Polnisches Präsidentenflugzeug: Exhumierung aller 83 Smolensk-Opfer schockiert Angehörige
Sechs Jahre nach dem Absturz der Präsidentenmaschine bei Smolensk ist für Polens Regierung der Fall nicht abgeschlossen. Sie lässt ab Montag alle Toten exhumieren.
Landesweit flackern Kerzen, üppig sind Polens Friedhöfe seit November mit Blumen geschmückt. In dem katholisch geprägten Land haben Millionen Menschen an Allerheiligen ihrer Verstorbenen gedacht. Dass Dutzende Tote nun gegen den Willen ihrer Familien aus den Gräbern geholt und von Rechtsmedizinern untersucht werden sollen, sorgt für Bestürzung: Das haben die Behörden im Zuge ihrer neuen Ermittlungen der Flugzeug-Katastrophe von Smolensk angeordnet. Sechs Jahre ist es her, dass die Präsidentenmaschine mit 96 Menschen an Bord abstürzte.
In einem offenen Brief setzen sich mehr als 200 Angehörige gegen die Exhumierungen zur Wehr. Es sei ein „grausamer und rücksichtloser Akt“, schreiben sie und appellieren an die Regierenden: „Bewahrt die Gräber vor der Schändung.“ Doch ihr Bitten bleibt ungehört: Für diesen Montag hat die Staatsanwaltschaft den Beginn der Exhumierungen angekündigt. Als Erster wird Präsident Lech Kaczynski aus dem Grab in der Krakauer Wawel-Burg geholt. Das verstorbene Staatsoberhaupt ist der Zwillingsbruder des mächtigen Vorsitzenden der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit(PiS), Jaroslaw Kaczynski.
Und dieser bezweifelt, dass der Absturz der Maschine am 10. April 2010 im russischen Smolensk ein Unglück war. Das ergaben damals die Untersuchungen der polnischen und russischen Ermittler. Kaczynski und seine Anhänger spornen aber Verschwörungstheorien um einen Anschlag an. Als die PiS-Partei 2015 mit absoluter Mehrheit die Wahlen gewann, rollte sie den Fall mit neuen Ermittlern wieder auf.
Die Fehler ihrer Vorgänger geben ihren Zweifeln Raum. Sowohl der polnischen als auch der russischen Seite macht die Staatsanwaltschaft schwerwiegende Vorwürfe: Neben einer fehlerhaften medizinischen Dokumentation der Toten sollen sogar Körperteile der Opfer vertauscht worden sein, heißt es.
Die Russen wollen das Wrack nicht herausgeben
Die Opposition verteidigt die damaligen Ermittlungen. „Es war ein Schock, allen hätten Fehler passieren können“, sagt der Abgeordnete Rafal Trzaskowski von der Bürgerplattform PO. Das Misstrauen der PiS weckt aber auch das fehlende Wrack: Bis heute will Russland es nicht herausgeben. Die eigenen Untersuchungen seien nicht abgeschlossen, heißt es aus Moskau.
Das lässt den polnischen Behörden nach eigenen Angaben keine Wahl: „Die Leichname sind praktisch der einzige Beweis“, sagt Staatsanwalt Marek Pasionek. Der Wahrheit auf den Grund zu gehen, sei Polens Pflicht, betont er. Deswegen müssten auch alle 83 Toten - 13 der Opfer wurden eingeäschert - exhumiert werden. „Sonst würde es immer Zweifel geben“, sagt Pasionek.
Während sich die Bischofskonferenz, die der PiS nahe steht, in der moralisch heikeln Diskussion zurückhält, ergreifen vereinzelt Geistliche Partei: „Für mich ist es ein Skandal“, sagt Bischof Tadeusz Pieronek. „Was ist der Sinn dieser massenhaften Exhumierungen nach all den Jahren?“, fragt er. Die Familien müssten das Trauma von vor Jahren erneut durchleben. „Die Politik greift in ihre Privatsphäre ein“, sagt er.
Die Vorwürfe gegen die Regierenden wiegen schwer: Sie spielten mit Emotionen und betrieben auf Kosten der traumatisierten Familien Politik, kritisieren die Gegner der Anschlagstheorie. „Es ist schrecklich, wenn er (Kaczynski) auf diese Weise den Tod seines geliebten Bruders ausspielt“, sagt Polens Ex-Regierungschef Kazimierz Marcinkiewicz dem Sender TVN24. Die PiS wolle weiter Misstrauen säen und so Unterstützer gewinnen, vermuten Kritiker. „Es geht darum, diese Ermittlungen niemals abzuschließen“, beurteilt Polens Europaabgeordneter Krzysztof Hetman die Absichten der PiS.
Tatsächlich spaltet das Unglück Jahre später noch immer das Land. Laut einer Umfrage des Instituts CBOS glaubt ein Fünftel der Polen, die neuen PiS-Ermittlungen könnten Erfolg bringen. Ob Kaczynski mit seiner Beständigkeit ihre Zahl vergrößern kann, bleibt abzuwarten. Die Exhumierungen sollen mindestens ein Jahr dauern - und werden so lange die Gemüter der Polen erhitzen. (dpa)