75 Jahre nach Auschwitz: Präsident des Zentralrats der Juden fordert schärfere Abgrenzung von AfD
Josef Schuster sieht erhebliche Bedrohungen für jüdisches Leben in Deutschland. Der Justiz wirft er einen zu nachlässigen Umgang mit antisemitischen Taten vor.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fordert angesichts neuer antisemitischer Tendenzen in Deutschland eine strikte Abgrenzung von der AfD. „Die demokratischen Parteien müssen sich sehr klar von der AfD distanzieren“, sagte Schuster dem „Tagesspiegel“. „Es ist der falsche Weg, sich der AfD anzubiedern oder sie gar nachzuahmen, weil das angeblich Stimmen bringt.“
Die anderen Parteien sollten versuchen, die AfD zu „entlarven“, forderte der Zentralratspräsident. Der einzig richtige Weg sei eine klare Abgrenzung.
Mit Spannung wird der Auftritt des israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin am kommenden Mittwoch im Deutschen Bundestag und sein Umgang mit der AfD erwartet – er redet dort als erster israelischer Präsident seit Schimon Peres vor zehn Jahren.
75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz sieht Schuster erhebliche Bedrohungen für jüdisches Leben in Deutschland. Der Anschlag in Halle habe „zu einer erheblichen Verunsicherung innerhalb der jüdischen Gemeinden“ geführt, sagte Schuster. Zwar säßen Juden in Deutschland heute nicht auf gepackten Koffern. „Aber man guckt jetzt, wo der leere Koffer steht.“
Antisemitismus in gewissen Kreisen „ein bisschen lästig“
Der Angriff auf die Synagoge in Halle im vergangenen Jahr habe „Versäumnisse der Behörden offengelegt“, sagte Schuster. „Spätestens nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hätte klar sein müssen, zu welchen Taten Rechtsextremisten heute in Deutschland fähig sind.“
[Das vollständige Interview mit Josef Schuster lesen Sie an diesem Sonntag im gedruckten Tagesspiegel oder im E-Paper. Weitere acht Seiten sind dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet.]
Schuster warf der Justiz einen zu nachlässigen Umgang mit antisemitischen Taten vor. „Es gibt aus unserer Sicht eindeutig judenfeindliche Fälle, in denen die Justiz aber keinen Antisemitismus erkennen kann“, sagte er Er habe das Gefühl, dass „das Thema Antisemitismus in juristischen Kreisen als ein bisschen lästig empfunden“ werde.
„Es kann nicht sein, dass ausgerechnet bei antisemitischen Taten strafmildernde Überlegungen diskutiert werden, eine schwere Jugend beispielsweise oder eine Fluchterfahrung“, kritisierte Schuster, der gerade auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Holocaust-Gedenken in Jerusalem war. „So schrecken wir nicht ab.“
Zugleich wies Schuster auf die Pläne der Bundesjustizministerin hin, das Strafgesetzbuch so zu ändern, dass auch antisemitische Motive bei der Strafzumessung besonders berücksichtigt werden. Er hoffe, dass diese Änderung „dann doch zu anderen Urteilen“ führe.