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Pflegefall Pflege. Weil es an Personal fehlt, sollen Berufsaussteiger mit Prämien wieder zurückgelockt werden.
© Angelika Warmuth/dpa

5000 Euro für Berufsrückkehrer: Pflegebeauftragter will Fachkräfte mit Prämien locken

Der neue Pflegebeauftragte Andreas Westerfellhaus will frustrierte Berufsaussteiger mit Prämien wieder zurück in Heime und Krankenhäuser locken. Die Linke hält das für unseriös.

Mit steuerfreien Geldprämien will der neue Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, mehr Pflegekräfte in Heime und Krankenhäuser locken. Für Berufsrückkehrer soll es demnach einmalig bis zu 5000 Euro geben, für Pflegekräfte, die sich direkt nach der Ausbildung fest anstellen lassen, 3000 Euro. Die Aufstockung von Arbeitszeit soll ebenfalls honoriert werden.

80 Prozent Arbeit bei vollem Lohnausgleich

Auch die Betreiber von Pflegeeinrichtungen und Kliniken sollen für jede zusätzlich eingestellte Fachkraft 3000 Euro erhalten. Und bereits Berufstätige sollen ihre Arbeitszeit von 100 auf 80 Prozent reduzieren dürfen – bis zu drei Jahre lang und bei vollem Lohnausgleich. Die Pflegekräfte müssten „spüren, dass wirklich etwas geschieht“, sagte Westerfellhaus der „Rheinischen Post“.

Finanziert werden soll der Vorstoß nach den Vorstellungen des Beauftragten komplett aus Steuern. Ihm zufolge wäre im ersten Jahr mit rund 570 Millionen Euro, in den Folgejahren mit rund 345 Millionen Euro zu rechnen. Westerfellhaus schlug vor, die Prämien auf zwei bis drei Jahre zu begrenzen oder mit einem finanziellen Deckel zu versehen. Parallel müssten sich die Arbeitsbedingungen so verbessern, „dass Prämienzahlungen danach nicht mehr notwendig sind“.

Beifall von SPD, CSU und Grünen

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, der Vorschlag fließe ein in die vereinbarte „Konzertierte Aktion Pflege“, die bald mit den Berufsverbänden starte. Die Frage der Rückkehr in den Beruf und die Aufstockung von Arbeitszeit spiele dabei eine wichtige Rolle.

Vom Regierungspartner kam Beifall. SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach, kündigte an, den Vorschlag „wohlwollend prüfen“ zu wollen. Der Gesundheitsexperte verwies darauf, dass es solche Prämien bereits in anderen Ländern gebe und man damit dort gute Erfahrung gemacht habe.

Auch die CSU begrüßte den Vorstoß. „Durch den Fachkräftemangel in der Pflege werde die Personalgewinnung immer wichtiger", sagte der Sozialexperte der CSU-Landesgruppe, Stephan Stracke, dem Tagesspiegel. Und man habe in der Koalition verabredet, für bessere Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen.

Die Grünen lobten die Prämien-Idee ebenfalls, mahnten aber, darüber eine bessere Bezahlung der bereits berufstätigen Pflegekräfte nicht zu vergessen. „Die Erhöhung der Gehälter muss daher sofort auf die Tagesordnung", sagte Fraktionsexpertin Kordula Schulz-Asche. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe sprach von einem „ersten wichtigen Schritt“, dem weitere folgen müssten.

Linken-Chef Riexinger: Zynisch und am Problem vorbei

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, dagegen nannte die Prämienidee „unseriös“. Die Abwanderung von Fachkräften lasse sich dadurch nicht aufhalten, sagte er dem Tagesspiegel. Angesichts von gut 140.000 fehlenden Fachkräften – 100 000 in der Kranken- und mindestens 40.000 in der Altenpflege – stehe das System vor dem Zusammenbruch. „Mit einem bescheidenen Kopfgeld ehemalige Pflegekräfte zurückholen zu wollen, geht völlig am Problem vorbei.“

Zudem sei es zynisch, Teilzeitbeschäftigte mit Einmalzahlungen wieder in Vollzeit locken zu wollen, sagte Riexinger. Schließlich seien in der Krankenpflege fast 50 Prozent teilzeitbeschäftigt. „Das tun sie in der Regel nicht, weil das Gehalt so üppig ist, sondern weil sie die Zeit zur Erholung und Regeneration für ihre anstrengende Arbeit benötigen.“

Die Arbeiterwohlfahrt übte ebenfalls Kritik. Der Fachkräftemangel in der Pflege lasse sich nicht mit einmaligen Geldgeschenken bekämpfen, sagte ihr Bundesvorsitzender Wolfgang Stadler. Zudem wären solche Prämien "ein demotivierendes Signal für diejenigen, die den Beruf seit Jahren zuverlässig ausüben".

Fast die Hälfte der Beschäftigten in Pflegeheimen ist über 50

Aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die dem Tagesspiegel vorliegt, geht hervor, dass in den Pflegeheimen mehr als 40 Prozent der Beschäftigten über 50 Jahre alt sind. Nach Regierungsangaben liegt ihr Anteil im ambulanten Sektor bei 38,5 und in der stationären Pflege bei 40,5 Prozent. Die Quote der über 60-Jährigen beträgt neun beziehungsweise 9,6 Prozent.

Das belege, dass keine jungen Kräfte mehr da seien, um einspringen zu können, sagte Fraktionsexpertin Pia Zimmermann. Altenpflegekräfte zwischen 20 und 30 Jahren machten gerade mal 15 Prozent aus. Wenn nichts geschehe, kämen in 15 Jahren also auf noch mehr Pflegebedürftige halb so viele Pflegekräfte wie bisher.

Pflegeversicherung rutscht in Defizit von drei Milliarden Euro

Unterdessen wurde bekannt, dass in Deutschland so viele Menschen wie noch nie Pflegeleistungen erhalten. Aus 2,95 Millionen Ende 2016 würden bis Ende dieses Jahres bereits rund 3,46 Millionen, teilte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit. Dies seien deutlich mehr, als man vor der jüngsten Pflegereform erwartet habe.

Für das laufende Jahr rechnen die Kassen deshalb mit Mehrausgaben von rund zwei Milliarden Euro. Damit werde sich das Defizit der Pflegeversicherung bis Ende 2018 auf rund drei Milliarden Euro erhöhen“, sagte Verbandsvorstand Gernot Kiefer.

Spahn hält Beitragserhöhung um mindestens 0,2 Punkte für notwendig

Allein das entspräche einer Beitragserhöhung um mindestens 0,2 Beitragssatzpunkte, sagte Gesundheitsminister Spahn am Donnerstag _ und kündigte für die nächsten Wochen einen "Kassensturz" an. Die Reformen, die Union und SPD geplant haben, sind in dem prognostizierten Minus nämlich noch gar nicht enthalten.

Gleichzeitig erneuerte Spahn seinen Vorschlag, das vereinbarte Sofortprogramm für 8000 neue Pflegestellen auf 13.000 zu erweitern. Demnach sollen Heime mit bis zu 40 Bewohnern jeweils eine halbe Stelle zusätzlich erhalten, Einrichtungen mit 41 bis 80 Einwohnern eine volle Stelle und größere 1,5 Stellen. Allerdings ist offen, woher die zusätzlichen Fachkräfte kommen sollen.

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