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Aktivisten blockieren am Montag eine Kohlebahn im Tagebau Hambach.
© REUTERS/Wolfgang Rattay
Update

Nach Unfalltod eines Journalisten: Polizei setzt Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst fort

Die Polizei ist wieder im Hambacher Wald aktiv. Derweil stellt Greenpeace ein Rechtsgutachten vor, wonach eine Rodung zurzeit unzulässig wäre.

Im Braunkohlerevier Hambacher Forst setzen die Behörden die Räumung von Baumhäusern der Aktivisten fort. Aktuell seien insgesamt 44 Baumhäuser geräumt, bei einem weiteren laufe die Räumung aktuell, sagte ein Sprecher der Aachener Polizei am Montagabend dem Evangelischen Pressedienst. Nach dem Unfalltod eines 27 Jahre alten Journalisten hatte die Landesregierung die Räumung der Baumhütten am vergangenen Mittwoch vorerst gestoppt.

Derweil kommt ein am Montag vorgestelltes Rechtsgutachten im Auftrag von Greenpeace zu dem Ergebnis, dass die geplante Rodung des Waldes zurzeit unzulässig ist. Greenpeace-Sprecher Christoph Lieven kritisierte, die Räumungen gefährdeten den sozialen Frieden in NRW. „Armin Laschet nimmt keinerlei Rücksicht auf den wachsenden friedlichen Protest und assistiert RWE bei den klimaschädlichen Kohleplänen.“

Der Aachener Bischof Helmut Dieser rief in der Auseinandersetzung zu Mäßigung auf. Fragen nach einer ökologisch verträglichen Energiewirtschaft, Arten- und Klimaschutz und einer sozialen Verträglichkeit von Umweltschutzmaßnahmen seien durch symbolische Kämpfe nicht lösbar. „Deshalb rufe ich alle Beteiligten auf, auf jegliche Anwendung von Gewalt zu verzichten und die Verbindlichkeit der Rechtsstaatlichkeit, demokratisch herbeigeführter Willensbildung und des Gewaltmonopols des Staates in keiner Weise zu hintergehen“, betonte der Bischof.

Das von Greenpeace beauftragte Gutachten der Berliner Rechtsanwältin Cornelia Ziehm bewertet die geplanten Rodungen als unzulässig. Ziehm erklärte am Montag in Berlin, nur wenn es für den Betrieb des Tagebaus Hambach „erforderlich“ beziehungsweise „unerlässlich“ sei, dürfe der Energiekonzern RWE Bäume fällen. Beides ist laut der Rechtsanwältin nicht gegeben. Der Konzern selbst habe in einer Pressemitteilung vom 11. September eingeräumt, dass eine „betriebliche Notwendigkeit“ zu roden erst ab dem 15. Dezember bestehe, sagte Ziehm.

Hacker haben die Internetseite des Energiekonzerns RWE lahmgelegt. Das Unternehmen habe Strafanzeige gegen unbekannt erstattet, teilte ein RWE-Sprecher am späten Montagabend mit. Eine Flut gesteuerter Anfragen habe die Leistungsfähigkeit des Servers erheblich reduziert. „In der Folge war die Website zeitweise nur schwer oder mancherorts gar nicht erreichbar“, erklärte der Sprecher.

IT-Spezialisten des Unternehmens seien damit beschäftigt, das Problem zu lösen. Sicherheitseinrichtungen des Unternehmens waren den Angaben zufolge nicht betroffen.

Greenpeace-Gutachten: RWE könnte bis Herbst 2019 auf Rodungen verzichten

Um die Rodung des Forstes aufzuhalten, hat Greenpeace zudem eine bergbauliche Stellungnahme des Beratungsunternehmens Plejades eingeholt. Demnach könnte bis Herbst 2019 auf Rodungen verzichtet werden, ohne den Tagebaubetrieb zu gefährden. Dazu müsste RWE den Abstand zwischen Waldgebiet und Tagebaukante reduzieren sowie auf der zweiten Sohle deutlich näher an die erste heranbaggern. Zudem müsste verstärkt im nordöstlichen Teil des Tagebaus gegraben werden.

