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Gregor Gysi
© dpa

Ukraine-Krise: Putin verstehen: Gysi fliegt nach Moskau

Mitten in den zugespitzten Auseinandersetzungen um die Ukraine ist Linken-Fraktionschef Gregor Gysi nach Moskau gereist. Er will dort, wie er sagte, zur Deeskalation beitragen - vielleicht sogar im Gespräch mit Präsident Wladimir Putin.

Die Überraschung hob sich Gregor Gysi für den Schluss seiner Parteitagsrede auf. Er müsse jetzt gleich weg, um seinen persönlichen "Beitrag zur Deeskalation zu leisten", sagte Gysi am Sonntagmorgen auf dem Konvent im Berliner Velodrom. Erst gehe es noch schnell zu einer Gesprächsrunde ins Deutsche Theater, danach "fliege ich nach Moskau, um interessante und fordernde Gespräche zu führen", Ciao!" Kurz darauf machte Gysi seine geplante Reise auch im Kurznachrichtendienst Twitter publik. "Redet! Diplomatie! Diplomatie! Diplomatie!", schrieb er in einer weiteren Botschaft, und fügte seinem Tweet die Hashtags auch von Putin, Obama und Merkel hinzu.

Trifft Gysi im Verlauf der bis zum Dienstag dauernden Tour womöglich sogar selbst den russischen Präsidenten? "Eine Zusage gibt es nicht", heißt es dazu auf Anfrage aus der Parteiführung. Ausgeschlossen aber soll ein solches Gespräch auch nicht sein, zumindest, wenn es nach der Linken geht. "Ich glaube, dass es gut ist, mit Putin zu reden. Aber nicht ganz einfach, an ihn heranzukommen", erläuterte ein Bundestagsabgeordneter am Rande des Linken-Parteitages.

Angaben zum Besuchsprogramm der kurzfristig organisierten Reise machte Gysis Sprecher Hendrik Thalheim nicht. Dieses werde erst an diesem Montag endgültig feststehen. Thalheim sagte, es gehe darum, deutlich zu machen, "dass der Gesprächsfaden nicht abreißen darf, auch in zugespitzter Situation nicht". Dem Vernehmen nach verabredet sind Gespräche mit dem russischen Vize-Außenminister, dem Präsidenten der Duma sowie deren Fraktionschefs - außer dem der nationalistischen Schirinowski-Partei.

Gysi reist im Auftrag der Linksfraktion, nicht des Bundestages. Die Fahrt ist nach Angaben von Thalheim abgesprochen mit dem Auswärtigen Amt und der Botschaft in Moskau

Für neue Ost-Politik nach Vorbild von Willy Brandt

Zuvor hatte Gysi in seiner Parteitagsrede deutlich gemacht, dass seine Partei die angeblich einzige sei, die "niemals einseitig" an die Lösung des Ukraine-Konfliktes herangegangen sei, während alle anderen "völlig einseitig" seien. Er schlug - ausdrücklich unter Bezug auf Willy Brandt - eine "neue Ost-Politik" vor, in der es um Diplomatie, Respekt vor den Interessen des Ostens und Solidarität und Zusammenarbeit gehe, und nicht "um das Militär, das Säbelrasseln". Die Linke leugne nicht die Mitverantwortung Moskaus, aber: "Die Differenziertheit ist das Entscheidende." Er fügte hinzu: "Ich glaube, der Westen hat nicht begriffen, dass Russland ein Teil Europas ist."

In der Partei wurde die Reise von Gysi nach Moskau sehr begrüßt. Der Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke, der kürzlich selbst in Moskau war, sagte: "Ich bin sehr dafür, dass ich Gysi ein eigenes Bild macht." Sein Kollege Jan van Aken meinte: "Es ist super, dass er hinfährt, um zu verstehen, was Moskau antreibt." Zur Rolle von Präsident Wladimir Putin meinte er, dieser habe "natürlich seine Machtinteressen, so wie auch der Westen seine Machtinteressen hat. Und die muss man verstehen". Der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich meinte: "Wir treten die ganze Zeit dafür ein, dass man miteinander redet. Dass der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion das dann auch macht, ist nur konsequent." Bei Twitter schrieb der sachsen-anhaltinische Linken-Fraktionschef Wulf Gallert: "Gysi fährt deshalb nach Moskau, weil irgendeiner ja den Job von Steinmeier machen muss."

Kipping: Nachdenklichkeit fördern

Ausdrückliche Zustimmung für seine Reise bekam Gysi auch von der Parteivorsitzenden Katja Kipping, die noch am Samstag auf dem Parteitag erklärt hatte: "Mich braucht wirklich niemand zu belehren, dass Putin kein Linker ist." Sie sagte dem Tagesspiegel, die Situation in der Ukraine sei extrem angespannt. "Es wäre eine Katastrophe, wenn 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs wieder das Großmachtstreben einzelner zu einem Krieg führt. Insofern muss jetzt alles unternommen werden, was der Deeskalation dient." Nicht nur Russland, sondern auch EU und Nato hätten eine große Verantwortung. "Und wenn die Moskau-Reise nur dazu führen kann, Nachdenklichkeit bei einigen der Verantwortlichen zu fördern, dann war sie es schon wert."

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