Erneuerung der CDU: Philipp Amthor – verachtet, verspottet und unterschätzt?
Philipp Amthor, das könnte die CDU von morgen sein. Nur was für eine wäre das? Eine Langzeitbeobachtung.
Dann setzt er sich auf den Tisch. Seine Schultern hängen leicht nach vorne, die Beine locker herunter. Es ist der letzte offizielle Termin dieses langen dauerverregneten Tages und die Anspannung verflüchtigt sich bis auf den kleinen Rest, der sich kurz in seinen Händen zu sammeln scheint, die er fest aufeinanderdrückt.
„Ich will hören, was Sie bewegt“, sagt Philipp Amthor zu den Menschen, ein gutes Dutzend, die vor ihm im Gemeindehaus auf Stühlen sitzen. Und weil niemand etwas sagt, redet er erstmal selbst.
Nach 30 Reden im Parlament, wird er langsam ernstgenommen
Ein Dienstagabend in Mönkebude, 761 Einwohner, nur Schritte vom Stettiner Haff entfernt, ein kleines Dorf im riesigen Wahlkreis 016, der Philipp Amthor 2017 per Direktmandat in den Bundestag schickte. Da war er 24 Jahre alt, hatte gerade seine Examensklausuren in Jura an der Universität in Greifswald geschrieben und eine Promotion begonnen.
Seither geschah, was Politiker seiner Partei einen „beachtlichen Start“ nennen.
Nun, fast exakt drei Jahre und 30 im Parlament gehaltene Reden später, passiert es tatsächlich, dass er zum Interview im Deutschlandfunk als Innenpolitiker angekündigt wird und nicht mehr als jüngster direkt gewählter Abgeordneter, zweitjüngster im Bundestag überhaupt.
Der ist jung und unverbraucht, rhetorisch außerordentlich stark und kein Langweiler. Leute seines Alters werden ja eher von den Grünen aufgefahren, warum nicht mal zur Abwechslung von der CDU?
schreibt NutzerIn curtiusrufus
Unterschätzt zu werden kann ein enormer Vorteil sein. Während manche sich streiten, ob Lebenserfahrung für einen Politiker nicht doch irgendwie wichtig sein könnte, nein müsste, drechselt Philipp Amthor mit den Kollegen im Ausschuss für Inneres und Heimat neue Gesetze zur Steuerung von Migration. Parteifreunde loben sein Potenzial. Philipp Amthor, das könnte die CDU von morgen sein. Nur was für eine wäre das?
In seinem Wahlkreis wirkt Berlin unendlich weit weg
In Mönkebude redet Philipp Amthor noch immer: Polizei und innere Sicherheit – die polnische Grenze ist nicht weit –, Infrastrukturausbau, Funklöcher. Langsam beginnen die Köpfe vor ihm zu nicken. Er kann das, Menschen warmquatschen, vor allem wenn er weiß, was sie hören wollen. Der Wahlkreis sei sein Resonanzboden, sagt Philipp Amthor. Hier hallt die Politik nach, die in Berlin gemacht wird, das von Vorpommern nur rund 200 Kilometer entfernt ist und doch unendlich weit weg zu sein scheint.
Heute spricht der Resonanzboden in Form eines Schnauzbärtigen: Was soll das überhaupt heißen, Klimawandel? Und wieso wird es Flüchtlingen so leicht gemacht, wieso bekommen die so viel Geld?
"Die sollen gar nicht erst kommen."
Amthor erklärt. Dass auch für Asylbewerber die Menschenwürde gelte; dass die nicht mehr bekämen als Hartz-IV-Empfänger. Dass aber, zugegeben, es beim bunten Multikulti-Straßenfest auch dunkle Seitenstraßen gebe. Dass er nach einem Besuch im Flüchtlingslager Saatari in Jordanien den Eindruck gewonnen habe, jeder Euro sei dort besser investiert als wenn die Menschen hier mit Sozialleistungen versorgt würden. „Die sollen gar nicht erst kommen.“
Das Konservative in der CDU/CSU – für viele schien es während Angela Merkels Regierungszeit zunehmend mit allzu liberalen, sozialdemokratischen Positionen zu verschwimmen. Nun zeigt selbst Horst Seehofer Milde in der Flüchtlingspolitik, Markus Söder will das Klima retten. Statt konservativen Fundaments nichts als „ja, aber“.
Wo immer er sich öffentlich äußert, Spott ist ihm sicher
Philipp Amthor hat - trotz einer aussichtsreichen AfD - in seinem Wahlkreis das Direktmandat erobert. Mit 24 gehörte er zu den Mitgründern des Konservativen Kreises innerhalb der CDU in Mecklenburg-Vorpommern. Konservativ sein, das hat er in vielen Interviews länglich beantwortet, ist für ihn eine Frage der Haltung. Und einer Politik, die auf Werten basiere: das christliche Menschenbild, Aufklärung, Humanismus.
