zum Hauptinhalt
Ab Mittwoch müssen die Geschäfte in Pirmasens wieder schließen. Das versteht der Oberbürgermeister nicht.
© Uwe Anspach/dpa
Update

Landesregierungen legen „Notbremse“-Veto ein: Pirmasens öffnet, Dortmund will schließen – doch beide dürfen nicht

Die Corona-„Notbremse“ gilt ab der 100er-Inzidenz, Pirmasens und Dortmund wollten Ausnahmen – in entgegengesetzte Richtungen. Aber die Länder sagen „Nein“.

Die Stadt Pirmasens in Rheinland-Pfalz hat derzeit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 173 – Tendenz steigend. Ab einer Inzidenz von 100 sollen Kreisfreie Städte und Landkreise in Deutschland die am 8. März in Kraft getretenen Öffnungsschritte wieder zurücknehmen. Bund und Länder nennen das die „Notbremse“.

Oberbürgermeister Markus Zwick will sich dem eigentlich widersetzen. Und erklärte im Tagesspiegel-Interview auch, warum. Aber das Land Rheinland-Pfalz zog dennoch am Dienstag die „Notbremse“ für Pirmasens. Dem Landesgesundheitsministerium reichten die vor Ort getroffenen Maßnahmen nicht aus, um die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt.

Deshalb ordnete das Land an, Einzelhandel sowie Dienstleistungsgewerbe zu schließen und eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr sowie erneute Einschränkungen in den Bereichen Sport, Bildung, Kultur und Freizeit umzusetzen. Diese Verordnung solle ab Mittwoch bis zum 24. März gelten, so die Stadt.

Oberbürgermeister Zwick nahm die Entscheidung laut Mitteilung „mit Bedauern und Unverständnis“ zur Kenntnis. Er betonte in einem Schreiben an den rheinland-pfälzischen Gesundheitsstaatssekretär Alexander Wilhelm nochmals, dass die Stadt Pirmasens nicht per se gegen strengere Schutzmaßnahmen sei, sofern diese geboten und verhältnismäßig seien.

Gerade im Hinblick auf die Schließung des Einzelhandels und Betrieben, die körpernahe Dienstleistungen anbieten, hat Zwick weiterhin erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zwick vertritt die Auffassung, dass es bei einem rechtmäßigen Erlass von Schutzmaßnahmen nicht alleine auf die Inzidenzahlen ankommen dürfe. Das hatte er bereits dem Tagesspiegel gesagt. „Um eine Verordnung gewissenhaft und rechtssicher erlassen zu können, müssen unseres Erachtens weitere Gesichtspunkte Berücksichtigung finden“, so Zwick am Dienstag.

So blieben aus seiner Sicht beispielsweise örtliche oder regionale Besonderheiten und und das Infektionsgeschehen unberücksichtigt. „Die Inzidenz allein ist als Richtwert nicht zielführend, wenn gute Gründe dagegen sprechen“, so Zwick.

In seinem Schreiben an Gesundheitsstaatssekretär Wilhelm wies Zwick nochmals darauf hin, dass ein erheblicher Teil der Neuinfektionen in Pirmasens auf eine einzelne Kindertagesstätte zurückzuführen sei. Bisher wurden alleine dort 33 Fälle von infizierten Erziehern, Kindern und deren Umfeld ermittelt und isoliert. „Ohne diese Fälle läge die Inzidenz in Pirmasens unterhalb von 100“, so Zwick.

Außerdem sei nicht erkennbar, dass mit Öffnung von Geschäften und Dienstleistern am 8. März ursächlich für den sprunghaften Anstieg der Fallzahlen verantwortlich ist, zumal die Unternehmen über strenge und gut funktionierende Hygienekonzepte verfügten. „Deshalb macht es keinen Sinn, sie zu schließen“, so Zwick am Montag. Zudem seien von 16 Plätzen auf der Intensivstation in Pirmasens momentan nur ein Bett belegt.

Dortmund wollte Schulen schließen – darf es aber nicht

Wie also umgehen mit einem Lockdown, der an die Inzidenz geknüpft ist – oder aber Lockerungen wegen solcher. Vor diese Frage sieht sich auch die Stadt Dortmund gestellt, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen.

Die Stadt in Nordrhein-Westfalen hat derzeit eine Sieben-Tage-Inzidenz von 72 – Tendenz auch hier steigend. Aber anders als in Primasens wollte der Oberbürgermeister dort einen Schritt, der erst ab einer 100er-Inzidenz vorgesehen ist, vorziehen. Und auch in seinem Fall ließ die Landesregierung das nicht zu.

Ab Mittwoch wollte Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal die Schulen in der drittgrößten Stadt Nordrhein-Westfalens schließen. Er begründete die geplanten sofortigen Schließungen mit dem vorläufigen Impfstopp des Astrazeneca-Vakzins.

Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann sagte allerdings am Dienstag, dass bei dieser vergleichsweise niedrigen Sieben-Tage-Inzidenz Schulschließungen nicht infrage kämen. Er kritisierte, dass der Stadt offenbar keine anderen Maßnahmen einfielen.

„Wir sind der festen Überzeugung, dass es in diesem Moment überhaupt keinen Sinn macht, die Schulen zu öffnen“, hatte Oberbürgermeister Westphal am Dienstagmittag erklärt. „Deswegen haben wir den dringenden Appell an die Schulministerin, die Schulöffnung und das Hochfahren des Präsenzunterrichts sofort zu beenden.“

Aus Sicht der Stadt Dortmund sei das Öffnungskonzept der Schulen geknüpft an Impfungen und Tests. Seit der Bekanntgabe des vorläufigen Impfstopps von Astrazeneca fehle die Geschäftsgrundlage für diesen Gesamtplan. Man habe die Lehrer mit Astrazeneca impfen wollen, das sei jetzt unmöglich.

Das Schulministerium in Düsseldorf hatte vor einigen Tagen landesweit vorgegeben, dass alle Schüler bis zu den Osterferien zumindest tageweise wieder in die Klassenräume zurückkehren – im Wechselmodus und in halber Klassenstärke. „Es findet morgen in Dortmund auf Anordnung des Landes wieder Präsenzunterricht statt“, teilte die Stadt den ansässigen „Ruhr Nachrichten“ am späten Nachmittag kurz und knapp mit. Ganz aufgeben wolle man die Überlegungen zur Schließung der Schulen aber nicht. Dortmund will dem Land jetzt weitere Pläne vorlegen.

Woidke droht Landkreisen Eingreifen an

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) droht derweil Landkreisen mit fehlenden neuen Corona-Schutzmaßnahmen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100 mit einem Eingreifen. „Ich erwarte, dass die Landräte ihre Verantwortung wahrnehmen“, sagte Woidke am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“. „Wenn es nicht passiert, dann wird das Land handeln.“ Das Gesundheitsministerium werde die notwendigen Maßnahmen dann anordnen. „Brandenburg geht keinen Sonderweg“, betonte Woidke. Er verteidigte zugleich das Fehlen einer automatischen Notbremse für Lockerungen bei einer landesweiten Inzidenz über 100. (mit dpa)

Zur Startseite