Ukraine: Kiew wirft Moskau "militärische Intervention" vor
2000 russische Soldaten sollen auf der Krim gelandet sein. Unbekannte Bewaffnete besetzen zwei Flughäfen, Militärhubschrauber kreisen über dem Gebiet: Die Regierung der Ukraine fürchtet eine "Okkupation". US-Präsident Obama richtet eine scharfe Warnung an die Russen.
Die Ukraine hat Russland vorgeworfen, massiv die Grenze zwischen beiden Ländern zu verletzen. „Wir betrachten das als Aggression“, sagte der ukrainische Botschafter Juri Sergejew am Freitag nach einer eilig anberaumten Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. „Deshalb ruft die Regierung meines Landes die Vereinten Nationen auf, diese Verletzungen zu verurteilen.“ Weiter sagte er: „Nicht nur, dass Soldaten und Transportflugzeuge in unseren Luftraum eingedrungen sind. Es haben auch elf Hubschrauber die Grenze verletzt. Und ich spreche von Mi-24. Das sind keine einfachen Transport-, das sind Kampf- und Angriffshubschrauber.“ Es sei das gleiche Szenario wie in anderen früheren Sowjetrepubliken.
Zudem hätten Soldaten des Nachbarlands eine Gruppe Grenzschützer in der Hafenstadt Sewastopol festgesetzt, wo die russische Schwarzmeerflotte ihren Stützpunkt hat. Am späten Abend verbreiteten ukrainische Regierungsvertreter die Nachricht, dass auf der ukrainischen Halbinsel Krim rund 2000 russische Soldaten auf einer Militärbasis nahe Simferopol gelandet seien. Der Sondergesandte der ukrainischen Präsidentschaft auf der Krim, Sergej Kunizyn, sprach im Fernsehen von einer „bewaffneten Invasion“. Demnach landeten 13 russische Flugzeuge mit jeweils 150 Soldaten in der Nähe der Hauptstadt der autonomen Teilrepublik. Der Luftraum sei daraufhin geschlossen worden, sagte Kunizyn. Übergangspräsident Alexander Turtschinow forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, die „Aggression“ auf der Krim zu stoppen. Auch von Seiten der US-Regierung hieß es am Abend, die Russen hätten "mehrere hundert" Soldaten auf die Krim geschickt.
US-Präsident Barack Obama warnte Russland mit scharfen Worten vor einem militärischen Eingreifen in der Ukraine. Die Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine hätte einen „Preis“, sagte Obama am Freitag in Washington. Die Vereinigten Staaten seien „zutiefst besorgt“ über die Berichte einer Entsendung russischer Truppen auf die Halbinsel Krim.
Am Morgen haben Bewaffnete zwei Flughäfen auf der Krim besetzt
Bereits in den frühen Morgenstunden hatten bewaffnete Männer die Flughäfen von Simferopol und Sewastopol besetzt. Arsen Awakow, der am Donnerstag zum amtierenden ukrainischen Innenminister ernannt wurde, warf Russland „militärische Intervention“ und „Okkupation der Krim“ vor. Ein Sprecher der Schwarzmeerflotte wies die Vorwürfe zurück.
Wer genau für die Besetzungen der Flughäfen verantwortlich war, blieb zunächst unklar. Wahrscheinlich handelte es sich um Heimwehren der russischsprachigen Bevölkerung. Ein Unterstützer der bewaffneten Gruppe auf dem internationalen Flughafen von Simferopol beschrieb diese als einfache Männer der „Volksmiliz der Krim“. Moskau jedenfalls dementierte vehement eine Beteiligung der Schwarzmeerflotte. Soldaten und Matrosen hätten ihre Basen auf der Krim nicht verlassen. Die Schwarzmeerflotte ist in Sewastopol stationiert.
