Crystal Meth: Psycho-Droge, die zerstört
Wach bleiben um jeden Preis: Crystal Meth ist kein Neuling unter den Psychostimulanzien. Aber es ist besonders gefährlich - und in Deutschland auf dem Vormarsch.
Präsent, alert, bestens gelaunt, gesprächig, tatendurstig, von sich selbst überzeugt, leichtlebig, unternehmungslustig, ausdauernd und motiviert auch bei eher langweiligen Arbeiten, erotisch angeregt, dabei frei von Angst, Schmerzen und banalen Bedürfnissen wie dem nach Essen, Trinken, einer kurzen Ruhepause oder einem Schläfchen: Wer möchte sich nicht gern öfter mal so fühlen? Unter den Drogen sind es, neben dem teuren, kurz wirksamen und schnell abhängig machenden Kokain, vor allem die Amphetamine, die eine solche Wirkung versprechen. Die synthetisch oder halbsynthetisch hergestellten Substanzen zählen zu den Psychostimulanzien. Sie wirken anregend auf das Zentralnervensystem, erhöhen Herztätigkeit, Körpertemperatur und Blutdruck, sorgen für verstärkte Ausschüttung der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin, machen wach und alarmbereit. 26 Millionen Konsumenten nutzen weltweit amphetaminhaltige Substanzen als Drogen.
Die Wirkung ist auch in niedrigen Dosen stark
Als Arzneimittel kommen Mitglieder dieser Familie dagegen nur noch selten zum Einsatz, schon weil sie schnell abhängig machen können. Eine große Ausnahme ist das chemisch dem Amphetamin sehr ähnliche Methylphenidat, besser bekannt unter dem Namen Ritalin. Die Substanz wirkt bei Menschen mit der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung ADHS „paradox“: Das Mittel macht Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene mit ADHS, die unter starker körperlicher Unruhe und Unkonzentriertheit leiden, ruhiger und aufmerksamer. Das Familienmitglied Crystal Meth ist die kristalline Form von N-Methylamphetamin (chemische Summenformel C10H15N). Es kann die körpereigene Barriere für den Eintritt chemischer Substanzen ins Gehirn, die sogenannte Blut- Hirn-Schranke, besser überwinden und wirkt deshalb auch in niedriger Dosierung stark. Im Vergleich zu reinem Amphetamin, aus dem etwa Speed besteht und das auch Bestandteil vieler „Designerdrogen“ ist, hält seine Wirkung zudem länger vor. Es kann zu schweren Rauschzuständen mit Halluzinationen führen und akute Psychosen zur Folge haben.
Es geht um mehr als länger feiern und tanzen
Während Speed meist geschnupft wird (und so die Nasenschleimhaut schädigen kann), wird Crystal Meth oft geraucht oder in die Vene gespritzt. So fluten hohe Wirkstoffkonzentrationen schnell an. „Crystal Meth ist ohne Frage eine schnell wirksame, bei regelmäßigem Konsum sehr zerstörerische Droge, die schnell psychisch abhängig macht, vor allem wenn sie inhaliert oder intravenös konsumiert wird“, urteilt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in ihrem Jahrbuch Sucht 2013.
Die Motive für diesen Konsum gehen über das Durchhalten beim Feiern und Tanzen weit hinaus, wie eine Befragung von 392 Konsumenten im Auftrag der Bundesregierung zeigt, deren Ergebnisse das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Uni Hamburg vor kurzem veröffentlicht hat. Die Befragten geben etwa an, sie hätten Crystal Meth genommen, „um die langweilige Ausbildung wach durchzustehen“, „bei monotonen Arbeiten im Haushalt“, „um Krankheiten zu überspielen“, „um für die Kinder fit zu sein“ und „um zu beweisen, dass ich mit 54 noch fit bin für den Arbeitsmarkt“. Viele Konsumenten nehmen es täglich. Schon um einem Umschlagen der Stimmung und der Erschöpfung zuvorzukommen, das sich einstellt, wenn die Wirkung aufhört. Viele berichten auch über Mischkonsum, typischerweise mit Cannabis oder Opiaten, die sie nehmen, um ruhiger zu werden und schlafen zu können. 60 Prozent der Befragten sagen, dass sie einen Suchtdruck verspüren. Viele berichten aber auch, dass sie mit „Kleinstdosen“ auskommen und ihren Alltag gut bewältigen.
