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Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin durch das Seniorenheim.
© Sina Schuldt/dpa

Mehr als 200.000 Stellen unbesetzt: Pflegeratspräsidentin fordert 4.000 Euro brutto für Pflegekräfte

Im Pflegebereich ist der Personalmangel ein Riesenproblem. Experten fordern von der neuen Bundesregierung deutlich bessere Bezahlung – und eine Gesamtidee.

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, fordert ein Monatsgehalt von 4.000 Euro brutto für Pflegende in allen Bereichen. „Neue Studien konnten belegen, dass die Pflege in puncto Belastung und Verantwortung mit etwa 4.000 Euro für eine Vollzeitstelle angemessen honoriert wäre“, sagte Vogler der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir haben heute eine Spanne, je nachdem wo Pflegende arbeiten, zwischen 2.100 und 3.700 Euro.“ Die wenigsten erreichten derzeit 4.000 Euro.

Die nächste Bundesregierung müsste „endlich mal grundsätzlich beantworten“, wie Pflege künftig finanziert werden soll, fügte Vogler vor Beginn des Deutschen Pflegetages am Mittwoch in Berlin hinzu. Die Mittel aus dem deutschen Sozialversicherungssystem reichten im Augenblick nicht aus, um die Pflege besser zu finanzieren. Deshalb müsse über Steuerzuschüsse nachgedacht werden.

Vogler forderte „einen Kassensturz“ im Gesundheitssystem: „Welchen Versorgungsauftrag haben wir, und was können wir uns noch leisten?“ Das Gesundheitssystem werde teurer – „und letztlich werden es die Bürger in diesem Land zahlen müssen“, erklärte die Pflegeratspräsidentin.

2030 rund 5,1 Millionen Pflegebedürftige?

Vogler forderte von der künftigen Bundesregierung umfassende Maßnahmen zur Stärkung der Pflege. „Es braucht eine Gesamtidee, wie wir 5,1 Millionen Pflegebedürftige bei fehlenden 500.000 Pflegefachpersonen in 2030 noch gepflegt bekommen“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Im Pflegerat als Dachverband haben sich große Verbände der Pflegebranche zusammengeschlossen.

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An diesem Mittwoch und Donnerstag beraten Experten aus Politik, Wirtschaft und Verbänden auf dem „Deutschen Pflegetag“ über die aktuellen Herausforderungen in der Branche. Zum Auftakt ist auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eingeladen, er wird ein Grußwort an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer richten.

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats: Christine Vogler.
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats: Christine Vogler.
© Gudrun Arndt/DPR

Es gehe unter anderem um eine angemessene Bezahlung, die Umsetzung vernünftiger Personalschlüssel, angemessene Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte im Gesundheitssystem, sagte Vogler. Ein Hauptproblem in der Pflege ist weiterhin der Personalmangel. Nach Angaben des Pflegerats fehlen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen aktuell mehr als 200.000 Pflegerinnen und Pfleger.

Rund 1,7 Millionen Menschen sind laut Bundesagentur für Arbeit in der Kranken- und Altenpflege sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Auf Pflege angewiesen sind in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen. Wegen der alternden Gesellschaft wird erwartet, dass die Zahl weiter steigt.

AOK Nordost fordert frei verfügbares Pflegebudget für die Pflegebedürftigen

Reformen zur Verbesserung der Lage, die von der großen Koalition in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht wurden, blieben in der Wirkung für die Pflegebedürftigen und die Beschäftigten zu schwach, kritisierte Vogler. „Die Maßnahmen wenden sich kurzfristig den Symptomen zu – die Grundfragen aber werden konsequent ignoriert.“

Auch Pflegekassen fordern weitere Reformen. Die im Sommer vom Bundestag verabschiedete Pflegereform 2021 löse „keine einzige der drängendsten Fragen in der Pflegeversicherung und auch nicht der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen“, sagt Hans-Joachim Fritzen, stellvertretender Vorsitzender der AOK Nordost dem Tagesspiegel. „Ich bezweifele, dass das für sie eine echte Entlastung bringen wird – insbesondere beim Thema der ständig wachsenden Eigenanteile bei den Heimkosten.“ Das verhindere allein schon die zeitliche Staffelung der Zuschüsse zu den Eigenanteilen.