Putin und Merkel haben telefoniert und mahnen zur Deeskalation
Die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens äußerten sich „zutiefst besorgt“ über die Spannungen auf der Krim und riefen alle Beteiligten zur Mäßigung auf. Es sollte alles unterlassen werden, was die Einheit der Ukraine gefährden könnte, erklärten Frank-Walter Steinmeier, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski. Am Nachmittag telefonierten Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel miteinander über die Krise. Putin habe dazu aufgerufen, eine weitere Eskalation der Situation zu vermeiden. Merkel habe ihre Sorge vor einer Destabilisierung des Landes geäußert, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Abend mit.
Am Nachmittag gab der abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch erstmals seit seiner Entmachtung vor einer Woche eine Pressekonferenz. Er machte den Westen für die Krise seines Landes verantwortlich. Er forderte eine „unparteiische und unvoreingenommene Untersuchung der tragischen Ereignisse in Kiew“ – gemeint waren die Toten bei Zusammenstößen zwischen proeuropäischen Demonstranten und Spezialeinheiten der Polizei. Opfer und Unruhen seien das Ergebnis einer „verantwortungslosen Politik des Westens“, die die Straße aufgehetzt habe, sagte Janukowitsch im südrussischen Rostow am Don.
Janukowitsch taucht wieder auf und wähnt sich weiter im Amt
Zugleich erklärte er, niemand habe ihn abgesetzt, und er sei auch nicht geflohen. Er habe das Land verlassen müssen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Er äußerte sich zugleich „verwundert“, dass der russische Präsident Wladimir Putin ihn noch nicht getroffen habe. Der ukrainische Generalstaatsanwalt erklärte, er werde Russland um die Auslieferung des Ex-Präsidenten bitten.
In einem Appell an das ukrainische Volk hatte Janukowitsch schon am Donnerstag erklärt, er betrachte sich weiter als legitimen Präsidenten und werde bis zum Ende für die Umsetzung der Kompromissvereinbarung kämpfen, die er vor einer Woche unter Vermittlung der Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens mit der Opposition unterzeichnet hatte. Die Entwicklungen auf der Krim zeigten, dass die Menschen Anarchie, Gesetzlosigkeit und Ernennung von Ministern durch die Straße nicht hinnähmen.
Das ebenfalls von Bewaffneten besetzte Parlament der Schwarzmeerhalbinsel hatte am Donnerstag eine Erklärung verabschiedet, in der die Volksvertreter Janukowitsch weiterhin als legitimen Präsidenten bezeichnen. Außerdem setzten sie für den 25. März eine Volksabstimmung zum künftigen Status der Region an. Von Unabhängigkeit und Beitritt zur Russischen Föderation, wie es die moskautreue Fraktion des Krimparlaments fordert, ist im Entwurf des Textes für das Referendum bisher zwar nicht die Rede. Darin geht es nur um eine Erweiterung der bereits bestehenden Autonomierechte der Krim. Das Kleingedruckte lässt jedoch befürchten, dass nach der Abstimmung die Tage der Ukraine als Einheitsstaat gezählt sind. Zumal dem Beispiel der Krim andere Regionen im Süden und Osten mit überwiegend russischsprachiger Bevölkerung folgen könnten.
Das russische Außenministerium teilte derweil mit, die Mitglieder der aufgelösten ukrainischen Bereitschaftspolizei Berkut sollten russische Pässe bekommen. Das russische Konsulat in Simferopol sei damit beauftragt worden, „alle nötigen Maßnahmen“ dafür einzuleiten. Die Berkut wird für zahlreiche brutale Übergriffe auf Demonstranten verantwortlich gemacht und wurde nach dem Sturz Janukowitschs von der Übergangsregierung aufgelöst.
Moskau lockt unterdessen mit Investitionen in loyalen Teilen der Ukraine. Allein auf der Krim sollen Projekte im Gesamtwert von mehr als fünf Milliarden Dollar realisiert werden. Präsident Wladimir Putin, so sein Sprecher, habe dabei zur Eile gedrängt. Das Wirtschaftsministerium hat russischen Unternehmern eine Beteiligung „ausdrücklich empfohlen“. mit rtr/AFP
Elke Windisch