Krise in der Ukraine: Putin beantragt Truppenentsendung - Föderationsrat stimmt zu
Nach dem Machtwechsel in der Ukraine droht dem Land die Abspaltung der russisch geprägten Krim. Im Streit um die Halbinsel werfen sich Kiew und Moskau gegenseitig Provokationen vor. Nun hat Putin im Parlament beantragt, Truppen in die Ukraine zu entsenden.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Samstag im Parlament die Entsendung von Truppen in die Ukraine beantragt. Er wolle die Armee in dem Nachbarland einsetzen, bis sich die politische Lage wieder normalisiert habe, wurde Putin in einer Erklärung des Kremls zitiert. Zur Begründung für seinen Antrag an den Senat, das Oberhaus des Parlaments, nannte der Staatschef die „außergewöhnliche Lage“ in der Ukraine und eine „Bedrohung“ für die dort lebenden russischen Staatsbürger. Der russische Föderationsrat hat der Bitte des Kremlchefs bereits zugestimmt.
Der russische Föderationsrat hält den Einsatz eines begrenzten Kontingents an Streitkräften für zulässig, um die Lage auf der Halbinsel Krim zu normalisieren. Das Oberhaus in Moskau lasse diese Möglichkeit zum Schutz der Bürger und der russischen Schwarzmeerflotte zu, sagte Föderationsratschefin Valentina Matwijenko am Samstag der Agentur Interfax zufolge.
Die Entscheidung für einen Militäreinsatz liege beim russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte Matwijenko. „Aber heute, da wir die Situation sehen, lässt sich eine solche Variante nicht ausschließen. Wir müssen die Menschen schützen“, betonte sie.
Frankreich ist nach den Worten von Außenminister Laurent Fabius „außerordentlich besorgt“ über Berichte, in denen von beträchtlichen Truppenbewegungen auf der Krim die Rede ist. Alle Seiten müssten alles vermeiden, was die Spannungen verschärfen und die territoriale Integrität der Ukraine antasten könnte, erklärte Fabius am Samstag in Paris. Es müsse alles unternommen werden, um eine politische Lösung der Krise zu erreichen. Fabius sagte, er stehe in engem Kontakt mit den ukrainischen und russischen Behörden, ebenso wie mit den wichtigsten europäischen Partnern.
Miltärdoktrin erlaubt Auslandseinsätze zum Schutz russischer Bürger
Zuvor hatten der Chef der Staatsduma, Sergej Naryschkin, sowie der Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow ein entsprechendes Gesuch um Beistand an Putin gerichtet. Der Kreml hatte zunächst nur mitgeteilt, das Ersuchen von Aksjonow zu prüfen. Die russische Militärdoktrin erlaubt den Einsatz von Streitkräften im Ausland zum Schutz eigener Bürger.
Es seien Schritte für eine Stabilisierung der Lage auf der Krim nötig, sagte Parlamentschef Naryschkin. „Die Abgeordneten rufen den Präsidenten auf, (...) alle zur Verfügung stehenden Mittel für den Schutz der Bevölkerung auf der Krim vor Willkür und Gewalt zu gewährleisten“, sagte Naryschkin.
Russland verurteilte einen gewaltsamen Versuch, das Gebäude des Innenministeriums in der Krim-Hauptstadt Simferopol zu stürmen. Die ukrainischen Truppen wurden zurückgedrängt. Es gab Verletzte.
Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Vitali Klitschko verurteilte die Vorfälle auf der Krim als „unglaubliche Aggression Russlands“. Es handle sich um einen „bewaffneten Einbruch“. „Es geht ausschließlich um die Provokation“, sagte Klitschko am Samstag in einer Video-Liveschaltung zu einer Diskussionsveranstaltung in Paderborn. Zum Zeitpunkt des Statements war die Zustimmung des russischen Föderationsrates zu einem Militäreinsatz auf der Krim noch nicht bekannt.
Klitschko betonte, es gebe keinen Konflikt zwischen den Bürgern auf der Krim. Die Mehrheit der Ukrainer strebe nach westlichen Werten. Reformen seien dringend notwendig, sagte Klitschko bei der Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Bertelsmann Stiftung. Die Ukraine gelte als eines korruptesten Länder Europas. Es gehe um Reformen in der Wirtschaft, in der Verwaltung, bei den Medien. „Internationale Hilfe ist sehr sehr wichtig.“
Merkel pocht auf territoriale Unversehrtheit der Ukraine
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich über die Lage auf der ukrainischen Halbinsel Krim besorgt geäußert und eine Deeskalation angemahnt. Die territoriale Integrität des Landes müsse gewahrt werden, sagte Merkel am Samstag in Berlin. “Das, was wir auf der Krim erleben, das besorgt uns sehr.“ Zusammen mit Anderen versuche sie in Gesprächen auch mit Russland und der neuen ukrainischen Führung, für eine friedliche Entwicklung zu werben. Zugleich lobte die Kanzlerin die politischen Reformen in Kiew, die die EU schon aus historischer Verpflichtung unterstützen müsse. “Deshalb müssen wir ihrem Ruf und Willen nach Freiheit und Demokratie alle Unterstützung geben“, sagte Merkel. Sie hat außerdem die Forderung nach territorialer Unversehrtheit der Ukraine bekräftigt.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verlangte von Moskau, unverzüglich Klarheit über die russischen Ziele auf der Krim zu schaffen. Er sprach von einer gefährlichen Entwicklung: „Wer jetzt weiter Öl ins Feuer gießt, mit Worten oder Taten, setzt bewusst auf Eskalation.“ „Alles, was Russland auf der Krim tut, muss in vollem Einklang stehen mit der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine und den Verträgen über die russische Schwarzmeerflotte“, verlangte Steinmeier. Man werde die russische Regierung an ihren Zusagen messen. „Dazu gehört, dass Russland jetzt nicht nur unverzüglich volle Transparenz über die Bewegungen seiner Truppen auf der Krim, sondern auch über seine dahinter stehenden Ziele und Absichten herstellt.“ Steinmeier betonte, Deutschland sei mit seinen Partnern in enger Abstimmung. „Aus meiner Sicht ist es nötig, dass wir Europäer schnell zusammenkommen, um eine gemeinsame Haltung der Europäischen Union abzustimmen.“
Die Krise auf der Krim
Mit rasantem Tempo wachsen zwischen der Ukraine und Russland die Spannungen um die autonome Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Der moskautreue neue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow übernahm am Samstag vorübergehend die Befehlsgewalt in der Autonomen Republik. Er rief Kremlchef Wladimir Putin um Beistand für Ruhe und Frieden an. Die Präsidialverwaltung in Moskau teilte mit, das Ersuchen werde geprüft.
