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Palästinenser demonstrieren in Bethlehem im Westjordanland.
© AFP/Hazem Bader

Internationale Marginalisierung der Palästinenser: „Präsident Abbas spielt im Gazakrieg keine Rolle“

Der Hamas gelingt es, den Gebietskonflikt mit Israel auf eine religiöse Ebene zu heben und die Fatah als Führungskraft abzulösen, sagt ein deutscher Beobachter.

Die Palästinenser haben derzeit keine politische Stimme, die international Gehör findet. Ihrer offiziellen Führung, der Autonomiebehörde in Ramallah im Westjordanland, fehlt die demokratische Legitimation. Die Mehrheit der Bevölkerung hält sie zudem für korrupt, sagt Steven Höfner. Er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) für die palästinensischen Gebiete in Ramallah.

Der aktuelle Gazakrieg zeigt für ihn eine Machtverschiebung von der Fatah im Westjordanland, die früher den Ton angab, zur Hamas im Gazastreifen. Die Hamas habe ein Gespür gezeigt, mit welchen Themen sich die Gesellschaft mobilisieren und einigen lasse: der Verteidigung der heiligen Stätten in Ostjerusalem.

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Beim Gazakrieg 2014 habe noch der prekäre Alltag und die Sicherheit im Gazastreifen im Zentrum gestanden. 2021 sei es der Hamas gelungen, „den Territorialkonflikt auf eine religiöse Ebene zu heben“.

Mit ihrem Kampf gegen die Vertreibung der Palästinenser aus Ostjerusalem und für den freien Zugang zum Tempelberg, den Israel beschränkt hatte, sowie für die freie Religionsausübung in der Al-Aqsa-Moschee habe die Hamas sich zur „Verteidigerin der heiligen Symbole“ gemacht. Dadurch hat sie „enorm an Unterstützung gewonnen“, während „die Fatah weitgehend stumm blieb und keine mobilisierende Botschaft verbreiten konnte“.

In künftige Gesprächen über friedliche Lösungen des Palästinakonflikts werden die EU und die USA die Hamas einbeziehen müssen, meint Höfner. Eine offene Frage sei aber, ob derartige Kontakte direkt oder indirekt geschehen sollten. Bisher stufen sie die Hamas als Terrororganisation ein, da sind „direkte Gespräche nicht möglich“. Indirekt nehme die Hamas aber über Katar und Ägypten an den Verhandlungen über einen Waffenstillstand teil.

Heiko Maas' Vermittlungsversuch ist „wenig hilfreich“

Vermittlungsversuche wie die von Außenminister Heiko Maas, der am Donnerstag mit der israelischen Regierung in Jerusalem und der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah sprach, sieht Höfner skeptisch. „Gespräche mit der Führung in Ramallah sind derzeit wenig hilfreich, weil sie keinen Einfluss auf die Hamas hat und von ihr als Konkurrentin betrachtet wird. Was man mit ihr aushandelt, hat kaum Aussicht auf Durchsetzung, weil sie keinen Rückhalt in der eigenen Bevölkerung genießt.“

Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als der Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, Jassir Arafat, ein einflussreicher Politiker war und ikonenhafte Bilder von seiner Rede vor der Uno als Freiheitskämpfer mit Pistolenhalfter kursierten, sieht Höfner einen dramatischen Machtverlust der PLO. „Sie ist kein relevanter Akteur mehr, sie kann sich nicht auf breite Zustimmung stützen.“

Einen Gebietskonflikt ins Religiöse gehoben: Palästinenser evakuieren einen verwundeten Mann während Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt.
Einen Gebietskonflikt ins Religiöse gehoben: Palästinenser evakuieren einen verwundeten Mann während Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften auf dem Gelände der Al-Aksa-Moschee in der Jerusalemer Altstadt.
© Mahmoud Illean/AP/dpa

Politisch sind die Palästinenser gespalten. Die Hamas ist dabei, die Fatah des Präsidenten der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, als Führungskraft abzulösen. „Im aktuellen Konflikt spielt Abbas keine Rolle. Würde er vor der Uno sprechen, würden die meisten Palästinenser nicht mal hinhören.“ Ihm fehle die demokratische Legitimation.

Die letzte Wahl liegt 15 Jahre zurück

Die letzte nationale Wahl liegt 15 Jahre zurück. Eigentlich sollten die Palästinenser in diesen Tagen wählen, doch Abbas sagte die Wahl aus Furcht vor einer Niederlage ab. Nach einer Umfrage der KAS mit einem palästinensischen Institut von Mitte März hätte die Hamas mit 27 Prozent rechnen können, die Fatah mit 23 Prozent. Die Mehrheit der Palästinenser hat noch nie gewählt. Etwa 70 Prozent sind unter 35 Jahre alt. Für die junge Generation ist die Führung aus Höfners Sicht eine überalterte „Gerontokratie“ ohne politische Legitimation, die aber über die Zukunft der Jüngeren bestimmen will.

Korruption und Nepotismus sind allgegenwärtig, auch beim Impfen

„Korruption und Nepotismus sind allgegenwärtig“. Als Beispiel nennt Höfner die Coronaimpfungen. Die ersten Dosen gingen an Personen, die der Fatah nahestehen, aber nach der Priorisierung nicht dran waren. Politik und Wirtschaft seien eng verknüpft. Großfamilien kontrollieren beide Bereiche.

Zudem haben die Palästinenser nicht mehr die überwältigende Unterstützung arabischer Staaten wie früher. Viele haben inzwischen Verträge mit Israel geschlossen, die so genannten „Abraham-Abkommen“. Auch sie tragen laut Höfner zur internationalen „Marginalisierung der palästinensischen Sache“ bei.

Viele Palästinenser legen es ihrer Führung zur Last, dass sie das nicht verhindern konnte. „In der arabischen Liga nimmt kaum jemand Rücksicht auf die Interessen des palästinensischen Präsidenten.“ Wachsenden Einfluss als „Riese im Hintergrund“ habe der Iran. Er trage zur Stärkung der radikalen Hamas bei, habe sie seit dem Gazakrieg 2014 aufgerüstet und inzwischen in die Position gebracht, dass sie eigenständig Raketen produzieren könne, sagt Höfner.

Er erwartet, dass es mit Hilfe der Vermittler in Katar und Ägypten wohl in den nächsten Tagen ein Waffenstillstandsabkommen gibt. „Das löst den Konflikt aber nicht, er pausiert nur. Die Hamas wird sich neue Raketen verschaffen, in wenigen Jahren haben wir wohl den nächsten Krieg.“

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