Merkel und die EU: Paris kann warten
Kanzlerin Merkel bleibt mit ihren europapolitischen Forderungen im Wahlkampf bewusst unpräzise - mit Blick auf eigene Wähler und künftige Koalitionspartner. Eine Analyse.
Nord gegen Süd, Ost gegen West: Zu den entscheidenden außenpolitischen Fragen in der kommenden Legislaturperiode nach der Bundestagswahl dürfte gehören, wie sich die in den vergangenen Jahren entstandenen Gräben in der EU wieder zuschütten lassen. Innerhalb der Euro-Zone gibt es eine Kluft zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden, und in der EU machen in der Flüchtlingspolitik mehrere osteuropäische Länder bei den Brüsseler Beschlüssen nicht mit.
Für die Euro-Zone mit ihren derzeit 19 Mitgliedern hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ehrgeizige Pläne. Ihm schweben ein europäischer Finanzminister und ein milliardenschweres eigenes Budget für die Euro-Zone vor, welches vor allem den ärmeren Ländern im Süden zugute kommen könnte. Anlässlich seines Deutschland-Besuchs machte Frankreichs Premierminister Edouard Philippe am Freitag vor mehreren hundert Zuhörern in Berlin deutlich, dass sich Paris schon zu Beginn der kommenden deutschen Legislaturperiode gemeinsame Beschlüsse auf europäischer Ebene zur Vertiefung der Euro-Zone wünscht. „Wir haben 12, 18 Monate, um die richtigen Entscheidungen zu treffen“, sagte er.
Weitere Details nannte Philippe nicht. Schließlich wollte der Regierungschef nicht dem Staatschef Macron vorgreifen, der nach einem Bericht der Zeitung „Libération“ seine Pläne für eine „Neugründung“ der EU zwei Tage nach der Bundestagswahl präzisieren will. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht Macrons Erneuerungs-Plänen grundsätzlich offen gegenüber. Nach einem Mittagessen mit Philippe im Kanzleramt bekräftige sie am Freitag, „dass wir sehr eng mit Frankreich – egal welche deutsche Regierung es gibt – zusammenarbeiten werden“. Allerdings gehe es ihr darum, dass Schlagworte wie das Euro-Zonen-Budget „auch mit Inhalt gefüllt sind“.
Anstelle der Diskussion über mögliche neue Finanztöpfe in Europa stellte die Kanzlerin bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz mit Philippe die Herausforderungen in den Vordergrund, welche die Europäische Union aus ihrer Sicht demnächst bewältigen muss: Digitalisierung, Industrialisierung, Handelsbeziehungen mit Drittstaaten, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.
Dass sich Merkel eine Woche vor der Bundestagswahl mit Blick auf Macrons Reform-Agenda so bedeckt hält, hat mehrere Gründe. Einerseits würde es bei Unionswählern schlecht ankommen, wenn sich die Kanzlerin für neue Milliardenzahlungen an die Euro-Partner aussprechen würde. Andererseits weiß Merkel, auf deren Wahlsieg die Umfragen hindeuten, noch nicht, mit wem sie künftig mutmaßlich regieren wird. In der SPD haben Macrons Pläne für eine finanzielle Unterstützung der Euro-Länder im Süden sowohl bei Außenminister Sigmar Gabriel als auch beim Spitzenkandidaten Martin Schulz lautstarke Unterstützung gefunden. Auch die Grünen plädieren für einen großzügigeren Berliner Kurs.
Anders sieht das FDP-Chef Christian Lindner. In der „Bild“-Zeitung erklärte er am Freitag: „Eine Geld-Pipeline aus Deutschland in andere Euro-Staaten ist mit der FDP nicht zu machen.“ Offen bleibt aber, ob Lindners Ansage im Fall einer Regierungsbeteiligung der FDP noch gelten würde – oder nur Wahlkampf-Getöse ist.