Unterdessen warnen der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Klima-Allianz Deutschland davor, dass möglicherweise die Steuerzahler für die Folgeschäden des Braunkohleabbaus in zweistelliger Millionenhöhe aufkommen müssen. Als Grund für das gestiegene Risiko nennt eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) im Auftrag der beiden Verbände die jüngsten Konzernumstrukturierungen bei RWE, Leag und Mibrag. Bisher hätten Bundes- und Landesregierungen versäumt, die Rekultivierung und Ewigkeitsschäden der Tagebaue finanziell abzusichern, hieß es.

Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte am Rande einer Sitzung der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission am Montag in Halle, den Strukturwandel wirtschaftlich abzusichern. Den betroffenen Regionen müssten Zukunftsperspektiven aufgezeigt werden, bevor es konkrete Schritte zur Verringerung der Kohleverstromung geben könne. Haseloff forderte, Industrie und öffentliche Hand müssten für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen und Infrastrukturmaßnahmen mindestens 60 Milliarden Euro aufbringen.

Unterdessen haben Umweltaktivisten am Montag eine Kohlebahn im Tagebau Hambach blockiert und so die Kohle-Zufuhr in zwei nahegelegene Kraftwerke unterbrochen. Acht Aktivisten hätten sich in beiden Richtungen unterhalb der Gleise im Braunkohlerevier verkettet, teilte ein Sprecher des Energiekonzerns RWE mit. Ein Lokführer habe Handzeichen bemerkt und rechtzeitig bremsen können. Die Polizei bestätigte Blockaden an insgesamt drei Stellen.

Blockade hat laut RWE keine Auswirkungen auf den Kraftwerksbetrieb

Die Initiative Zucker im Tank twitterte, die Aktivisten hätten vier dicke Betonklötze und ein Betonfass genutzt. Das werde wohl dauern, bis die Gleise wieder geräumt seien. Die Blockade habe zunächst einmal keine Auswirkungen auf den Kraftwerksbetrieb, stellte ein RWE-Sprecher fest: „Wir haben einen Vorratsbunker.“

In Istanbul haben sich ebenfalls Umweltaktivisten zum Protest versammelt und vor dem deutschen Konsulat einen Stopp der Räumung im Hambacher Forst gefordert. Zugleich bekundete die Gruppe am Montag ihre Solidarität mit den Aktivisten in Deutschland. „Nehmt die Hände weg vom Hambacher Forst“, hieß es in der vor dem Konsulat verlesenen Presseerklärung der Organisation „Verteidigung des Nordwaldes“.

In der Türkei setzt sich die Gruppe vor allem für den Erhalt eines nördlich von Istanbul gelegenen Waldes ein, der teilweise für den Bau eines neuen Flughafens gerodet wurde. Zerrin Bayrakdar, die die Presseerklärung verlas, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir erleben dasselbe am dritten Flughafen.“ Auch dort werde der Wald für ein Großprojekt gerodet. „Deshalb wollten wir unsere Solidarität zeigen.“ Aktivist Mustafa Tepret sagte, er sei geschockt gewesen, als er von dem Vorgehen im Hambacher Forst gehört habe.

Der Hambacher Forst im Kreis Düren zwischen Köln und Aachen gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Umweltschützer protestieren im Hambacher Forst seit Jahren dagegen, dass der Energiekonzerns RWE im Herbst weite Teile des Forstes abholzen und die Braunkohleförderung fortsetzen will. RWE will dort ab Mitte Oktober hundert Hektar Wald roden, die Hälfte des noch stehenden Waldgebiets. Am Wochenende hatten mehrere Tausend Menschen gegen die Räumung und die geplante Rodung des Waldgebietes demonstriert. Für den 6. Oktober planen Umweltverbände eine weitere große Demonstration.

Der Wald hat nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine 12.000 Jahre lange Geschichte. Es gibt dort Vorkommen streng geschützter Arten wie Bechsteinfledermaus, Springfrosch und Haselmaus. Der Protest vor Ort richtet sich auch gegen den Abbau von Braunkohle allgemein. Aus Sicht von RWE ist die Abholzung des Hambacher Forsts unvermeidbar, um die Stromproduktion in den Braunkohlekraftwerken zu sichern. In Istanbul soll der neue Flughafen am 29. Oktober eröffnet werden.(epd/dpa)

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