Wo immer er solcherlei öffentlich äußert, ist ihm Spott sicher. Auf Twitter, Instagram und in den Facebook-Kommentarspalten. Dem Autor und Comedian Schlecky Silberstein schien die Vorstellung, ein junger Mensch könne so denken und reden – überhaupt: CDU-Mitglied sein! – derart absurd, dass er eine Petition startete: #FreeAmthor. Das „Vice-Magazin schrieb, Amthor sehe aus „wie Biene Majas Freund Willi“. Der Twitter-Account Philipp Amthor Memes sammelt eben solche, die Facebook-Seite Philipp Amthor Ultras macht Vergleichbares.
Die Floskeln, die Anzugtragerei - es stört die Leute nicht
Philipp Amthor hat das Glück, dass er über sich selber lachen kann. Und auch darüber, dass andere über ihn lachen, über seine Anzugtragerei – nur echt mit dem Deutschlandfähnchen am Revers. Über den flachsten Witz: sein Alter.
Gerne benutzt er Floskeln. Warum trat er mit 16 in die CDU ein, engagierte sich überhaupt politisch? „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Über seine Kindheit im Städtchen Torgelow, die Mutter alleinerziehend, sagt er: Kein Leben mit goldenem Löffel im Mund.
Es entsteht andererseits, unterwegs mit Philipp Amthor, nicht das Gefühl, dass irgendetwas davon die Leute wirklich stört.
Am vorletzten Tag des Monats August steht Philipp Amthor abends vor der Leipziger Nikolaikirche. Es gibt Freibier und Würstchen, der Platz ist knallvoll, auf einer Bühne lärmt eine Cover-Band. In zwei Tagen wird Sachsen eine neue Landesregierung wählen, die Bundes-CDU ist in Mannschaftsstärke angerückt, um Ministerpräsident Michael Kretschmer zu unterstützen. Die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ist da, Gesundheitsminister Jens Spahn, Paul Ziemiak, der Generalsekretär – und eben Philipp Amthor. Nach dem offiziellen Teil dürfen die Bürger Fragen stellen, schnell ist Amthor umringt von Menschen.
Eine Frau von der Antifa will ein Foto mit ihm
„Die CDU ist nicht so meine Partei, wie kann es sein, dass ich Sie trotzdem gut finde?“ Es ist der meistgesagte Satz, dem eine Frage folgt und die Bitte um ein Selfie. Er wird geduzt, umarmt, spricht über Landwirtschaft, Wehrdienst und Bildung.
Junge Frau: „Wie schaffen wir es, dass mehr Leute Lehrer werden und im Osten bleiben?“ Amthor: „Da hätte ich auch gern ein Patentrezept.“
Am Ende kommt eine blondierte Gepiercte von der Leipziger Antifa und bittet um ein gemeinsames Foto. Vielleicht ist die CDU für viele der Fragenden nicht wählbar. Vielleicht ist sie es noch nicht.
Hobby: Jagen. Ernsthaft?
Philipp Amthor sagt, dass ihm die Begeisterung für seine Person unerklärlich sei. „Am Ende werbe ich ja für die CDU und nicht für einen privaten Fanclub.“ Man kann auch nicht sagen, dass er viel dafür täte, besonders jugendlich zu wirken, Äußerlichkeiten mal beiseite. Im vergangenen Jahr hat er den Jagdschein gemacht, neulich seinen ersten Hirsch geschossen. Seine Begründung dafür klingt nicht anders als die anderer Jäger: Ausgleich zur Arbeit, Disziplin, Naturverbundenheit. Aber Jagen? Wirklich? „Ich habe dafür eine echte Passion“, sagt er, ehrlich begeistert.
Möglicherweise ist es das, was ihn am Ende für junge Menschen attraktiv macht, die tendenziell enttäuscht sind von der Politik der alten Männer (und Frauen): er bleibt sich treu, weil er gar nicht anders kann. Sein Freund Paul Ziemiak sagt es so: „Er ist auch ein Stück weit Kult. Er ist völlig authentisch, er ist wirklich so, wie er ist – in seiner Einzigartigkeit.“
Die Antwort auf Rezo war wohl reichlich hölzern
Kein Wunder, dass es Philipp Amthor war, der dem Youtuber Rezo auf dessen Video „Die Zerstörung der CDU“ antworten sollte. Dass dieses Antwortvideo nie in Gänze gezeigt wurde, dass es vermutlich, nach all dem, was er selbst davon auf Instagram preisgegeben hat, reichlich hölzern war, schadet in der Sache nicht.
