Justizreform: Polen droht beispielloses EU-Verfahren
Noch vor Weihnachten könnte die EU ein Verfahren gegen Polen eröffnen. Grund sind Reformen gegen eine unabhängige Justiz.
Lächeln allein genügt nicht mehr. Dies musste Warschau am Freitag zur Kenntnis nehmen, als sich zeigte, dass Brüssel vermutlich noch vor den Festtagen den nächsten Schritt des Rechtsstaatsverfahrens gegen Polen einleiten wird. Dabei hatte sich der Nachfolger von Beata Szydlo, Mateusz Morawiecki, sogleich nach seiner Amtseinsetzung in Brüssel gezeigt und dort am Rande des EU-Gipfels versucht, die Wogen zu glätten.
Brüssel allerdings hatte konkrete Schritte zur Stärkung der unabhängigen Justiz erwartet, nicht bloß Beschwichtigungsformeln. Inzwischen nämlich befindet sich die umstrittene Justizreform auf der Zielgeraden. Die beiden Gesetze sehen einen größeren Einfluss von Regierungspartei und Justizministerium auf die Rechtsprechung auf allen Ebenen vor. Nach Angaben der liberalen Opposition und der Europäischen Kommission hebeln diese Gesetze die Unabhängigkeit der Justiz weitgehend aus.
Polen steht damit offensichtlich vor einem beispiellosen Verfahren zum Entzug seiner Stimmrechte in der EU. „Es spricht viel dafür, dass Artikel 7 erstmals angewendet wird“, sagte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger am Freitag im Deutschlandfunk. „Ich vermute, dass wir am Mittwoch bereit sind, diesen Schritt einzuleiten.“
Das Veto des Präsidenten
Beide Gesetze waren im Sommer von Staatspräsident Andrzej Duda nach den bisher größten Straßenprotesten mit einem Veto belegt worden. Anfang September stellte Duda zwei überarbeitete Gesetzestexte vor und überwies sie ins Parlament. Im Wesentlichen forderte der Staatspräsident mehr Mitspracherechte für sich selbst sowie der Opposition bei der Richterwahl und eine weniger radikale Säuberung bei den höchsten Richtern. Ursprünglich wollte die Regierungspartei PiS alle Höchstrichter entlassen und neu bestimmen. Nun sollen nur noch 40 Prozent von ihnen die Stelle verlieren, nämlich alle über 65-Jährigen, darunter auch die streitbare Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf. Bisher gilt eine Altersgrenze von 70 Jahren.
Allerdings hat die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) bei den Lesungen im Parlament die Vorlage Dudas reichlich zerzaust, indem sie Dutzende von Änderungen durchboxte. Gleichzeitig kam es zu Verhandlungen zwischen dem Präsidialamt und der Parteiführung. Dabei wurden bisher undurchsichtige Kompromisse erzielt, die Duda davon abhalten sollen, die beiden Gesetze erneut mit seinem Veto zu belegen.
Für Polens rechtspopulistische Regierung ist im Streit mit Brüssel vor allem eines völlig klar: Zuständig für die polnische Justiz sei einzig und allein Warschau, das damit Polens Souveränität gegen Brüssel verteidige. Zudem sei die Unabhängigkeit der Gerichte gar nicht gefährdet, behaupten Regierungsstellen, vielmehr sei die Europäische Kommission einer antipolnischen Medienhysterie aufgesessen.