Studium: Mehr Druck, mehr Sucht
Immer mehr Studierende trinken zu viel Alkohol – auch wegen des Bachelors.
Studierende in den neuen Bachelor-Studiengängen nehmen häufiger Drogen als die Studierenden in den alten Studiengängen. Das geht aus zwei Befragungen an der TU Braunschweig hervor.
Demnach wächst die Zahl derjenigen, deren Alkoholkonsum als riskant oder gefährlich zu bewerten ist, bei Studierenden aller Studiengänge. Lag der Anteil bei der ersten Befragung im Jahr 2006/2007 noch bei 12,2 Prozent, so stieg er im Jahr 2008 auf 19 Prozent. Befragte aus Bachelor-Studiengängen sind demnach aber prozentual wesentlich stärker in dieser Gruppe vertreten als Studierende in Diplom-Studiengängen. Zum sogenannten Binge-Drinking (mehr als fünf Gläser Alkohol täglich an mindestens fünf Tagen im Monat) bekennen sich 16,9 Prozent aller Befragten im Diplom-Hauptstudium, aber 35,7 Prozent der Bachelor-Studierenden. Männer sind dabei doppelt so stark gefährdet wie Frauen.
„Alkohol ist bei den meisten nur ein vorübergehendes Problem. Es ist aber offensichtlich, dass der wachsende Studiendruck in den Bachelor-Studiengängen gesundheitliche Auswirkungen hat und Süchte begünstigt. Da hilft aber kein Alkoholverbot, wir brauchen veränderte Studienbedingungen“, sagt Wolfgang Schulz, Professor für Psychologie an der TU Braunschweig. Schulz sprach jetzt bei einer Tagung des Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen in Braunschweig zum Thema „Suchtmittel bei Studierenden“.
Insgesamt raucht die Hälfte der Studierenden, jeder dritte trinkt zu viel Alkohol, 28 Prozent nehmen illegale Drogen. Ehemalige Studierende mögen sich wundern, dass sich Experten angesichts dieser Zahlen Sorgen machen – früher war in manchen Vorlesungen vor lauter blauem Zigarettendunst der Professor kaum noch zu erkennen. Heute ist das Rauchen an den Hochschulen verboten und es wird diskutiert, ob auch der Alkohol vom Campus der Unis verbannt werden soll. Gesundheitsberater Walter Farke verweist dagegen darauf, dass in anderen Ländern wie Schweden und Polen ein generelles Alkoholverbot an den Universitäten gelte. Dagegen gebe es in Deutschland wohl auch keinen allzu großen Widerstand. In einer Befragung unter 3300 Studierenden in Nordrhein-Westfalen plädierten 70 Prozent der Frauen und die Hälfte der Männer für ein Verkaufsverbot von Alkohol auf dem Campus. „Bisher gab es an unserer Uni zur Erstsemesterbegrüßung auch Alkohol. Beim letzten Mal hatten wir aber schon mittags so viele ,Ausfälle’, dass künftig kein Alkohol mehr zu diesem Anlass bis 18 Uhr ausgeschenkt wird“, sagt Thomas Spengler, Vizepräsident der TU Braunschweig.
Laut Astrid Schäfer vom Deutschen Studentenwerk wird in den Mensen und Cafés allerdings schon heute immer seltener Alkohol angeboten – nicht aus Präventionsgründen, sondern weil in den letzten Jahren der Verkauf ohnehin mangels Nachfrage zurückgeht. Offenbar schöpfen die Studierenden aus anderen Quellen.
Während der übermäßige Genuss von Bier, Wein oder Schnaps an den Hochschulen Tradition hat, entwickelt sich in den letzten Jahren eine neue Sucht: die pathologische Computernutzung. Diplom-Psychologe Wilfried Schumann, Leiter der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks Oldenburg, hält Studierende dabei für stärker gefährdet als den durchschnittlichen Nutzer. Nach seiner Überzeugung ist das Kriterium für süchtiges Verhalten nicht unbedingt die Zeit, die man insgesamt im Internet verbringt. Viele junge Leute kommunizierten heute mit ihren Freunden vorrangig über das Internet, vor 30 Jahren hätten sie vielleicht stundenlang telefoniert. Von Abhängigkeit sei vielmehr dann zu sprechen, „wenn Entzugssymptome bei Nichtverfügbarkeit des Internets auftreten und man auch trotz negativen Folgen wie drohendem Scheitern im Studium oder Problemen mit seinem sozialen Umfeld seinen Computerkonsum nicht einschränken kann“, stellt Schumann fest.
Experten schätzen, dass vier bis fünf Prozent der Studierenden nicht vom Computer loskommen – das wären bei zwei Millionen Immatrikulierten knapp 100 000 Betroffene, davon 90 Prozent Männer. Zumal Computerspiele übten einen unabweisbaren Reiz aus.
Schumann sieht dabei einen Zusammenhang zum Unialltag. „Insgesamt fällt es vielen Studierenden immer schwerer, sich für ihr Studium in ein Thema tief einzuarbeiten, selbstständig zu recherchieren, viel zu lesen. Der Aufwand ist sehr groß, die Belohnung lässt auf sich warten.“ Im Computerspiel habe man dagegen sehr schnell Erfolgserlebnisse. „In Spielen wie ,World of Warcraft‘ erfüllt man in einem virtuellen Team eine Aufgabe, man wird wichtig und erhält Anerkennung durch die Mitspieler.“ Eine kleinere Studierendengruppe konsumiere auch zwanghaft Sex und Pornografie über das Internet.
Meistens könnten in der psychologischen Beratung schon in wenigen Gesprächen Ansätze gefunden werden, die Probleme in den Griff zu bekommen. Es gehe darum zu überlegen, wie im realen Leben die Dinge erreicht werden könnten, die der Student in der virtuellen Welt suche: „Wer zu uns kommt, hat schon den wichtigsten Schritt gemacht. Sorge bereiten mir diejenigen, die gar nicht den Weg zu uns schaffen“, sagt Schumann.
Amerikanischen Untersuchungen zufolge werden bei den US-Studierenden leistungssteigernde Medikamente immer beliebter – die Zahlen derjenigen, die regelmäßig dazu greifen schwanken zwischen drei und 16 Prozent. Diese Studierenden hoffen, durch die Einnahme von Mitteln für ADHS-Patienten oder für Demenzkranke ihre Wachheit, Konzentration, Stimmung und Merkfähigkeit steigern zu können. Zu den Wirkstoffen zählen dabei Methylphenidat (Ritalin), Modafinil (Vigil), Amphetamine, Antidementiva und Antidepressiva.
„Keine dieser Substanzen wirkt nachgewiesenermaßen bei Gesunden“, sagt indes Davinia Talbot, Assistenzärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Uni Münster. Trotzdem führten positive Berichte manche in Versuchung, es einmal selber auszuprobieren. Da die Medikamente verschreibungspflichtig seien, würden Ärzten Krankheitssymptome vorgetäuscht, um ein Rezept zu bekommen. Trotz der fehlenden Wirkung seien Studierende nach der Einnahme überzeugt, dass der gewünschte Zustand erreicht worden sei. Dabei sei die Einnahme wegen der fehlenden Kenntnisse über Nebenwirkungen bei Gesunden ein „unvernünftiges Experiment“.
Joachim Göres