Hongkong: Protest unterhalb des Politik-Radars
Für die Berliner Politik läuft der Protest der Demokratiebewegung in Hongkong derzeit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle ab. Und demnächst kommt Pekings Premier Li Keqiang nach Deutschland - kein gutes Umfeld für einen allzu kritischen deutsch-chinesischen Dialog. Ein Kommentar.
Eine Wiederholung des Tienanmen-Massakers von 1989 ist aller Voraussicht nach in Hongkong nicht zu erwarten. Bis heute haften im kollektiven Gedächtnis der Weltöffentlichkeit die Bilder vom „Platz des Himmlischen Friedens“. Sie prägen die Vorstellung von einer Staatsmacht in Peking, die brutal gegen die Demokratiebewegung vorgeht. Die Führungsriege in Peking hat kein Interesse daran, dass sich ein solches China-Bild im Westen weiter verfestigt. Deshalb geht sie nicht mit Panzern gegen die Demonstranten in Hongkong vor, was ohnehin in der nach der Losung „Ein Land, zwei Systeme“ regierten Sonderwirtschaftszone kaum vorstellbar wäre. Dafür wird der Protest mit anderen Mitteln erstickt.
Abgeordneter wird abgeführt
Peking versucht, sich der Demonstranten gewissermaßen diskret zu entledigen: Ein pro-demokratischer Abgeordneter, der „echte Wahlen“ bei der Entscheidung über den künftigen Regierungschef in Hongkong fordert, wird abgeführt. Nach Angaben des amerikanischen Sicherheitsunternehmen Lacoon Mobile Services werden die Demonstranten in der ehemaligen britischen Kronkolonie von Hackern auf dem chinesischen Festland angegriffen.
So verläuft die Niederschlagung des Protestes in Hongkong unterhalb der Wahrnehmungsschwelle – zumal der Politik in Berlin. Politiker aus der Regierungskoalition leisten auf Nachfrage zwar verbale Unterstützung für die Demokratiebewegung in der Sonderwirtschaftszone, aber richtig aufgetaucht ist das Thema auf dem dem Radar der hiesigen Außenpolitiker noch nicht. Ukraine, Ebola, der Kampf gegen den IS – möglicherweise liegt das Schweigen vieler Politiker in Berlin darin begründet, dass es auch ohne die Demokratiebewegung in Hongkong schon genug Krisenherde auf der Welt gibt, die ein schnelles Handeln erfordern.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Demokratie-Bewegung in Hongkong noch immer in der Minderheit ist. Zwar haben sich Hunderttausende einem inoffiziellen Referendum der Occupy-Bewegung in der Sonderverwaltungszone angeschlossen. Aber der Protest wird nicht unbedingt von der Mehrheit der Bürger in der Millionenstadt getragen.
China sieht den Umgang mit dem Protest als innere Angelegenheit
Und möglicherweise ist Bundeskanzlerin Angela Merkel auch ganz froh, wenn sie sich nicht allzu deutlich Richtung Peking äußern muss. Die dortige Führungsriege betrachtet die Vorgänge in Hongkong ohnehin als innere Angelegenheit. Und in diesem Monat wird der chinesische Premier Li Keqiang in Deutschland bei den deutsch-chinesischen Konsultationen erwartet – kein gutes Umfeld für einen allzu kritischen deutsch-chinesischen Dialog.
Die britische Regierung will wegen der Proteste in Hongkong immerhin den chinesischen Botschafter einbestellen. Auch von den übrigen Regierungen in der EU darf man erwarten, dass sie ihre Kritik gegenüber der Pekinger Führung – auf welchen Kanälen auch immer – genauso deutlich zum Ausdruck bringen wie die britische Diplomatie. Eines sollten die EU-Staaten auf jeden Fall vermeiden: dass sie sich von China in der Hongkong-Frage nach dem Motto „Teile und herrsche“ auseinanderdividieren lassen.