Zugleich zog die prorussische Führung in Simferopol ein Referendum über die Zukunft der Autonomen Republik auf den 30. März vor. Im Gegenzug forderte der neue ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk Russland zum Rückzug seiner Truppen von der Krim auf.
Das Referendum war ursprünglich für den 25. Mai geplant. Grund für die Vorverlegung sei die zunehmende Verschlechterung der Lage auf der Halbinsel, sagte der moskautreue Regierungschef Aksjonow am Samstag. „Der Konflikt ist über die Grenzen des Vernünftigen hinausgegangen“, sagte er. Das Datum sei aber weiterhin nur vorläufig - und abhängig von der Entwicklung.
Die russische Staatsduma hat Kremlchef Wladimir Putin dazu aufgerufen, der neuen moskautreuen Regierung auf der Halbinsel Krim Beistand beim Schutz der Bürger zu leisten. Es seien Schritte für eine Stabilisierung der Lage dort nötig, sagte Parlamentschef Sergej Naryschkin am Samstag der Agentur Interfax zufolge.
In einer öffentlichen Erklärung sagte Aksjonow, die Truppen des Innenministeriums, des Geheimdienstes SBU sowie die Flotte, der Zivilschutz und andere Dienste hätten nun seinem Kommando zu folgen. „Wer nicht einverstanden ist, den bitte ich, den Dienst zu verlassen“, sagte er. Nach der Befehlsübernahme von Aksjonow war die Lage zunächst ruhig.
„Unzulässigen Aufenthalt“ russischer Soldaten auf der Krim
Der prorussische Regierungschef warf der ukrainischen Zentralregierung vor, die Verfassung der Autonomen Krim-Republik zu verletzen. So sei ohne Mitsprache der Krim-Führung etwa ein neuer Polizeichef ernannt worden, kritisierte der Politiker. Ihm wurde der Zugang zur Behörde in Simferopol verweigert.
Der neue ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk forderte Russland auf, seine Truppen von der Krim abzuziehen. Es gebe gegenwärtig einen „unzulässigen Aufenthalt“ russischer Soldaten auf der Krim. Zuvor hatten ukrainische Behörden behauptet, dass 2000 russische Soldaten in Iljuschin-Maschinen auf der Krim seien. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aber nicht. Der Luftraum über Simferopol war weiter gesperrt, hieß es.
Die Ukraine werde auf Provokationen nicht mit Gewalt reagieren, sagte Jazenjuk. Nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch verschärfte sich die Krise in der vor dem Staatsbankrott stehenden Ex-Sowjetrepublik weiter. Interimspräsident Alexander Turtschinow hatte davor gewarnt, dass Russland eine Annexion der Krim plane. Der sowjetische Kremlchef Nikita Chruschtschow hatte die Krim 1954 an seine ukrainische Heimat verschenkt. Bis heute wohnen dort mehrheitlich Russen.
Die USA verschärften ihren Ton gegenüber Russland. Im Fall einer russischen Militärintervention in der Ukraine wollen die USA möglicherweise den G8-Gipfel in Russland platzen lassen. Washington erwäge, das Treffen im russischen Sotschi im Juni zu boykottieren, sagte ein hochrangiger Regierungsbeamte der Nachrichtenagentur dpa. Dabei sei man auch mit europäischen Partnerländern im Gespräch.
Obama: Verletzung der Souveränität werde einen „Preis“ haben
US-Präsident Barack Obama erklärte, eine militärische Intervention auf die Krim würde ihren „Preis“ haben. Bei einer spontan anberaumten Pressekonferenz sagte er am Freitag: „Jede Verletzung der Souveränität und Grenzen der Ukraine wäre zutiefst destabilisierend“.
Das russische Außenministerium reagierte in einer Stellungnahme „äußerst besorgt“. Aus Kiew entsandte Truppen hätten in der Nacht zum Samstag versucht, das Innenministerium der Krim-Republik einzunehmen, kritisierte die Behörde. Bei der erfolgreichen Abwehr der geplanten Gebäudeübernahme habe es Verletzte gegeben. „Wir halten es für äußerst unverantwortlich, die ohnehin gespannte Lage auf der Krim weiter anzuheizen“, hieß es in der Mitteilung.
Russland wies unterdessen Kritik der Ukraine und Westens zurück. „Wir haben einen Vertrag mit der Ukraine über die Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte. Und wir handeln im Rahmen dieser Vereinbarung“, sagte der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen (UN), Witali Tschurkin. Russland hatte wiederholt betont, dass die wachsenden Spannungen in der Ukraine auf den Einfluss von Rechtsextremisten und Nationalisten in der neuen ukrainischen Regierung zurückzuführen seien. (AFP, dpa)