"Hausfrauenschokolade" und "Göring-Pille" im Krieg
26 Prozent der Befragten gaben zudem an, das sei ihnen schon seit mehr als zehn Jahren zur Gewohnheit geworden. Neu ist Crystal Meth also keineswegs. Nahe der tschechischen Grenze ist Crystal Meth, dessen Ausgangsstoffe in vielen handelsüblichen Medikamenten vorkommen, schon seit mindestens 20 Jahren bekannt. Doch es lohnt sich, noch weiter in die Geschichte zurückzugehen: Im Jahr 1938 kamen aus den klaren Kristallen des Methamphetamin-Hydrochlorid hergestellte Pillen unter dem Namen Pervitin in den Handel. Das – zunächst rezeptfrei zu habende – Mittel wurde in Deutschland schnell populär. Sogar mit Pervitin versetzte Pralinen waren zu kaufen: Das Naschen der „Hausfrauenschokolade“ sollte Damen gegen schlechte Stimmung helfen. Vor allem aber stärkte die „Wunderpille“ bald Kampfmoral und Durchhaltevermögen der Wehrmachts-Soldaten, half insbesondere Fliegern beim Durchstehen der nächtlichen Einsätze. 35 Millionen Tabletten soll die Wehrmacht allein im April 1940 bestellt haben. Und das, obwohl in Ärztefachzeitschriften vor Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Auszehrung, Schäden an Nervenzellen und Zähnen, Problemen mit Herz, Kreislauf und Nieren gewarnt wurde. Doch viele Soldaten kamen nicht mehr ohne aus. „Vielleicht könnt Ihr mir noch etwas Pervitin für meinen Vorrat besorgen?“, fragte auch der 22-jährige Soldat Heinrich Böll im Mai 1940 in einem Feldpostbrief aus Polen bei seiner Familie an. Die Karriere der „Göring-Pille“ setzte sich im Vietnamkrieg fort.
Der Entzug beginnt mit sehr viel Schlaf
Im Vergleich dazu wirken die Zahlen des Suchtsurvey 2012 fast bescheiden: Drei Prozent der Erwachsenen zwischen 18 und 64 Jahren haben danach irgendwann einmal im Verlauf ihres Lebens eine Droge aus dem Spektrum der Amphetamine genommen, ein Promille der Bevölkerung ist den Schätzungen zufolge davon abhängig. In grenznahen Regionen wie Oberfranken jedoch hat dieses Problem in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Wagnerstadt Bayreuth muss sich inzwischen auch den Beinamen „Kristallstadt“ gefallen lassen. Die Zahl der Patienten, die sich im dortigen Bezirkskrankenhaus behandeln lassen, um von amphetaminhaltigen Drogen loszukommen, ist in den vergangenen 15 Jahren um den Faktor 7,5 angestiegen, wie Daniela Thurn berichtet, Psychologin auf der Drogenentzugsstation des Bezirkskrankenhauses. „Viele der jährlich rund 100 Patienten aus dieser Gruppe nehmen unterschiedliche Drogen, darunter auch Speed, Ecstasy, Cannabis und Opiate, letztere zum ,Herunterkommen’ und Dämpfen, der größte Teil von ihnen hat mit Crystal Erfahrung.“
Zu Beginn der Behandlung holen viele der Crystal-Patienten erst einmal tagelang überfälligen Schlaf nach. Erst dann kann das interdisziplinär gestaltete Programm mit Gruppen- und Einzelgesprächen, Ergotherapie und Bewegung beginnen. Auch Psychoedukation gehört dazu, in der es darum geht, Suchtdruck zu erkennen, Strategien zum Widerstehen gegenüber erneuten Drogenangeboten und für ein Bestehen im Alltag ohne sie zu entwickeln. Langzeitdaten zu den Erfolgen der Behandlung fehlen noch. Und trotz des Problems Crystal Meth ist eines sicher: Insgesamt spielt im System der ambulanten und stationären Suchthilfe und Suchttherapie weiterhin eine legale Droge die Hauptrolle: Alkohol.