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Zehntausende versammelten sich auch am Montag vor dem Regierungsgebäude in Hongkong und blockierten die Straße in den Finanzdistrikt.
© Reuters

Proteste in Hongkong: China fürchtet eine Revolution

Die Jungen in Hongkong demonstrieren nicht nur gegen China. Gerade das macht die Proteste für die Zentralregierung in Peking so gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Benedikt Voigt

Die Einwohner Hongkongs sind sehr geübte Demonstranten. Es ist fast schon eine Tradition, dass sich jedes Jahr am 4. Juni Zehntausende auf den Fußballfeldern des Victoria Parks versammeln, um der Toten und Verletzten des Tiananmen-Massakers in Peking zu gedenken. Und am 1. Juli, dem Jahrestag der Übergabe der britischen Kolonie an China 1997, demonstrieren jährlich Hunderttausende für ein allgemeines Wahlrecht und mehr Demokratie in ihrer Stadt. Trotzdem ist das, was am Sonntag und Montag auf den Straßen in die den Stadtteilen Central und Mongkok passiert ist, neu. Und gefährlich.

Nach wie vor zieht Peking die Strippen bei den Wahlen in Hongkong

Eigentlich fordern die zumeist sehr jungen Demonstranten der Demokratiebewegung „Occupy Central“ mit dem freien Wahlrecht in Hongkong nur das, was im Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungszone auch festgeschrieben steht: Ein Land, zwei Systeme. Zahlreiche Ereignisse haben zuletzt das Gegenteil gezeigt: China bestimmt im Hintergrund alle wichtigen politischen Entscheidungen in Hongkong. Nach wie vor werden die Kandidaten für die Wahl des Verwaltungschefs von einem pekingfreundlichen Gremium bestimmt.

Doch die Demonstrationen sind auch Ausdruck einer kulturellen Entfremdung der Hongkonger von den Festlandchinesen. Diese haben in der Wirtschaftsmetropole inzwischen ein schlechtes Image, gelten als neureich und unzivilisiert. Sie kaufen den Hongkongern in ihrer eigenen Stadt Wohnungen und Milchpulver weg. Und belegen die Krankenhausbetten in den Geburtskliniken der Stadt. In Abgrenzung zu den Festlandchinesen kristallisiert sich eine eigene, neue Identität heraus. Viele Demonstranten rufen nun: „Hongkong-Volk“.

Hongkong hat eine eigene Identität entwickelt

Die Demonstrationen richten sich aber nicht nur gegen China. Sie kritisieren auch die Hongkonger Regierung und fordern den Rücktritt des unbeliebten Verwaltungschefs Cy Leung. Vor allem die Jungen fühlen sich durch ihn ihrer Aufstiegsmöglichkeiten beraubt. Der wirtschaftliche Abstand zwischen den zumeist pekingfreundlichen Superreichen in einer der teuersten Städte der Welt und der Masse der Bevölkerung klafft immer weiter auseinander.

Dieses Gefühl aus politischer und wirtschaftlicher Benachteilung, gepaart mit einem neuen Hongkonger Selbstbewusstsein ergibt eine bedrohliche Mischung für den alleinigen Machtanspruch der Kommunistischen Partei Chinas. Schon jetzt erinnert einiges an die Proteste auf dem Pekinger Tiananmenplatz 1989: Die Studenten als Initiatoren der Bewegung, das Besetzen von zentralen Plätzen, das Errichten von Barrikaden. Friedlich und fröhlich war die Stimmung dort vor 25 Jahren auch. Dann kam die Nacht zum 4. Juli.

„Regenschirm-Revolution“ werden die Demonstrationen inzwischen schon auf Twitter genannt. Vor diesem Wort und dem Überschwappen der Bewegung auf das Festland fürchten sich die chinesischen Machthaber am meisten. Sie haben in der Geschichte bewiesen, dass sie alles tun werden, um zu verhindern, dass eine derartige Revolution tatsächlich beginnt.

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