Präsident soll am 10. Mai per Brief gewählt werden: Polen ändert Wahlgesetz wegen Corona-Pandemie
Im Streit um den Wahltermin setzt die Regierung im Sejm ihren Willen durch. Doch mit ihrer Mehrheit im Senat kann die Opposition den Plan torpedieren.
In Polen geht der erbitterte Streit zwischen Regierung und Opposition um die Präsidentschaftswahl in die nächste Runde. Mit ihrer Mehrheit im Sejm, der ersten Parlamentskammer, hat die Regierungspartei PiS am Montagabend ein neues Wahlgesetz verabschiedet.
Zuvor hatte Vizepremier Jaroslaw Gowin an einem dramatisch verlaufenden Sitzungstag seinen Rücktritt erklärt. Später unterstützte seine Partei "Porozumienie" (Verständigung), die als kleiner Koalitionspartner der PiS mitregiert, jedoch das Gesetz. Im ersten Anlauf war die Beratung noch gescheitert, weil ein PiS-Abgeordneter zu spät eintraf. So kam es erst am Abend zur Verabschiedung des Gesetzes.
Die Briefwahl ist nur am Wahltag erlaubt
Nach den neuen Vorschriften soll die für den 10. Mai geplante Wahl des Staatsoberhaupts als eintägige Briefwahl abgehalten werden. Wegen der Bedrohung durch das Coronavirus sollen die Bürger nicht vor Wahllokalen anstehen und drinnen den Stimmzettel ankreuzen.
Die Unterlagen sollen vorher zugeschickt und zuhause ausgefüllt werden. Am Wahltag sollen die Wähler den verschlossenen Umschlag zwischen sechs und 20 Uhr in spezielle Wahlbriefkästen werfen, die in den Gemeinden aufgestellt werden. Das selbe Procedere ist für eine potenzielle Stichwahl vorgesehen. Die wird nötig, wenn kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreicht.
Ob es aber überhaupt so kommt, ist ungewiss. Das Gesetz enthält eine Klausel, wonach der Sejm-Marschall (Parlamentspräsident) den Wahltag verschieben kann, falls die Regierung den Ausbruch einer Pandemie erklärt.
Wegen anderer Vorschriften muss die Wahl spätestens am 17. Mai stattfinden, sofern man diese Vorgaben nicht in parteiübergreifendem Einverständnis ändert. Der Sejm-Marschall ist ein treuer Gefolgsmann des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski, der wiederum als der wahre Machthaber in Polen gilt.
Der Senat kann das Projekt durch Verzögerung kippen
Noch wichtiger aber ist: Das Gesetz kann nur dann rasch in Kraft treten, wenn der Senat zustimmt. Dort hat die Opposition die Mehrheit. Sie hat schon lange eine Verschiebung der Wahl gefordert und kündigt nun an, dass sie die 30 Tage Beratungszeit, die dem Senat zustehen, voll ausnutzen möchte.
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Der Senat hat zwar kein Vetorecht. Wenn er ablehnt, kann der Sejm ein Gesetz durch nochmalige Abstimmung auch gegen den Willen des Senats beschließen.
Doch nach Ablauf der 30 Tage bleiben nur noch wenige Tage bis zum geplanten Wahltermin am 10. Mai. Selbst wenn der Sejm dann auf dem Gesetz beharrt, bliebe nicht genug Zeit, die Briefwahl vorzubereiten und durchzuführen.
Taktieren im Eigeninteresse, trotz Corona
So wirkt die Austragung dieser Kontroverse auf viele Bürger wie ein rücksichtsloses Schaulaufen der politischen Parteien mit dem Ziel, eigene taktische Interessen durchzusetzen und dem Gegner ein unverantwortliches Agieren in einer nationalen Krise vorzuwerfen.
Die Regierung setzt sich dem Verdacht aus, sie wolle die Präsidentschaftswahl um jeden Preis so schnell wie möglich abhalten und zu Bedingungen, die für ihre Wählerschaft günstig sind. Amtsinhaber Andrzej Duda, der ebenfalls der PiS angehört, liegt in den Umfragen weit vor der Kandidatin des größten Oppositionsbündnisses, Malgorzate Kidawa-Blonska.
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Die Opposition hat wegen der Einschränkung der Bewegungsfreiheit keine Chance, die Bürger durch Wahlkampfauftritte zu erreichen. Ihre Forderung nach Verschiebung um mehrere Monate wirkt freilich ebenso interessengeleitet.
Die PiS wollte zunächst keine allgemeine Briefwahl. Ihre Kernklientel sind ältere Bürger in Kleinstädte und Dörfern, die in normalen Zeiten am Sonntag nach dem Kirchgang verlässlich in die Wahllokale strömen. Die Bewohner der größeren Städte, die eher die Opposition wählen, machen im Zweifel mehr Gebrauch von der Briefwahl. Polen, die im Ausland leben, wollte die PiS schon immer von der Briefwahl ausschließen.
Je enger die Möglichkeiten der Briefwahl gefasst sind - nach dem neuen Gesetz ist sie auf den Wahltag und den Wohnort beschränkt -, umso besser aus Sicht der PiS für ihre Interessen.
Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk
Auch der zehnte Jahrestag der "Katastrophe von Smolensk" gibt der PiS die Gelegenheit, ihre These zu verbreiten, dass nur sie die nationalen Interessen vertrete, und die Opposition in die Nähe von Vaterlandsverrätern zu rücken. Beim Absturz des Regierungsflugzeugs am 7. April 2010 war der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski, der Zwillingsbruder des heutigen Parteichefs Jaroslaw, ums Leben gekommen.
Der Koalitionspartner der PiS, Jaroslaw Gowin von der "Porozumienie" hat ohnehin den Ruf, er sei ein Opportunist, dem es nur darum gehe, Macht auszuüben und sich selbst in Szene zu setzen. Er hatte sich zunächst überraschend gegen Kaczynskis Plan gestellt, am Wahltermin 10. Mai festzuhalten, und die Forderung der Opposition nach Verschiebung unterstützt.
Er drohte sogar mit Koalitionsbruch und machte dann einen eigenen Vorschlag: Polen solle die Wahl um zwei Jahre verschieben, auf Mai 2022. So lange könne Duda im Amt bleiben, dürfe dann aber nicht nochmals kandidieren. Als Gowin dafür keine Mehrheit fand, trat er am Montag als Vizepremier zurück, hielt jedoch an der Koalition mit der PiS fest. Das trägt ihm nun Spott ein.