Könnte sein, dass es gute Zeiten sind für Philipp Amthor in einer Partei, die sich auf der Suche nach Profil ausgerechnet den jungen österreichischen rechtskonservativen Kanzler Sebastian Kurz zum Vorbild ausgeguckt hat. Amthor ist für eine klare Begrenzung der Zuwanderung, im Umgang mit Geflüchteten plädiert er parteitreu für „Humanität und Härte“.
Sebastian Kurz spricht schon lange davon, die Außengrenzen Europas müssten effektiver geschützt werden. Nach dessen Wiederwahl Ende September twitterte Friedrich Merz: „Es hat sich einmal mehr gezeigt: Mit klarem Profil kann eine bürgerliche Partei auch wieder Mehrheiten gewinnen.“
Paul Ziemiak lobte Kurz für seine klare Politik und Sprache. Über Amthor sagt er: „Er ist ein unglaublich kluger und humorvoller Mensch. Er ist nie verbissen, immer rational – und polarisiert genau deswegen.“
Im Fernsehen ist dies bislang noch am eindrucksvollsten zu sehen gewesen. Etwa in der Talkrunde von Markus Lanz Mitte September, als die geladenen Gäste und ihr Moderator sich zu verbünden schienen, den Jungpolitiker für seine vermeintliche Rückgewandtheit in Grund und Boden zu schimpfen: Die Welt dreht sich weiter, Herr Amthor!
Und wirkt er nicht tatsächlich in dem, was er sagt, manchmal seltsam aus der Zeit gefallen? Als einziger Mann und Lebensschützer saß er in einer Diskussionsrunde zum Thema Abtreibung bei Anne Will, verteidigte den umstrittenen Paragrafen 219a, der die Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch untersagt. Die Häme im Netz war grenzenlos.
Applaus für seinen Umgang mit der AfD - auch von ganz links
Ganz anders bei seiner zweiten Rede im Bundestag, Februar 2018, deren Video rasend schnell im Internet die Runde machte – und ihn berühmt. Darin zerpflückte Amthor den Antrag der AfD-Fraktion auf ein Burka-Verbot: „Sie haben nicht einmal das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes gelesen, worin steht, dass Ihr hier vorgelegter Entwurf verfassungswidrig ist.“ Auch er halte „die Burka für die Menschenwürde befremdlich“, doch strotze der Antrag vor Fehlern. „Hören Sie mir mal zu, dann können Sie nämlich noch was lernen über die Verfassung.“ Nichts geht über das Grundgesetz, selbst wenn man sich in der Sache einig ist.
Weil seine Themen, innere Sicherheit und Migration, auch Kernthemen der AfD sind, hilft nur: fachlich besser sein und dem Gegner jeden Fehler und jede Ungenauigkeit dreimal um die Ohren hauen. Es wirkt wie eine gute Strategie gegen diese Partei: standhafter Konservativismus und alles stets in dem begründet, was Amthor an einem Morgen im September den „gesellschaftlich gewonnenen Konsens“ nennt, die Verfassung.
Amthor sitzt auf einem schwarzen Ledersofa in seinem Büro im Paul-Löbe-Haus, gleich gegenüber dem Reichstag. Gut gelaunt, zugewandt, eine Tasse Kaffee in der Hand. Er sagt: „Die Verfassung ist ja immer auch ein Gesellschaftsvertrag, der uns eine gemeinsame Grundlage ist. Selbstverständlich ist sie eine solide Argumentationsbasis. Sie ist ja gerade nicht vom Himmel gefallen und auch nicht aus einem Ideologielaboratorium erdacht, sondern in unserer Kultur und in unserer Geschichte gewachsen.“
Oft wird ihm vorgeworfen, er sei nicht empathisch genug
Er war gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, weil er sie für verfassungsrechtlich bedenklich hält, findet Burkas problematisch und doch die Religionsfreiheit entscheidender, vergleicht Werbung für Abtreibung mit Bei-Rot-Fahren. Zeigt sich hier die Eigenart der Juristen, ihre persönliche Meinung in Rechtsform zu kleiden? Oft wird Amthor vorgeworfen, er sei nicht emphatisch genug. Was nicht ganz fair ist. Er ist durchaus emotional, nur passt den Leuten die Art und Weise nicht: neugierig auf andere Argumente – um am Ende doch nicht von seiner Position zu weichen.
