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Projektregierung? Mike Mohring (CDU) und Bodo Ramelow (Linke) könnten es mit wechselnden Partnern versuchen.
© imago images/Jacob Schröter

Regierungsbildung in Thüringen: Politik on Demand statt Koalitionen?

Sich nicht festzulegen ist gesellschaftlich Ausdruck einer großen Sehnsucht. Politisch ist es ein Symptom großer Not - und riskant. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Ein Album von einem einzigen Künstler kaufen? Wo sich auf Spotify aus Millionen Songs jederzeit die auswählen lassen, für die man gerade in Stimmung ist? Ein eigenes Auto? Und wenn morgen ein Rad und übermorgen ein E-Scooter praktischer ist?

Eine Koalition bilden, also sich für vier, fünf Jahre auf einen oder mehrere Partner festlegen und sich auf Kompromisse einigen? Ist das jetzt das politische Äquivalent zum Album im Streaming-Zeitalter, zum Pkw in der Epoche des Sharing?

Gesellschaftlich ist das Sich-nicht-festlegen-Wollen Ausdruck einer großen Sehnsucht. Die Symptome heißen Tinder, Drive-now, Jobhopping. Politisch ist es Ausdruck einer großen Not. Die Symptome heißen „Koalitionsfreie Räume“, „Kooperationskoalition“ und „Projektregierung“ – Politik on Demand.

Die Gewählten sind so unschlüssig wie die Wähler

Jüngstes Beispiel ist Thüringen. Dort regiert seit Oktober der Linke Bodo Ramelow nur kommissarisch, weil die Wahlergebnisse weder klassisch linke noch klassisch konservative Koalitionen zulassen, selbst als Dreierkonstellationen nicht. Die rechnerisch mögliche Koalition von Linken und CDU wiederum ist nicht gewollt. Die Gewählten sind so unschlüssig wie die Wähler.

Warum sich auf etwas festlegen, wenn man auch jederzeit aus einer Millionenauswahl wählen kann? Die Politik scheint dem Zeitgeist nun zu folgen.
Warum sich auf etwas festlegen, wenn man auch jederzeit aus einer Millionenauswahl wählen kann? Die Politik scheint dem Zeitgeist nun zu folgen.
© REUTERS

CDU-Landeschef Mike Mohring liebäugelt mit dem Vorschlag, nicht in einer Koalition, aber projektgebunden mit den Linken zusammenzuarbeiten. Ramelow schlägt eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung vor, wobei er für Vorhaben auch auf Stimmen von CDU oder FDP angewiesen wäre. Die Idee ist die gleiche: Statt eines verbindlichen Koalitionsvertrages und vorgegebenen Fahrplans für eine Legislatur sucht sich jeder für sein Gesetz den Partner, der gerade am besten passt.

Die Grünen blockieren? Macht er's eben mit der FPÖ

Ausprobiert wird das gerade auch in Österreich, wo der konservative Bundeskanzler Sebastian Kurz eher widerwillig mit den Grünen eine Regierung gebildet hat, sich aber programmatisch zusichern ließ, dass er, falls sich die Partner mal nicht einigen können, auch andere Mehrheiten suchen könnte. Die Grünen blockieren die Abschottungspolitik? Macht er’s eben mit den Rechtspopulisten von der FPÖ.

Im "koalitionsfreihen Raum": Sebastian Kurz darf auch mit der FPÖ Gesetze beschließen, wenn Werner Kogler von den Grünen mal nicht spurt.
Im "koalitionsfreihen Raum": Sebastian Kurz darf auch mit der FPÖ Gesetze beschließen, wenn Werner Kogler von den Grünen mal nicht spurt.
© REUTERS

Ein Kompromiss ist nur dann einer, wenn keine der Seiten damit ganz zufrieden ist. Das war leider oder glücklicherweise bisher die Grundlage der Demokratie. Die Grundlage für Wohlstand, Rechtsfrieden, Stabilität. Aber eben auch die Grundlage für Politikverdrossenheit, Populismus, Stillstand. Die Konzepte, die nun diskutiert und ausprobiert werden, stellen nicht weniger als die Frage nach dem Wert des Kompromisses insgesamt.

Die Volksparteien schrumpfen, das Engagement nicht

Die Politik scheint dem Zeitgeist zu folgen. Die Mitgliedszahlen der Volksparteien schrumpfen dramatisch, junge Menschen sind trotzdem politisch engagiert. Sie konzentrieren sich eben nur, wie Fridays for Future zeigt, lieber auf Projekte. Millionen engagieren sich auf Websites wie „Campact“ für ganz konkrete Gesetzesänderungen, andere setzen sich für Seenotrettung ein, wieder andere schließen sich Gruppierungen an, die gegen ebendiese Geretteten agitieren.

Der leichte Weg ist nicht Aufgabe von Politik

Jeder kann seine Überzeugung vertreten, Erfolge erzielen und muss sich nicht mit Andersdenkenden über das große Ganze austauschen. Praktisch in einer Gesellschaft, die derart polarisiert ist, verständlich in einer Gesellschaft, die es jedem ermöglicht, in seiner Kommunikationsblase die eigene Wahrheit zu finden und damit glücklich zu werden. Verständlich in einem Land, das nach sechs Jahren großer Koalition und 14 Jahren Angela Merkel den Eindruck gewinnen konnte, dass es keinen so großen Unterschied macht, wie man wählt.

Doch so attraktiv die projektgebundene Regierungsarbeit erscheinen mag, so leicht der Ausweg aus drohendem Stillstand mit wechselnden Partnern vielleicht zu ermöglichen wäre: Den leichten Weg zu gehen ist nicht Aufgabe von Politik. Wenn es überhaupt noch Leute gibt, die das Versöhnliche eines Kompromisses in diesen Zeiten hochhalten sollten, gerade weil es so mühsam ist, dann die, die dafür gewählt und bezahlt werden.

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