einrichtung weiterhin finanzielle Unterstützung erhalten würde. Nach russischen Angaben sind mehr als 1300 ausländische Beobachter bei der Wahl aktiv. Allein die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) setzte fast 600 Beobachter ein. Sie wird am Montag ihre Einschätzung zu der Wahl verkünden.
Ein kräftiges Ja aus dem Volk wollte der Präsident, um in seiner vierten Amtszeit weiterhin als starker Mann Russlands regieren zu können – und nicht als angeschlagene, lahme Ente zu wirken. Denn der neue-alte Kreml-Chef steht vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Außenpolitisch strebt Russland nach mehr Einfluss in der Weltpolitik, ist aber gleichzeitig mehrfach schwer angeschlagen. Die internationalen Sanktionen nach der Krim-Annexion und dem Krieg im Donbass schaden dem Ruf des Landes und behindern die wirtschaftliche Entwicklung. Die Olympia-Doping-Affäre oder die mutmaßliche Vergiftung des russischen Ex-Agenten Sergej Skripal bescheren Russland weiterhin das Image eines Mafiastaates. In Syrien hat Russland zwar seine Durchgriffsfähigkeit unter Beweis gestellt – doch ob es bei der nationalen Aussöhnung und nachhaltigen Befriedung eine konstruktive Rolle spielt, ist unklar.
Die Bürger erwarten verbesserte Lebensbedingungen
Auch innenpolitisch hat Putin einige Baustellen. Nachdem ihm zuletzt vor allem außenpolitisches Engagement wichtig war, erwarten viele Russen eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebensbedingungen. Der Präsident hat milliardenschwere Investitionen ins Gesundheitssystem, in Armutsbekämpfung, Bildung und Technologieentwicklung angekündigt. Doch die Skepsis, ob er seine Versprechen einlösen kann, ist im Land zu spüren.
Und schließlich muss Putin bis 2024 seine eigene Nachfolge organisieren. Experten prognostizieren zwei mögliche Szenarien: Entweder lässt Putin die Verfassung ändern und sich als Herrscher auf Lebenszeit ernennen – das chinesische oder kasachische Modell, also. Das würde allerdings die vollständige Abkehr vom Westen bedeuten. Die andere Variante wäre der Aufbau eines Nachfolgers aus einem Pool von Technokraten: jung, loyal und ohne eigene Machtbasis.
Jutta Sommerbauer