Showdown in Brüssel : Polen und Ungarn blockieren Corona-Hilfsmilliarden
Warschau und Budapest haben ihr Veto gegen das milliardenschwere EU-Hilfspaket eingelegt. Wie es weitergeht, ist unklar.
Die Sitzung der Botschafter der 27 EU-Länder war am Montagnachmittag noch nicht einmal eine Stunde im Gange, als die ersten Meldungen nach außen drangen, die eine neue Krise in der Europäischen Union einläuteten. Ungarn und Polen legten beim Treffen der Botschafter ihr Veto gegen den künftigen EU-Haushalt und den milliardenschweren Corona-Fonds der Europäischen Union ein. Mit der Blockade wollen die beiden osteuropäischen Länder den Rest der EU bei einem anderen Thema auf ihren Kurs zwingen: den geplanten finanziellen Sanktionen für Rechtsstaats-Sünder, die Ungarn und Polen treffen würden.
Der Streit um die Finanzen und die Rechtsstaatlichkeit, der demnächst die gesamte EU lähmen könnte, wird vor allem auf dem Rücken zweier Länder ausgetragen: Italien und Spanien. Sie sind die Hauptprofiteure des Corona-Fonds, der nun auf der Kippe steht.
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Vor der Abstimmung hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch einmal ihre diplomatischen Anstrengungen erhöht, um das drohende Abstimmungs-Desaster zu verhindern. Am vergangenen Donnerstag sprach sie mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Dennoch ließ am Montagvormittag zunächst die Wortmeldungen aus Budapest erkennen, dass das Treffen der Botschafter in Brüssel keineswegs glatt verlaufen würde. Wenige Stunden vor der Abstimmung sagte ein Regierungssprecher in Budapest, dass Ungarn sein Veto gegen den EU-Haushalt als auch gegen den Corona-Wiederaufbaufonds einlegen werde. Die anderen EU-Mitglieder müssten ihren Kurs ändern, verlangte der Sprecher.
Bei längerer Hängepartie würde ab Anfang 2021 ein EU-Nothaushalt greifen
In der Praxis bedeutet das Veto gegen den Mehrjahreshaushalt für die Jahre von 2021 bis 2027 mit einem Volumen von 1074 Milliarden Euro zwar nicht, dass die EU-Gelder, auf die Landwirte, Forschungseinrichtungen oder benachteiligte Regionen angewiesen sind, ab Anfang des kommenden Jahres komplett versiegen werden. Falls sich die Hängepartie bis zum Jahresende hinziehen sollte, würde ein Nothaushalt greifen, bei dem der bestehende EU-Etat für das laufende Jahr zur Grundlage für die Auszahlung der Gelder gemacht wird. Anders liegen die Dinge beim geplanten Corona-Hilfsfonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro, den Ungarn und Polen mit ihrem Veto ebenfalls blockieren. Diese Gelder, die ab Anfang des kommenden Jahres ausgezahlt werden sollten, liegen nun auf Eis.
Zeitplan für die Freigabe der Corona-Hilfen ist in Gefahr
Erschwerend kommt zum Veto hinzu, dass der vorgesehene Zeitplan für die Freigabe der Corona-Hilfen nun ins Rutschen gerät. Denn nicht nur das Europaparlament, sondern auch die nationalen Parlamente in den meisten EU-Ländern müssen das Finanzpaket noch absegnen.
Orban und Morawiecki schert es offenbar auch nicht, dass ihre eigenen Länder ebenfalls von den Corona-Hilfen profitieren können. Budapest kann 6,2 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem Corona-Fonds erwarten, mit dessen Hilfe die EU-Länder angesichts der Pandemie wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen sollen. Insgesamt sollen Ungarn und Polen 35 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds erhalten.
Derweil wird in Brüssel trotz des Vetos aus Budapest und Warschau bezweifelt, dass an dem Rechtsstaats-Mechanismus noch Wesentliches geändert wird. Der zwischen Europaparlament, den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission ausgehandelte Mechanismus sieht vor, dass erstmals Ländern die EU-Zuschüsse gekürzt werden können, wenn dort rechtsstaatliche Standards wie die Unabhängigkeit von Gerichten nicht eingehalten werden. Gegen Ungarn und Polen laufen EU-Verfahren wegen des Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit.
EU-Gelder sollen nicht in dunklen Kanälen versickern
Als Vorbedingung für die Kürzung oder komplette Suspendierung von EU-Geldern gilt allerdings, dass die nachgewiesenen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit Nachteile für den EU-Haushalt mit sich bringen können. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn die fehlende Unabhängigkeit von Gerichten dazu führt, dass die EU-Gelder in den Empfängerländern in dunklen Kanälen versickern.
Wenn sie versuchen sollten, den unter deutschem EU-Vorsitz ausgehandelten Kompromiss zum Rechtsstaats-Mechanismus noch einmal aufzuschnüren, hätten Orban und Morawiecki nicht nur aus dem Europaparlament, sondern auch aus dem Kreis der Mitgliedstaaten mit Gegenwind zu rechnen. Denn vor allem die skandinavischen Staaten pochen darauf, dass EU-Gelder schon bei grundsätzlichen Verstößen gegen die Gewaltenteilung gekürzt werden können. Auch die Niederlande und Belgien zählen zum Lager einer strikten Rechtsstaats-Konditionalität.
Europaabgeordneter Geier: EU kann nur ein Bündnis von Demokratien sein
„Die EU kann nur ein Bündnis von Demokratien sein, die den Rechtsstaat hoch halten“, sagte der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier dem Tagesspiegel nach der Abstimmung. Er befürchte allerdings, dass die Regierungen Polens und Ungarns sich davon verabschiedeten. „Das wäre eine schwere Krise für die EU, wie wir sie heute kennen“, so Geier.
Voraussichtlich wird sich eine Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag mit der neuen Lage befassen. Erwartet wird, dass sich nun Merkel, EU-Ratschef Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über das weitere Vorgehen beraten.