Russland: Putin startet Großmanöver an der Nato-Ostgrenze
Polen und die baltischen Staaten befürchten eine dauerhafte Stationierung russischer Soldaten an ihren Grenzen.
„Sie wollen uns Angst einjagen und unseren Verteidigungswillen brechen“, sagt Dalia Grybauskaite. Die litauische Staatspräsidentin spricht von dem russisch-weißrussischen Manöver „Zapad“ (Westen), das am Donnerstag begonnen hat. Noch nie haben russische Militärübungen den Balten und Osteuropäern so viel Furcht eingejagt. „Dieses Manöver ist nicht defensiv, sondern aggressiv“, warnt der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierwicz. Auch Warschau will das Manöver genau beobachten.
Ursache ist die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim durch „grüne Männchen“ aus Russland im März 2014, das verbale Säbelrasseln von Präsident Wladimir Putin gegen das Baltikum sowie widersprüchliche Angaben zum „Zapad“-Manöver. Die Vorläufer dieser Manöver in den vergangenen Jahren dienten der Vorbereitung der Krimbesetzung. Sie endeten in Szenarien wie dem eines Atombombenangriffs auf Polen oder eines Luftschlags gegen Stockholm. Dazu kommt aktuell eine Versuchsanordnung, die von einem fiktiven Angriff auf den Unionsstaat Russland-Weißrussland durch drei Länder ausgeht, die sich auf den Manöverkarten mit Polen, Litauen und Lettland decken. Ausgehen soll diese Attacke von Saboteuren in den katholischen Gebieten Weißrusslands. Auch diese Gebiete gibt es in Wirklichkeit, sie liegen an der Grenze zu Polen.
Angaben des Kreml zufolge sollen 12.700 Soldaten, 70 Flugzeuge, 250 Panzer und zehn Kriegsschiffe an dem Manöver teilnehmen – ab 13.000 Soldaten müsste Russland nach den Regeln der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ausländische Beobachter zulassen.
Streit um Zahlen
In der Nato kursieren andere Zahlen. Von in Wirklichkeit bis zu 100.000 Soldaten ist in Brüssel die Rede. In der Ukraine kursiert gar die Zahl von 230 000 russischen Soldaten. Kiew warnt vor einer möglichen Invasion russischer Truppen von Norden her über weißrussisches Territorium. Die Ukraine hat deshalb ihre rund 1000 Kilometer lange Grenze zu Weißrussland verstärkt.
Zudem wird im Trainingslager Jaworiw an der polnischen Grenze eine Art Gegenübung im kleinen Maßstab von acht Nato-Mitgliedern (darunter auch den USA), der Ukraine, Moldawien und Georgien durchgeführt. Außerdem üben fast 19 000 Soldaten aus verschiedenen westlichen Staaten in Schweden den Ernstfall einer Attacke von einem „größeren und hochgerüsteten Gegner“.
Besorgt ist auch die weißrussische Opposition. Sie vermutet, dass die offiziell rund 3000 in Weißrussland erwarteten russischen Soldaten das Land danach nicht mehr verlassen werden. Dies ist auch die größte Sorge Polens und der baltischen Staaten. Litauen und Lettland grenzen direkt an Weißrussland, mit dem sie bisher trotz der Diktatur einen regen Austausch pflegten.
Der Autokrat Aleksander Lukaschenko selbst hatte sich bisher russischen Militärbasen widersetzt. Nun macht der wirtschaftlich von Russland hochgradig abhängige Staatsmann gute Miene zu den Manövern; immerhin hatte Lukaschenko vor 20 Jahren einen Unionsstaat mit Russland gefördert, der bisher vor allem auf dem Papier besteht.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts SKD war im Juli die Angst vor einem Krieg mit Russland in Litauen mit 68 Prozent der Befragten am größten. 62 Prozent der Letten sowie 45 Prozent der Esten teilen diese Ängste.