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Dieses Weißbier ging wahrscheinlich aufs Haus: Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, beim SPD-Zukunftsforum in einem Biergarten in Berlin.
© imago images/photothek

Im Elfenbeinturm der Privilegierten: Politiker müssen wissen, was Benzin, Bier und Butter kosten

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sorgte zuletzt für Schlagzeilen, weil er nicht auf Anhieb den Spritpreis wusste. Tatsächlich ist das ein Problem. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Was, Finanzminister Olaf Scholz weiß nicht wieviel ein Liter Benzin kostet? Und der Sozialdemokrat, der Kanzler werden will, achtet beim Einkauf nicht so auf die Preise, weil er doch gut verdient? Ein ganz schöner Aufreger.

Ministerpräsident Markus Söder, der Christsoziale, der gerne wenigstens Kanzlerkandidat geworden wäre, muss sich aber auch erst von seinen Leuten informieren lassen; er wird wie so viele Spitzenpolitiker immer gefahren.

Ja, so ist das - doch muss das so sein? Müssen die an der Macht nicht viel mehr vom täglichen Leben der allermeisten im Land wissen? Die Debatte darüber hat begonnen. Und stellt grundsätzliche Fragen.

Wer geht in die Politik? Gute Frage. Sicher etliche, die das Land verbessern wollen, in dem sie gut und gerne leben. Daneben aber auch nicht wenige, die Politik zum Beruf gemacht haben, weil der doch ziemlich spannend und einflussreich ist. Und gut abgesichert. Das ist niemandem zu verübeln.

Ein Amt bringt noch keine Ahnung von der Sache

Das Leben der Menschen, unser alle Lebensqualität, hängt aber ab von den Entscheidungen der Politik. Und damit von Qualitäten – fachlich, sachlich, menschlich – der Handelnden.

Zumal sie, die Politiker, die Volksvertreter, wie das passende Wort lautet, in allen Lebensbereichen mitreden. Damit denen, die sie in die Entscheidungsgremien entsandt haben, quasi hineinreden.

Das Gemeinwesen, allen gemein? Theoretisch ja, praktisch nicht notwendigerweise. Denn ein Amt zu bekleiden bringt nicht automatisch vertiefte Kenntnis. Das gilt sowohl für das Fachgebiet als auch den Lebensalltag.

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Sehr, sehr viele der Bundestagsabgeordneten sind ausweislich der Handbücher nach Schule oder Uni direkt in die Politik gegangen. Oft bewitzelt, trotzdem wahr: aus dem öffentlichen Dienst in den Dienst an der Öffentlichkeit.

Organisation, Verwaltung, Büro – als wäre das einzig wahre Leben. Ist nicht, ist es nur zum Teil. Der andere Teil muss größer werden.

Kein Elfenbeinturm der Privilegierten

Deshalb auch werden immer wieder von den Parteien Anstrengungen unternommen, mehr Menschen zu gewinnen, die Erfahrungen aus dem Land ins Parlament hineintragen; Erfahrungen in der Wirtschaft, in Unternehmen, ob groß oder klein, im Handwerk. Es werden herausragende Wissenschaftler genauso gesucht wie die aus Berufen, in denen wirklich noch Hand angelegt werden muss, und zwar nicht vor allem an Gesetze.

Eher Event als Alltag: Kanzlerin Merkel mit chinesischen Staatsgästen in einem Supermarkt in Berlin.
Eher Event als Alltag: Kanzlerin Merkel mit chinesischen Staatsgästen in einem Supermarkt in Berlin.
© Tim Brakemeier/dpa

Das Leben in seiner Vielfalt zu repräsentieren, ist deshalb wichtig, weil die Beschlüsse, die auf die Gesellschaft einwirken, nicht oben herab, aus dem Elfenbeinturm der Privilegierten heraus oder von der Kanzel der vermeintlich Besserwissenden herab gefällt werden dürfen. Das Leben von tieferer Warte aus kennengelernt zu haben, ist da hilfreich.

Man sollte allerdings schon wissen, dass das Profane das Bewusstsein mitbestimmt: Wer die Preise von Benzin, Bier, Butter kennt, wer weiß, welche Waschmittel für was taugen, taugt auch dafür, das „wahre Leben“ in Parlament und Regierung nicht aus dem Auge zu verlieren. Nur aus dem chauffierten Auto die Welt zu betrachten, verschiebt die Perspektive – das da draußen, hinter den Scheiben, ist nicht bloß eine Kulisse.

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Gut, dass Armin Laschet zuweilen noch selber Auto fährt; dass Angela Merkel im Supermarkt einkauft; dass Annalena Baerbock von ihren Kindern beansprucht wird. Und ja, gut, wenn alle miteinander einsehen, dass von Politikern erwartet werden kann, über den Alltag derer informiert zu sein, von denen sie gewählt werden.

Das ist gewissermaßen eine Holschuld und Bringepflicht. Was sie nicht (mehr) wissen, müssen sie lernen – nicht erst dann, wenn sie keine Ämter mehr bekleiden. Denn Ämter in der Politik werden immer nur auf Zeit vergeben. So ist das Leben. Auch ihres.

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