Kontroverse um Grundrechte in Polen: Polens Regierung will eine Kritikerin loswerden
In Warschau möchte man die Tätigkeit der Polin Karolina Dreszer-Smalec auf EU-Ebene beenden. Doch dagegen regt sich in Brüssel und Berlin Widerstand.
Beim EU-Finanzgipfel in Brüssel haben sich Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Ungarns Regierungschef Viktor Orban mit aller Entschiedenheit gegen eine Regelung gewehrt, der zufolge künftig Rechtsstaats-Verstöße in einzelnen EU-Ländern mit der Kürzung von Brüsseler Subventionen geahndet werden könnten.
Auch wenn über eine Woche nach dem Sondergipfel immer noch unklar ist, ob tatsächlich eine Regelung mit harten Sanktionsmöglichkeiten kommt, so zeigt doch eine Brüsseler Personalie, wie dringlich die Debatte um einen funktionierenden Rechtsstaats-Mechanismus ist.
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Es geht um die Polin Karolina Dreszer-Smalec, die im polnischen Verband der Nichtregierungsorganisationen eine führende Rolle spielt und seit zwei Jahren als Vizechefin der Rechtsstaatsgruppe beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in Brüssel tätig ist. Die Gruppe besuchte Polen im Jahr 2018 und traf sich dort seinerzeit mit Vertretern der Zivilgesellschaft, Sozialpartnern, Medien, der Justiz und der Behörden.
In dem anschließend veröffentlichten Bericht wurde unter anderem kritisch angemerkt, dass die Gesetze zur Justizreform von vielen Gesprächsteilnehmern als ein Versuch wahrgenommen wurden, „das Justizsystem niederzureißen“. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass regierungstreue Richter die Reform hingegen befürworteten.
In Brüssel gilt Dreszer-Smalec, die den Bericht über Polen mitverfasste, als eine anerkannte Persönlichkeit. Sie sei „eine sehr besonnene Person“, sagt etwa die SPD-Europaabgeordnete Gabriele Bischoff. Für die demnächst beginnende neue fünfjährige Mandatsperiode des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses ist Dreszer-Smalec in Brüssel für eine herausgehobene Position in dem Gremium vorgesehen, das auf europäischer Ebene eine Beratungsfunktion hat.
Direktor des Nationalen Freiheits-Instituts sprach von „Lügen“
Allerdings obliegt es den Regierungen in den EU-Mitgliedstaaten, wen sie in den Ausschuss nach Brüssel entsenden. Und in Warschau möchte man offenbar die Tätigkeit der 38-Jährigen auf EU-Ebene beenden. Bereits im vergangenen Monat beklagte José Antonio Moreno Diaz, der Präsident der Rechtsstaatsgruppe beim EWSA, in einer Erklärung, dass die polnischen Behörden öffentlich Stimmung gegen seine Kollegin machten. So habe sich Wojciech Kaczmarczyk, der Direktor des Nationalen Freiheits-Instituts, beschwert, dass in dem Polen-Bericht der Rechtsstaatsgruppe „Falschinformationen, sogar Lügen“ enthalten seien.
Inzwischen sind mehrere Europaabgeordnete fraktionsübergreifend auf den Plan getreten, um sich vor Dreszer-Smalec zu stellen. In der vergangenen Woche wiesen die Parlamentarier in einem Brief an den ständigen Vertreter Polens bei der EU darauf hin, dass die Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses nicht an Weisungen aus den Hauptstädten gebunden seien.
Sollte es zutreffend sein, dass Dreszer-Smalec für die kommenden Mandatsperiode nicht von Warschau nominiert werde, so solle eine derartige „enttäuschende Entscheidung“ noch einmal überdacht werden, hieß es in dem Schreiben weiter.
Europäische Bewegung Deutschland appelliert an Botschafter
Zuvor hatten sich auch zahlreiche Vorstandsmitglieder der Europäischen Bewegung Deutschland (EBD), einem überparteilichen europapolitischen Netzwerk von Verbänden, Stiftungen und Parteien, in einem ähnlichen Brief an den polnischen Botschafter in Berlin, Andrzej Przyłębski, gewandt. Dreszer-Smalec setze sich für eine „lebendige und vielfältige Zivilgesellschaft und den Erhalt der europäischen Werte“ ein, lautete der Appell der EBD-Vorstandsmitglieder.
In der Antwort Przyłębskis hieß es indes, dass Funktionen wie eine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss „nicht auf Ewigkeit verliehen“ würden.
Die SPD-Europaabgeordnete Bischoff kritisiert, dass Polen und Ungarn die Arbeit der Rechtsstaatsgruppe im EWSA in der Vergangenheit „immer wieder torpediert“ hätten. „Vom Verhalten der polnischen Regierung geht ein fatales Signal aus: Wer als zivilgesellschaftlicher Akteur versucht, sich für Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zu engagieren, riskiert, nicht mehr nominiert zu werden“, so Bischoff.
Und der CDU-Abgeordnete Michael Gahler meint, der Vorgang zeige, „dass die polnische Regierung keine Widerworte will, wenn es um die Rechtsstaatlichkeit geht“.
Orban und Morawiecki setzen auf Vetorecht
Die EU-Mitgliedstaaten in Brüssel machten unterdessen am Mittwoch den Weg frei für weitere Verhandlungen über das EU-Finanzpaket, auf das sich die Staats- und Regierungschefs zuvor geeinigt hatten. Das Europaparlament, das dem Kompromiss noch zustimmen muss, hatte sich in der vergangenen Woche in einer Resolution insbesondere für einen effektiven Rechtsstaats-Mechanismus eingesetzt.
Die EU-Parlamentarier wollen erreichen, dass in der Frage der Rechtsstaatlichkeit ein Vorschlag der EU-Kommission von 2018 wiederbelebt wird. Der Plan der Brüsseler Behörde sieht – anders als der Beschluss des Brüsseler Sondergipfels - eine vergleichsweise niedrige Hürde für die Kürzung von EU-Geldern vor.
Ungarns Regierungschef und sein polnischer Kollege berufen sich hingegen darauf, dass sich laut dem Gipfelbeschluss die Ebene der Staats- und Regierungschefs mit der Sanktionsfrage beschäftigen müsse – und dort haben Orban und Morawiecki ein Vetorecht.