Fritzen fordert unter anderem, dass Pflegebedürftigen künftig ein Pflegebudget zubilligt werde, „in dem sie die für ihren individuellen Bedarf am besten passenden Leistungen in Anspruch nehmen und frei miteinander kombinieren können.“

[Das ganze Interview mit Fritzen lesen sie bei T+ hier: So wenig bringt die Pflegereform – „Die Regelungen lösen keine einzige der drängendsten Fragen“]

Der Deutsche Gewerkschaftsbund schloss sich der Kritik an. Vorstandsmitglied Anja Piel sagte der dpa, Spahn habe statt der versprochenen großen Pflegereform nur ein Reförmchen geliefert. „Zwei Dinge muss die kommende Koalition umgehend anpacken: Die Pflegeversicherung muss so ausgestaltet sein, dass sie tatsächlich alle Pflegeleistungen abdeckt. Dafür aber müssen alle Bürgerinnen und Bürger in eine gemeinsame Kasse einzahlen. Und die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen besser werden. Das geht nur mit spürbar mehr Personal und einer bundesweit guten Bezahlung.“

Grüne: Mehr Geld für Pflege in die Hand nehmen

Auch der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen forderte, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Die Situation in der Alten- und Krankenpflege sei dramatisch – „nach anderthalb Jahren Pandemie noch viel schlimmer, als sie davor schon war“, sagte Dahmen am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“. „Am Ende des Tages (...) betrifft Pflege jede und jeden in diesem Land irgendwann in seinem Leben“. Es sei richtig, „Geld in die Hand zu nehmen (...) und diesen wichtigen Bereich zu stärken“.

Gesundheitspolitiker der Grünen: Janosch Dahmen.
Gesundheitspolitiker der Grünen: Janosch Dahmen.
© Stefan Kaminski/Promo

Trotz aller Nachbesserungen der letzten Jahre habe sich die Arbeitsbelastung der Pflegenden und die Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten „massiv verschlechtert“. „Beispielsweise auf unseren Intensivstationen: Nach der Pandemie ist es ganz aktuell so, dass 20 Prozent der High-Care-Betten, also der hochspezialisierten Betten, und 35 Prozent der Regelbetten im Moment nicht belegt werden können, weil einfach schlichtweg das Personal fehlt.“

Verdienste in der Pflege sind unterschiedlich

Dahmen sieht die Arbeitsbedingungen als zentralen Hebel. „Wenn man sich anschaut, warum Menschen heute in der Altenpflege aber auch Krankenpflege nicht mehr arbeiten möchten, dann hat das weniger allein nur mit einer fairen Bezahlung zu tun, sondern es hat vor allem mit den massiv verschlechterten Arbeitsbedingungen zu tun“, sagte er. Der Grüne forderte eine „Mindestpersonalbemessung auf den Stationen, die der Tätigkeit angemessen ist“.

Die Verdienstmöglichkeiten in der Branche sind unterschiedlich. So bekamen laut Statistischem Bundesamt Krankenpflegerinnen und -pfleger im vergangenen Jahr im Durchschnitt 3578 Euro brutto im Monat. Bei Fachkräften in Pflegeheimen waren es durchschnittlich 3363 Euro, in Altenheimen 3291 Euro. Die Unterschiede seien unter anderem darauf zurückzuführen, dass in der Krankenpflege vielfach Tariflöhne gezahlt würden, hieß es.

Beim Pflegetag wird auf verschiedenen Veranstaltungen darüber diskutiert, wie der Pflegeberuf attraktiver gemacht werden kann, wie Arbeitsbedingungen verbessert und ausländische Fachkräfte gewonnen werden können und wie sich die Digitalisierung auf den Beruf auswirkt. Zu dem zweitägigen Treffen werden mehrere tausend Teilnehmer erwartet. Es ist die zentrale Branchenveranstaltung rund um das Thema Pflege. (epd, dpa)

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