„In meinem Grundverständnis ist konservative Politik erstmal das, was den Beweis der Realitätstauglichkeit schon einmal erbracht hat und sich selbst gerechtfertigt hat“, sagt Philipp Amthor. „Wenn ich einen gesellschaftlich gewonnenen Konsens wie die Verfassung nur ersetze durch meine Emotionalität, finde ich das unglaublich arrogant.“ Dass es bei Zuhörern oft anders herum ankommt, dass ihm Arroganz genau wegen seiner normativen Argumentation vorgeworfen wird – „merkwürdig“.
Als er im Sommer mit der Kreuzberger Grünen-Abgeordneten Canan Bayram für einen Beitrag der Tagesschau den Wahlkreis tauscht, lässt ihn in der Oranienstraße ein Alteingesessener sprachlos zurück. Die Szene spielt vor einem Kiosk, der geschlossen werden muss: das Haus wurde aufgekauft, die Miete wird sich für die Betreiberin ins Unbezahlbare erhöhen. Neben der verzweifelten Frau steht ein Stammkunde, der sagt: Für kleine Gewerbe muss ein Mietrechtsschutz her.
Vor- und Nachteil seiner Popularität: die Leute hören genau zu
Amthor: Aus einer ordnungspolitischen Überzeugung ist das natürlich schwierig: wenn wer was kauft … Stammkunde: Wenn die Politik das nicht schafft, wird man andere Wege finden müssen, um solchen Leuten zu zeigen, dass sie hier nicht erwünscht sind. Amthor: Das ist auch nicht die gute Einstellung zum Rechtsstaat. Stammkunde: Es ist eine Einstellung zum Rechtsstaat.
Es ist Vor- und Nachteil der Popularität zugleich: dass man ihm genau zuhört. Dass man gern auch wüsste, was für ein Mensch sich hinter diesem Politiker verbirgt, der stets weiß, was wo festgeschrieben steht und wie.
"Ist ja keiner von uns Moslem, der das jetzt nicht singen kann"
So ist es wohl zu erklären, dass ein ein Jahr alter Ausschnitt aus einer Reportage des Y-Kollektivs wieder an die Oberfläche gespült wurde. Darauf ist Amthor zu sehen, wie er auf einem vorpommerschen Marktplatz mit anderen Bürgern zusammen die Nationalhymne singt. Und anschließend sagt: Ist ja keiner von uns Moslem, der das jetzt nicht singen kann. Keine Ölaugen, sagt ein Mann. Es folgt Gelächter.
Philipp Amthor hat sich dafür entschuldigt. Der Spruch sei falsch gewesen. So etwas dürfe nicht vorkommen und werde es auch nicht wieder. Kein Grund zur Annahme, er, der auf dem Sofa in seinem Büro entschuldigend die Hände hebt, meine das nicht ernst. Und doch zeigt die Szene den Spagat, den Philipp Amthor zu meistern versucht: in seinem Wahlkreis verwurzelt bleiben und im ach so weltläufigen Berlin ankommen, die Sprache der Leute sprechen und ihnen nicht nach dem Mund reden. Mecklenburg-Vorpommern ist bekannt für seine stramme rechte Szene.
Amthor ist ein Bursche nach seinem Geschmack
Die Arbeit, die Philipp Amthor in seinem Wahlkreis macht, die Ziele, die er erreicht, sind entschieden anders als jene, um die es in Berlin geht. Nicht Abschiebungen oder Clankriminalität sind hier Themen, sondern beispielsweise der Bau einer Umgehungsstraße auf Usedom. Oder dass Burg Spantekow im gleichnamigen Ort nun endlich Denkmal nationaler Bedeutung ist, Philipp Amthors Einsatz sei Dank.
Bei einem Besuch an jenem verregneten Tag Anfang Oktober kann der 81-jährige Burgherr sein Glück kaum fassen. Jahrelang hatte er sich um den Status bemüht. Amthor ist ein Bursche nach seinem Geschmack, der schnackt nicht nur, der macht.
Er hat sich dieses Image hart erarbeiten müssen. Bei den vorpommerschen Landwirten, grundsätzlich keine Berufsgruppe, die dem schönen Schein anheimfällt, ging er zu Beginn seiner Amtszeit hospitieren. Er schippte Steine, besuchte Ställe. Amthor ist ihr Satellit in der großen Stadt, von der sie sich falsch verstanden und schlecht dargestellt fühlen; zugleich Vertreter einer Spezies, die ihnen tendenziell das Leben schwer macht mit ihren Diskussionen um ein Glyphosatverbot und Tierwohl.
Es war die Kanzlerin selbst, die Philipp Amthor damals riet, zum Studium nicht fortzuziehen, sondern in Mecklenburg-Vorpommern zu bleiben. Weil man Politik doch am besten von Zuhause aus mache. Es mag der beste Rat gewesen sein, den er jemals bekommen hat.