SPD-Kanzlerkandidat: Peer Steinbrücks Twitterstunde
Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, gab eine Stunde lang ein Interview per Twitter. Und das, obwohl ihm der Kurznachrichtendienst bisher völlig fremd war. Beobachtungen einer Fragestunde - unter anderem zur Überlegung, wie teuer so ein Steinbrück-Tweet eigentlich ist.
Und nun twittert er doch. Wer Kanzler werden will, muss eben manche Abneigungen überwinden - und auch mal Neues wagen. "Ich twittere nicht. Facebook machen meine Mitarbeiter", hatte Peer Steinbrück noch im Oktober gesagt. Ein twitternder Steinbrück wäre "nicht authentisch", sagte er damals. Denn auch privat nutzt der 65-Jährige den Kurznachrichtendienst nicht, wie eine Sprecherin bestätigte. Am Mittwoch allerdings legte Steinbrück los und gab, wenige Tage nach seiner Anmeldung beim Kurznachrichtendienst, gleich ein ganzes Twitter-Interview. Eine Stunde lange beantwortete er unter @peersteinbrueck Fragen. Unter anderem die nach seinem neuen Account. Er twittere, weil "mich viele Fragen erreichen", schrieb er. Aber man solle nun nicht erwarten, dass er ständig im Netz ist und Informationen á la "sitze im Einstein mit Einstein..." veröffentlicht.
Ein bisschen mogelte der SPD-Kandidat im Kurznachrichten-Gespräch dann aber doch: Er tippte nämlich nicht selbst, sondern das übernahm ein Mitarbeiter, der "einfach schneller" sei. Wohlmöglich musste der dann die Tastatur benutzen, die auf dem von Steinbrück versendeten Bild zu sehen ist - und über deren Schmutzigkeit sich so mancher Twitterer lustig machte. Besonders viele Frager interessierten sich für die tatsächlichen Unterschiede zur Politik der aktuellen Regierung unter der Führung von Angela Merkel (CDU) und für Steinbrücks Programm.
Was wäre zum Beispiel seine erste Amtshandlung als Kanzler? "Ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn und die Abschaffung des absurden Betreuungsgeldes", ließ Steinbrück wissen. Außerdem legte er wie schon bei seiner Rede auf dem Sonderparteitag der SPD am Sonntag in Hannover ganz besonders viel Wert auf soziale Gerechtigkeit: Eine Einschränkung von Leiharbeit und Minijobs, gleiche Bezahlung für Frauen und Männer, Steuererhöhungen in den oberen Etagen - all das stünde an.
Neben der grundsätzlichen Agenda forderten die Twitterer von Steinbrück auch die Meinungen zu aktuellen Themen wie der Abstimmung über die Entsendung der "Patriot"-Raketensysteme an die syrische Grenze oder Steuerbetrug ein. Zudem lehnte er den Vorstoß der schwarz-gelben Koalition für eine Abmilderung der kalten Progression bei der Einkommensteuer ab: "Eine Abschaffung bringt niedrigen Einkommen zwei Euro Entlastung im Monat“. Die oberen 20 Prozent bekämen nach seinen Worten die Hälfte der sechs Milliarden Euro Entlastung. Der Vorschlag der Koalition steht am Abend auf der Tagesordnung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat. Die SPD hat bereits angekündigt, dass sie das Vorhaben nicht mittragen wird. Das Paket steht damit vor dem Scheitern.
Am Mittwochmorgen fehlten die Fragen zu möglichen Koalitionspartnern natürlich nicht. Erneut sprach sich der Kandidat klar für Rot-Grün und gegen "Stratego-Spielchen" aus. In diesem Zusammenhang merkte er offensichtlich recht schnell, dass sich so ein Twitter-Account auch für seichte Attacken Richtung Bundesregierung eignet. Die Jahrhundertaufgabe Energiewende vergeige diese gerade, twitterte er. Und sowieso: "Frau Merkel geht es um bloßen Machterhalt, der SPD und mir geht es um gesellschaftlichen Zusammenhalt, mehr WIR als ICH."
Apropos wir: @theflipper wollte von Steinbrück noch wissen, ob man ihn künftig - wie es beim Twittern üblich ist - nun immer mit dem Vornamen anreden könne. "Treten sie der SPD bei, dann können auch sie mich duzen. Ich bin weder anbiedernd noch distanziert", lautete die Antwort. Dabei hatte Steinbrück zu Beginn selbst dutzend die Debatte eröffnet: "Freue mich auf Eure Fragen", hatte er geschrieben. Viele von denen waren nicht völlig ernstzunehmen - hatten aber dennoch einen politischen Kern: Ob Twitter noch für einen zweiten Tweet Steinbrücks spare, wollte zu Beginn der Diskussion jemand wissen.
Christopher Lauer, Fraktionschef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, fragte: "Lieber Peer Steinbrück, wie teuer ist ein Tweet von dir, wenn eine Rede 25.000 Euro kostet?" Er sei Schweizer, schrieb ein anderer Nutzer, und fürchte sich vor einem Einmarsch Deutschlands unter einem Kanzler Steinbrück. Eine weitere der gestellten Fragen: "Liebe Angela Steinbrück, wo sehen Sie Ihre inhaltlichen Unterschiede zu Kanzlerin Peer Merkel?"
Eine Stunde lang dauerte das Gespräch, um kurz nach 11 Uhr verabschiedete sich Peer Steinbrück mit den Worten: "So, das war´s. Danke an alle, besonders an die 500 Follower, die in dieser Stunde dazugekommen sind. Viele Grüße PS."
In der Tat hatte er nach der Twitterstunde ganze 6540 Follower. Ziemlich viel für jemanden, der bis vor kurzem nichts mit Twitter anfangen konnte.