Wahlen in Indien: Paria an der Macht
Der Hindunationalist Narendra Modi hat die Wahlen in Indien spektakulär gewonnen – das Land steht vor einem Umbruch. Die alte Kongresspartei der Gandhis erlebt ein Desaster.
Einen solchen Triumph hatte niemand erwartet. Wohl nicht einmal der Sieger selbst. Als am Freitag die ersten Ergebnisse über die Bildschirme flackerten, verschlug es selbst westlichen Diplomaten die Sprache. Bei den Wahlen in Indien hat der Hindunationalist Narendra Modi einen Sieg errungen, der die kühnsten Prognosen in den Schatten stellte. Damit steht Indien nach zehn Jahren nicht nur vor einem Machtwechsel, sondern vor einem Wendepunkt. Modis rechte Hindupartei BJP fuhr mit mindestens 288 der 543 Sitze den höchsten Sieg einer Partei seit Jahrzehnten ein und kann alleine regieren. Die Kongresspartei erlitt ein nie dagewesenes Debakel und kommt wohl nur noch auf 44 Mandate.
"Ein neues Indien"
„Heute erwacht ein neues Indien“, schrieb die „Times of India“. Modi wird als Regierungschef Manmohan Singh ablösen, der zuletzt nur noch wie das Feigenblatt einer korrupten Regierung und der Statthalter der Gandhi-Dynastie wirkte, die in der Kongresspartei noch immer das Sagen hat. „Indien hat gewonnen“, twitterte Modi. In ganzen Land tanzten BJP-Anhänger auf den Straßen.
Mit Modi, der als Macher und knallharter Machtmensch gilt, betritt ein neues politisches Schwergewicht die Weltbühne. Dabei war er vor kurzem noch ein Paria, ein Geächteter. Seit unter seiner Regierung im Bundesstaat Gujarat im Frühjahr 2002 hunderte Muslime hingemetzelt wurden, verweigern ihm westliche Staaten, allen voran die USA, die Einreise. Während die USA sich noch wanden, erklärte der deutsche Botschafter in Delhi, Michael Steiner: „Als gewählter Premierminister Indiens braucht Modi kein Visum für Deutschland. Er ist willkommen.“ Am Abend gratulierte auch das Weiße Haus. Der voraussichtliche neue Premierminister Indiens werde „in den Vereinigten Staaten willkommen geheißen“, sagte der Sprecher von Präsident Barack Obama, Jay Carney.
Kometenhafter Aufstieg
Modis kometenhafter Aufstieg zum neuen starken Mann der mit 1,2 Milliarden Einwohnern zweitgrößten Nation der Welt weckt jedoch auch Unbehagen. Die Angst vor einem Hinduradikalismus und einem Rechtsruck geht um. Vor allem Muslime, Christen und andere religiöse Minderheiten fürchten um ihren Platz in dem multireligiösen Land. Bis heute wirken Modis Bekenntnisse zur religiösen Vielfalt halbherzig. Aber die Massen haben ihn nicht gewählt, weil sie sich eine Hindu-Diktatur wünschen. Modi soll die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Noch vor zehn Jahren wurde Indien in einem Atemzug mit China genannt, glänzte das Land mit fetten Zuwachsraten, die Menschen träumten vom Wohlstand. Doch die Kongress-Regierung verspielte die Chancen. Die Wirtschaft brach ein, die Mittelschicht stürzte wieder in Armut und Lähmung überzog das Land. Dafür bekam die Gandhi-Partei nun die Quittung.
Modi muss die Wirtschaft ankurbeln
Modi hat den Menschen wieder eine Vision geschenkt. Er verheißt ein neues, starkes Indien. Gebt mir 60 Monate Zeit, bat er, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Zugleich mühte er sich, Ängste der Minderheiten zu zerstreuen: Er werde der Regierungschef aller Inder sein, versprach er. Sein Sieg birgt Chancen und Risiken zugleich. Erstmals seit Jahrzehnten besitzt damit eine Partei wieder alleine die Regierungsmehrheit und braucht keine Partner. Damit kann Modi schmerzhafte Reformen durchsetzen. Doch er kann auch autoritärer regieren, als wenn er in eine Koalition eingebunden wäre. Einige Analysten sehen schon einen „indischen Putin“ erstarken, der seine Macht auf Jahrzehnte zementiert. In der Außenpolitik erwarten Beobachter keinen gravierenden Kurswechsel. Horrorszenarien eines nuklearen Konflikts mit Pakistan scheinen eher mediale Phantasien. Immerhin war es eine BJP-Regierung, die 2003 die Friedensgespräche mit Pakistan begann. Auch Modi hat bereits versichert, er wolle das Verhältnis zu Pakistan verbessern. Die Gefahr geht derzeit eher von Pakistan aus. Sollte es zu Terroranschlägen kommen, würde dies Modi in die Konfrontation zwingen, selbst wenn er diese nicht wollte.
Blass und ohne Vision
Während die BJP im Siegestaumel schwelgte, wirkte die Kongresspartei wie vom Donner gerührt. Sie hat Indien die meiste Zeit seit der Unabhängigkeit 1947 regiert und kämpft nun um ihr politisches Überleben. Rahul Gandhi, der Kronprinz der Dynastie, war am Mittwoch nicht einmal mehr zum Abschiedsdinner für den scheidenden Regierungschef Singh erschienen. Obwohl die Kongresspartei ihn verteidigte, nahm Rahul die Verantwortung für das Fiasko auf sich. Fast konnte er einem leid tun, so blass und visionslos wirkte er im Duell mit Modi. Der 43-Jährige hatte sich nie nach der Rolle des Kronprinzen gedrängt, sondern war fast hineingezwungen worden. Bis heute sind die Gandhis der Kitt, der die Kongresspartei zusammenhält. Viele fürchten, dass die Partei ohne sie zerfällt. Bereits am Freitag wurden Rufe laut, dass Priyanka, die jüngere Schwester von Rahul, nun das Ruder übernimmt. Modis Erstarken könnte das Ende der politischen Dominanz der Gandhis über Indien besiegeln. Über Jahrzehnte hatten sie wie ungekrönte Könige das Land regiert. Doch diese feudalen Zeiten scheinen vorbei.
Gegenbild zur korrupten Elite
Im Wahlkampf hatte sich Modi geschickt als Antithese zu den Gandhis, als Gegenbild zur korrupten Elite inszeniert, die das Land ausbeutet. Zugleich hatte er eine um Personenkult kreisende Wahlkampagne der Superlative hingelegt, wie sie Indien noch nicht gesehen hat. Er sprach auf 347 Wahlkampfauftritten, legte 300000 Kilometer zurück und war in Anzeigen, auf Plakaten und im Fernsehen geradezu omnipräsent. Das kam offenbar an. (mit dpa)