Bürgerkrieg im Südsudan: Präsident und Rebellenführer handeln Friedenspakt aus
Eine Million Menschen sind vertrieben worden, Zehntausende wurden bei Kämpfen getötet. Jetzt treffen sich Präsident Kiir und sein Rivale Machar erstmals seit Beginn des Bürgerkriegs – im Nachbarland Äthiopien.
Zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkriegs Mitte Dezember haben sich der südsudanesische Präsident Salva Kiir und sein Rivale und ehemaliger Vizepräsident Riek Machar am Freitag in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba getroffen. Am späten Abend meldete der britische Sender BBC einen Durchbruch. Demnach sollen sich die beiden Politiker auf einen Waffenstillstand geeinigt haben, der innerhalb von 24 Stunden in Kraft treten soll. Salva Kiir soll die südsudanesische Armee, die SPLM, in die Kasernen zurückrufen, und Riek Machar soll seine Milizen anweisen, die Kämpfe sofort zu beenden. Ein dauerhafter Waffenstillstand, eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung und eine Neuwahl sollen folgen.
Für fast eine Million Menschen im Südsudan hängt viel davon ab, dass sich Kiir und Machar dieses Mal an die Vereinbarungen halten. Diese Menschen sind im Bürgerkrieg, der seit dem 15. Dezember 2013 tobt, vertrieben worden. Am Freitagnachmittag haben sich die beiden Verantwortlichen für die Kämpfe, in denen Zehntausende Menschen ihr Leben verloren, zum ersten Mal wieder von Angesicht zu Angesicht getroffen – im feinen Sheraton-Hotel in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba.
Den Waffenstillstand vom 23. Januar haben beide Seiten ignoriert
Präsident Salva Kiir, ein Dinka, ist am Freitagnachmittag aus der südsudanesischen Hauptstadt Juba eingeflogen. Sein Rivale, den er im Juli aus der Regierung geworfen hatte, Riek Machar, ein Nuer, ist schon am Donnerstagabend von einem „unbekannten Ort“, der sich vermutlich nahe der Grenze zum Sudan befindet, angereist. Nachdem ihre Unterhändler schon am 23. Januar einen Waffenstillstand vereinbart hatten, den beide Seiten ignorierten, hat der amerikanische Außenminister John Kerry in der vergangenen Woche bei einem Besuch in Juba und bei Riek Machar im Busch erreicht, dass die beiden Männer in direkte Verhandlungen miteinander einwilligten. Da Kiir seinen Rivalen Machar, dem er einen Putschversuch vorwirft, verhaften lassen wollte, musste ein neutraler Ort gefunden werden. Am Sitz der Afrikanischen Union bemühen sich ein halbes Dutzend Unterhändler schon seit Anfang des Jahres, eine Lösung zu finden. Bis Freitag ohne jeden Erfolg.
Die Flüchtlinge im Südsudan harren derweil in überschwemmten Stützpunkten der UN-Friedenstruppen aus. Seit zwei Wochen hat die Regenzeit im Südsudan eingesetzt. Allein dort haben mehr als 50 000 Menschen versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Mehrere hunderttausend Menschen sind in die benachbarten Länder Äthiopien, Sudan, Uganda und Kenia geflüchtet. Sogar in die Zentralafrikanische Republik, in der sich ein kaum weniger brutaler ethnisch-religiös ausgetragener Konflikt abspielt, sind Südsudanesen geflüchtet, während gleichzeitig Zentralafrikaner im Südsudan Schutz gesucht haben.
Fünf Millionen Südsudanesen brauchen Hilfe
Von den rund sieben Millionen Südsudanesen sind derzeit knapp fünf Millionen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Der Koordinator der Humanitären Hilfe der Vereinten Nationen, Toby Lanzer, warnte schon vor vier Wochen vor einer katastrophalen Hungersnot, wenn die Kämpfe nicht bald eingestellt würden: „Wer nicht sät, kann auch nicht ernten.“ Von den rund 1,2 Milliarden US-Dollar, die für die unmittelbare Nothilfe im Südsudan gebraucht würden, sind bisher lediglich 39 Prozent bei den UN eingegangen. Ende April hat der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der kurz vorher in den Südsudan gereist war, ein achtköpfiges Expertenteam dorthin zurückgeschickt, um über die rund zehn Millionen Euro hinaus, die er dem Welternährungsprogramm (WFP) zugesagt hat, zu klären, welche Art der Entwicklungshilfe trotz der Krise wieder aufgenommen werden könnte. Im Dezember hatte Deutschland zunächst alle Experten ausgeflogen.
Am Donnerstagabend hatte der UN-Sicherheitsrat darüber diskutiert, in welcher Weise das Mandat der Blauhelmtruppe Unmiss an die neuen Bedingungen im Land angepasst werden müsste. Unmittelbar nach dem Ausbruch der Kämpfe, die schnell eine ethnische Komponente bekommen hatten und nach Einschätzung westlicher Beobachter einem Völkermord sehr nahe kommen, hatte der Sicherheitsrat eine Verdopplung der Truppe beschlossen. Allerdings sind die geplanten mehr als 12 000 Soldaten bis heute nicht im Südsudan eingetroffen. Aktuell sind rund 8500 Soldaten im Einsatz. Ihr Mandat erlaubt ihnen durchaus, Zivilisten zu schützen. Doch aktuell können sie das nur auf ihren Stützpunkten tun. Dort haben die UN vor dem Hass zwischen den Volksgruppen der Dinka und der Nuer längst kapituliert. Die Lager wurden in zwei Hälften geteilt, die Blauhelme kontrollieren.
Die UN haben brutale Verbrechen beider Seiten dokumentiert
Am Donnerstag hatte Unmiss einen Menschenrechtsreport über die Zeit seit dem Ausbruch der Kämpfe veröffentlicht. Er beruht auf Aussagen von 900 Überlebenden von Grausamkeiten und Zeugen des Geschehens. Unmiss wirft beiden Seiten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. So habe es zu Beginn der Auseinandersetzungen ein Massaker an Nuer in Juba mit mehreren hundert Toten gegeben. Ein Massengrab ist dort inzwischen gefunden worden. In der Ölstadt Bentiu, die im Verlauf der Kämpfe mehrfach von Machars Rebellen und der südsudanesischen Armee SPLM erobert worden ist, ist es erst vor einem Monat zu einem brutalen Massaker gekommen. Riek Machars „Weiße Armee“ – junge Männer, die sich sonst vor allem mit Viehdiebstählen im großen Stil beschäftigen – hat Dinkas im Krankenhaus, in Kirchen und in der Moschee niedergemetzelt. Nach UN-Angaben sind mindestens 200 Menschen getötet worden. Außerdem dokumentieren sie Massenvergewaltigungen und Folter.
Dagmar Dehmer
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