Wahl zum Unterhaus: Parlamentswahl in Afghanistan droht ein Desaster zu werden
Anschlagsdrohungen, geschlossene Wahllokale und massiver Wahlbetrug: Die Glaubwürdigkeit der Abstimmung am Samstag steht schon jetzt in Frage.
Anschlagsdrohungen, geschlossene Wahllokale und Manipulationen: Die Parlamentswahl in Afghanistan am Samstag droht ein Desaster zu werden. Nicht nur fehlt es in vielen Wahllokalen auch zwei Tage vor dem Urnengang an der nötigen technischen Ausrüstung. Auch eine geringe Wahlbeteiligung und ein erwarteter massiver Wahlbetrug stellen die Glaubwürdigkeit der Abstimmung schon jetzt in Frage.
Nach einem von Gewalt überschatteten Wahlkampf dürften viele der 8,9 Millionen registrierten Wähler aus Angst vor Anschlägen am Samstag zu Hause bleiben. Aus Sicherheitsgründen wurden schon im Vorfeld mehr als 2000 Wahllokale geschlossen. "Wir versuchen eine schreckliche Situation etwas weniger schlimm zu machen", umschreibt ein westlicher Diplomat die finanzielle und beratende Unterstützung der Wahl durch die internationale Gemeinschaft.
Dritte Parlamentswahl seit dem Sturz der Taliban 2001
Es ist erst die dritte Parlamentswahl in Afghanistan seit dem Sturz der radikalislamischen Taliban Ende 2001. Doch trotz der mangelnden Erfahrungen mit der Organisation demokratischer Wahlen beschlossen die Verantwortlichen erst vor wenigen Wochen, dass alle Wahllokale mit Geräten zur biometrischen Wähler-Erkennung ausgestattet werden sollen. Die Wahlkommission will nur die Stimmen werten, die maschinell abgegeben werden.
Fraglich ist jedoch, wie viele der mehr als 5000 Wahllokale bis zum Beginn der Abstimmung am Samstag um 7.00 Uhr (Ortszeit) eine Wahlmaschine erhalten haben werden - und ob die schlecht geschulten Wahlhelfer die Technik bedienen können.
Sorge bereitet Beobachtern auch, dass vor der für den 10. November geplanten Bekanntgabe des Wahlergebnisses Daten manipuliert werden könnten. "Technologie zu verwenden, kann zur Transparenz beitragen, aber sie kann auch Verwirrung stiften, wenn sie nicht korrekt benutzt wird", sagt Naim Ajubsada von der afghanischen Stiftung für transparente Wahlen.
Mehr als 2500 Kandidaten bewerben sich um 249 Sitze
Mehr als 2500 Kandidaten bewerben sich um die 249 Sitze im Unterhaus, unter ihnen Ärzte, Mullahs, Söhne früherer Kriegsfürsten und ein Gefangener. Ihre Versprechen: Kampf gegen Korruption und Verbesserung der Sicherheitslage.
Derweil war der Wahlkampf von Gewalt überschattet. Mindestens zehn Kandidaten wurden getötet. Am Mittwoch starb Abdul Dschabar Kahraman, als ein unter seinem Sofa deponierter Sprengsatz in Laschkar Gah, der Hauptstadt der Unruheprovinz Helmand, explodierte. Rund 54.000 Sicherheitskräfte sollen am Wahltag Gewalt unterbinden.
Wer trotz der Gefahren zur Wahl antritt, lässt sich womöglich von der satten Abgeordnetendiät locken: Mindestens 200.000 Afghani (mehr als 2200 Euro) im Monat erhält ein Parlamentsabgeordneter - ein Vermögen in Afghanistan. Die Taliban hatten die Kandidaten aufgefordert, sich aus dem Wahlkampf zurückzuziehen, und hatten Angriffe auf Wahllokale und Teilnehmer angekündigt. Sie forderten Schulen auf, ihre Räume nicht für Wahllokale zur Verfügung zu stellen.
Test für die Präsidentenwahl im April 2019
Die Wahl gilt als Test für die im April geplante Präsidentschaftswahl. Außerdem wird sie als Meilenstein vor einem UN-Treffen in Genf im November gesehen, bei dem der Zustand der Demokratie in Afghanistan auf den Prüfstand kommt.
Trotz der Probleme hält die Wahlkommission am Termin fest. "In manchen Landesteilen schneit es schon", sagt der Sprecher der Kommission, Sajed Hafisullah Haschimi. "Wenn wir die Wahlen nur um eine Woche verschieben, werden sie gar nicht stattfinden."
Das Ergebnis dürfte wenig aussagekräftig sein: "Der Betrug ist vorprogrammiert", sagt ein westlicher Diplomat. Viele Wählerregistrierungen wurden offenbar anhand gefälschter Dokumente ausgestellt. So liegt die Zahl der registrierten Wähler in der Provinz Paktia bei 141 Prozent der vermuteten Wahlberechtigten, wie das Afghanistan Analysts Network (AAN) feststellte.
"Die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, wollten nicht wählen gehen, manche wollten sich nicht einmal registrieren lassen, und viele sagten, sie würden wählen, wenn das System funktionieren würde", sagt AAN-Experte Thomas Ruttig. "Es ist nicht so, dass die Afghanen die Demokratie satt haben. Sie haben diese Art von Pseudo-Demokratie satt." (AFP)