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Thomas Kemmerich, Fraktions- und Landesvorsitzender der FDP, bei einer Sitzung des Thüringer Landtags.
© dpa/Michael Reichel

Möglicher FDP-Spitzenkandidat in Thüringen: Plant Thomas Kemmerich ein Comeback?

Er gilt in der Bundespartei als „toxisch“. Dennoch wird Thomas Kemmerich wohl Thüringer FDP-Chef bleiben. Seine Gegner fürchten, dass er noch mehr will.

Die Gegner des Thüringer FDP-Chefs Thomas Kemmerich hatten sich schon auf eine Niederlage eingestellt. An diesem Samstag wollte sich der 56-Jährige eigentlich vom Landesparteitag in der Kleinstadt Eisenberg im Amt des FDP-Vorsitzenden bestätigen lassen – mit guten Aussichten auf Erfolg, wie es in der Partei heißt. Kemmerichs Gegenkandidaten, dem Weimarer Manager Hagen Hultzsch, wurden nur wenig Chancen eingeräumt.

Doch aus der ganzen Sache wird nun nichts – vorerst. Der Grund: Der FDP-Landesvorstand hat den Parteitag am Donnerstag überraschend auf Juni verschoben. „Hintergrund sind neue Auflagen vom Gesundheitsamt in Eisenberg, die uns kurzfristig erreichten und einen Landesparteitag somit nicht mehr durchführbar machen“, heißt es in einer internen E-Mail an die Mitglieder. Die Inzidenz im Landkreis liegt seit Tagen über 200 – viel zu hoch für einen Präsenz-Parteitag. Das Gesundheitsamt weist darauf hin, dass der Landeswahlleiter alle Parteien bereist am 10. Februar über die „COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung“ informiert habe.

Mit dem hastig abgesagten FDP-Parteitag setzt sich für die Thüringer Freidemokraten eine Hängepartie fort – eine, die andauert, seitdem sich Kemmerich am 5. Februar 2020 mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, seine gesamte Partei damit in eine tiefe Krise stürzte und nach drei Tagen zurücktrat.

„Er hat hier nach wie vor viele Unterstützer“

Seither gilt er in der Bundes-FDP als „verbrannt“, gar „toxisch“. Viele Liberale, vor allem außerhalb des Freistaats, würden ihn am liebsten ganz los werden – oder wenigstens nicht mehr in prominenter Position sehen. Nicht so in Thüringen jedoch, wie ein hochrangiger Funktionär sagt: „Er hat hier nach wie vor viele Unterstützer, von den Delegierten bis in die höchsten Gremien.“

Unter den Kemmerich-Kritikern im Freistaat wächst deshalb die Sorge, dass der Landesvorsitzende insgeheim ein Comeback plant; dass er nicht nur eine zweite Amtszeit als Thüringer FDP anstrebt, sondern womöglich auch nach der Spitzenkandidatur für die kommende Landtagswahl greift – und damit den offenen Bruch mit der Bundespartei riskiert. Die kurzfristige Absage des Parteitags sehen sie als weiteren Beleg, dass Kemmerich auf Zeit spiele.

Tabubruch: Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich (l.) mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. AfD-Fraktionschef Björn Höcke (r) gratulierte.
Tabubruch: Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich (l.) mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. AfD-Fraktionschef Björn Höcke (r) gratulierte.
© dpa/Bodo Schackow

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Sollte der Thüringer Landeschef tatsächlich wieder Spitzenkandidat werden, könnte das Kemmerich-Problem der FDP mitten im Superwahljahr mit voller Wucht zurückkehren. Er betont zwar, sein Verhältnis zur Parteispitze sei „politisch professionell und entspannt“, allerdings ist das seit mehr als einem Jahr vor allem von Spannungen geprägt. Ende 2020 hatte Generalsekretär Volker Wissing gedroht, den Thüringer Parteifreunden die Unterstützung zu streichen, sollten die Kemmerich noch einmal zum Spitzenkandidaten machen. Dessen Foto will die Parteiführung im Superwahljahr offenbar lieber nicht auf großflächigen FDP-Plakaten sehen. Kemmerich hatte daraufhin Lindner versprochen, „eine andere Person vorzuschlagen“.

Das will er inzwischen aber nicht mehr wiederholen – und schließt eine eigene Spitzenkandidatur nicht aus. „Ich strebe erneut ein Landtagsmandat in aussichtsreicher Position an. Das muss nicht als Spitzenkandidat sein“, sagt er lediglich. Um den ersten Listenplatz jemand anderem zu überlassen, hätte er aber schon längst einen „Alternativ-Kandidaten“ aufbauen und den landesweit bekannt machen müssen, sagt ein Thüringer FDP-Mann. „Ich fürchte, dass Kemmerich am Schluss die einzige Wahl sein wird.“ Die Landtagswahl ist für den 26. September vorgesehen, den Tag der Bundestagswahl.

Wer soll es sonst machen?

Auf die Frage, wer die FDP im Freistaat denn sonst in den Wahlkampf führen sollte, wenn nicht er, der bekannteste Liberale im Land, sagt Kemmerich nur: „Wir sind in der Fraktion ein gutes Team. Ich bin Teil des Teams.“

Auch daran – an der guten Arbeit der FDP-Fraktion im Erfurter Landtag – zweifeln allerdings die Kemmerich-Gegner. Das hängt damit zusammen, wie der Landeschef seine Fraktion führt. Dabei geht es vor allem um die Abgeordnete Ute Bergner, die einige Kreisverbände und Einzelmitglieder am Samstag eigentlich per Parteitagsbeschluss aus der Fraktion werfen wollten.

Der Grund: Bergner sei in der Öffentlichkeit mit unangemessenen Äußerungen aufgefallen, wie es in dem Antrag heißt. So verglich sie vor einem Jahr bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. „Heute würde ich das politisch korrekter formulieren“, sagt sie. Dass die „Bedingungen unter den Corona-Verordnungen schlimmer als in der DDR“ seien, daran hält sie aber fest. „Meine Rechte, mich frei zu bewegen, Familie und Freunde zu treffen, werden mir genommen. Das hat die DDR nie geschafft“, sagt sie.

Ihre Mitgliedschaft in der FDP, so sagen sie und Kemmerich übereinstimmend, ruhe – auch wenn rechtlich unklar ist, was das bedeutet. In der Landtagsfraktion bleibt sie aber, die Zusammenarbeit dort sei gut, sagt Bergner. Vor den Neuwahlen wolle sie die Partei dann verlassen. Bis dahin braucht Kemmerich sie allerdings, da seine fünfköpfige Truppe im Erfurter Landtag ohne die 63-Jährige den Fraktionsstatus verlieren würde. Dass einige Noch-Parteifreunde sie lieber heute als morgen aus der Fraktion werfen wollen, sehe sie „total schmerzfrei“, sagt Bergner.

Auch Kemmerich zeigt sich im Gespräch gelassen, trotz aller Querelen um seine Person. Zurückschauen auf das „Fiasko von Erfurt“, wie Lindner Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden einmal nannte, will der Thüringer FDP-Vorsitzende nicht. „Über den 5. Februar 2020 gibt es so viele Interpretationen wie es Ansichten gibt, wer der nächste Fußball-Bundestrainer werden sollte“, sagt er. „Wer permanent in den Rückspiegel schaut, kommt nicht voran. Ich schaue lieber nach vorn.“

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