Ehe, Familie und Sexualmoral: Papst Franziskus' erste Synode
Anhand der Haltung zu Ehe, Familie und Sex entscheidet sich die künftige Gestalt der Kirche. Die am Sonntag beginnende Bischofssynode im Vatikan wird zeigen, wie handlungsfähig sie ist.
Zum Thema Ehe, Familie und Sexualmoral war in der katholischen Kirche alles gesagt. Mehr als drei Jahrzehnte lang hatten Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, später Benedikt XVI., die Lehre gegen die Stürme der Welt festgezurrt. Mann und Frau, in erster Ehe einander lebenslang verbunden und im Bett ausschließlich mit natürlicher Familienplanung beschäftigt, gelten im Verbund mit ihren Kindern als christliche Normalfamilie. Alles andere sind „irreguläre Situationen“, zu missbilligen, zu verdammen, weil sündhaft.
Dann kam Franziskus. „Das Wort ,irregulär‘ gefällt mir nicht“, sagte er und an anderer Stelle: „Wenn einer schwul ist und guten Glaubens Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte?“ Schlagartig war damit klar, dass die Bischofssynode zum Thema sich nicht in der Wiederholung hinlänglich bekannter Lehrsätze erschöpfen konnte. Mit einem Gottesdienst am Sonntag und am Montag mit dem Beginn dreiwöchiger Beratungen geht dieses Experiment nun in seine zweite Runde. Den Planungen nach sollte es die abschließende sein, aber inzwischen glaubt an einen „Abschluss“ keiner mehr. Etwa 280 Bischöfe und Kardinäle aus der ganzen Welt, dazu 120 Experten – Ehepaare nicht zuletzt – treten im Vatikan zusammen, und längst ist klar, dass sie nicht nur über Familie und Moral diskutieren werden, sondern dass als Thema dahinter auch die künftige Gestalt der katholischen Kirche steht: Was entscheidet Rom allein? Was geht – wie Franziskus es tendenziell befürwortet – dezentral an die Bischofsversammlungen der einzelnen Länder, der einzelnen Kontinente?
Am greifbarsten oder am handgreiflichsten wird der Streit bei zwei Themen
Dass die Kirche auch bei Ehe und Familie, ihrem Kernthema, auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren muss, ist allen klar, spätestens seit der ersten von zwei Fragebogen-Aktionen, mit denen Franziskus‘ neuer Vatikan direkt von den Gläubigen in aller Welt hören wollte, wie sie mit der kirchlichen Lehre zurechtkommen. Seither wird erbittert und teilweise ausgesprochen unfein über die Schlüsse gestritten, die daraus zu ziehen sind. Die Konservativen sagen, gerade in dieser Situation dürfe man die Lehre auf keinen Fall aufweichen; das wäre – so der afrikanische Kurienkardinal Robert Sarah – ein „unzulässiger Ausverkauf der Wahrheit an die heutige Gesellschaft“.
Das Schlüssel-Interview für die andere Seite hat der Wiener Kardinal Christoph Schönborn in der römischen Jesuiten- Zeitschrift „La Civiltà Cattolica“ gegeben. Selbst aus einer „Patchworkfamilie“ stammend, wie er sagt, fordert er einen neuen, einen „wohlwollenden, vertrauensvollen Blick auf die Menschen“. Es sei ja „so leicht, mit dem Finger auf Hedonismus und Individualismus in der Gesellschaft zu zeigen; schon mehr gehört dazu, aufmerksam die menschliche Wirklichkeit zu betrachten“. Die Kirche rede „zu abstrakt“ von der Ehe, „mit einer Sprache voller hohler Konzepte, fixiert aufs Böse, auf das, was fehlt“. Dabei könnte sie, sagt Schönborn in radikaler Umkehrung bisheriger Betrachtungsweise, „manches lernen von Personen, die in irregulären Situationen leben“. Es ist das Konzept einer „begleitenden“ Seelsorge, nicht einer vorschreibenden, das Franziskus im Sinn hat. Am greifbarsten oder – wenn man es nach dem Ton der aktuellen Diskussion so sagen will – am handgreiflichsten wird der Streit bei zwei Themen: bei der Zulassung von Menschen in zweiter Ehe zu den Sakramenten sowie bei der Beurteilung von Homosexuellen und deren Lebensgemeinschaften.
Beim ersten Thema, das von der Deutschen Bischofskonferenz geradezu als „Schlüsselstelle für die Glaubwürdigkeit der Kirche“ betrachtet wird, ist der deutsche Theologe und Kardinal Walter Kasper zum Prügelknaben der Rechten geworden. Man wirft ihm vor, das Kernstück der Familienlehre preiszugeben: die Unauflöslichkeit der Ehe. Denn Kasper hat vorgeschlagen, solche Katholiken, die nach einer gescheiterten Ehe eine zweite eingehen und sich dort bewähren, über einen „Weg der Buße und einen heilsamen Prozess der Klärung“ unter Umständen erneut zu Beichte und Kommunion zuzulassen. Dieses Konzept, das ein Scheitern als immer präsente menschliche Möglichkeit ernst nimmt, ohne den Gescheiterten zu verstoßen, ist bei den Reformern schon lange konsensfähig; die Konservativen sehen mit der „Normalisierung“ der zweiten Partnerschaft die erste, einzig mögliche Ehe der Beliebigkeit preisgegeben. Sie argumentieren mit dem Kirchenrecht: Wiederverheiratete gelten, da eine Ehe unauflöslich ist, als Bigamisten; sie verharren also automatisch im Stand schwerer Sünde.
Öffnung gegenüber Homosexuellen hat schweren Rückschlag erlitten
Die Öffnung gegenüber Homosexuellen wiederum hat bereits einen schweren Rückschlag erlitten – was mit dem Verfahren bei der ersten Synodenrunde vor einem Jahr zu tun hat und mit der Konfusion, die eine in freier Diskussion noch ungeübte Kirchenversammlung zwangsläufig durchgemacht hat. Da gab’s nach der ersten Debattenwoche eine Zusammenfassung der Beiträge, die der Synodenleitung im reformerischen Überschwang allzu pointiert geraten war. Da fand sich – unbestritten aus den Worten einiger Bischöfe gefischt – die Bemerkung, Homosexuelle hätten „Gaben und Qualitäten, die sie der christlichen Gemeinschaft anbieten können“; oder es fand sich ein Lob gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften: „Selbst dort könne es „wertvolle gegenseitige Stützung und Hilfe bis zur Selbstaufopferung“ geben. Das war zu starker Tobak, eine zu abrupte Wende in den Augen der Konservativen, die sich fragten, ob jetzt alles ins Wanken gerate. Das Resultat: Aus dem offiziellen Schlussdokument der ersten Synodenrunde ist jegliche öffnende und freundliche Bemerkung gegenüber Homosexuellen verschwunden.
Greifbar sind auch hier die enormen „Ungleichzeitigkeiten“ zwischen den Kontinenten: Während Europa nach vorne drängelt, widersetzen sich die Afrikaner jeglicher Öffnung.