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Staatlich anerkannt. Der neue Berliner Erzbischof Heiner Koch legt im Wappensaal des Berliner Rathauses den staatlichen Treueeid ab.
© KNA

Heiner Koch im Interview: Neuer Berliner Erzbischof über Flüchtlinge, Sex und Homosexuelle

Erzbischof Heiner Koch will in Pfarreien mehr Unterkünfte für Flüchtlinge schaffen – und die Ehe hält er nicht für das höchste Gut christlichen Lebens

Papst Franziskus fordert, jede Pfarrei in Europa soll mindestens eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen. Das wären im Erzbistum gut 100 Familien. Geht noch mehr?
In vielen Pfarreien wird bereits viel unternommen zur Unterstützung der Flüchtlinge. Das Erzbistum Berlin hat außerdem einen Flüchtlingsfonds aufgelegt mit einer viertel Million Euro in diesem und im nächsten Jahr. Der steht dann auch zur Verfügung, um Wohnraum so vorzubereiten, dass er den Anforderungen als Flüchtlingsunterkunft genügt. Das ist gar nicht so einfach.

Gibt es überzählige Kirchen, die man für Flüchtlinge öffnen könnte?
Solche Kirchen sind mir nicht bekannt, und wenn, wäre der Aufwand immens. Wir müssten sanitäre Anlagen einbauen, dem Brandschutz genügen und ein Mindestmaß an Intimsphäre ermöglichen. Wir müssen aber dringend über weitere Möglichkeiten der Unterbringung nachdenken.

Ist das große Engagement der vielen Ehrenamtlichen über lange Zeit durchzuhalten?
Die Caritas berichtet mir, dass sich ihre Mitarbeiter - ehrenamtliche und hauptamtliche gleichermaßen - schon jetzt in einem andauernden Ausnahmezustand befinden. Ich sehe das mit großer Sorge und bin froh, dass die Caritas eine Beratungsstelle eingerichtet hat, die nicht nur Flüchtlinge berät, sondern auch Ehrenamtliche selbst.

Wenn alle Ehrenamtlichen den Flüchtlingen helfen, geraten dann andere Bedürftige ins Abseits?

Eine solche Überlegung möchte ich gar nicht anstellen. Unsere Caritas hat das Motto „Not sehen und handeln“. Auch wenn viele sehr gefordert sind durch die aktuelle Not, werden sie nicht blind für andere Notlagen.

Die Ehe ist nicht das höchste Gut christlichen Lebens

Wie werden die Flüchtlinge Deutschland verändern?
Es kommt darauf an, dass wir keine Ghettobildung zulassen, dass wir schnell die Menschen integrieren, von denen wir schon wissen, dass sie bleiben werden. Da kann die Politik viel tun, aber noch wichtiger sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Die eigentliche Leistung, die wir jetzt bringen müssen, ist das Menschliche. Gegen alle Ablehnung der Flüchtlinge hilft nur eine Welle der Herzlichkeit.

Viele Flüchtlinge sind religiös. Werden sie einen religiösen Schub im Land bewirken?
Auf jeden Fall. Sie werden uns verändern und auch unsere Frage nach Gott. Sie bringen aber auch neue Konflikte mit. In den Flüchtlingsheimen in Dresden haben wir Sunniten und Schiiten getrennt, nachdem es zu Reibereien gekommen ist.

Wäre es besser, die Behörden würden die Flüchtlinge getrennt nach Religion und Konfession unterbringen?
Eine solche Trennung kann nur eine Notlösung sein. Integration gilt nicht nur für unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Nationalitäten, sie muss auch für Religionen und Konfessionen gelten.

Auch Moscheegemeinden nehmen Flüchtlinge auf. Sollen sie mehr gefördert werden? Etwa indem sie mit den Kirchen rechtlich gleichgestellt werden?
Das wäre das prinzipielle Ziel. Muslime sind eine religiöse Gemeinschaft und müssen als solche anerkannt und gefördert werden. Voraussetzung ist, dass es verlässliche religiöse Autoritäten gibt, die für die Gemeinschaft sprechen können.

Für die Integration von Neuankömmlingen ist auch die Schulbildung wichtig. Sie haben neben Theologie und Philosophie auch Erziehungswissenschaften studiert. Was würden Sie Lehrern raten?
Sie sollen Kindern und Jugendlichen helfen, ihre Persönlichkeit zu entfalten. Dafür sind Fächer wie Kunst, Musik, auch Religion hilfreich. Willkommensklassen können dazu beitragen, denn sie bedeuten ganz konkrete Integration. Wir werden sie auch an katholischen Schulen einrichten. Der Fokus der Bildung liegt zu sehr auf der wirtschaftlichen Verwertbarkeit von Wissen.

Was ist falsch daran, möglichst viele Jugendliche in Arbeit zu bringen?
Ich beobachte, dass zu sehr das Abitur und das Studium zum Maß aller Dinge werden. Andere Ausbildungswege gelten als minderwertig. Das Ziel eines möglichst gerechten Bildungssystems muss aber sein, dass es für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Wege gibt.

Sie sind in der Bischofskonferenz für das Thema Familie zuständig. Viele katholische Positionen zu Familie, Ehe und Sexualität sind selbst Katholiken nicht mehr vermittelbar. Muss sich die Kirche anpassen?
Wir sehen Sexualität als integrierte Größe: Zwei Menschen lieben sich, ihre Liebe wächst emotional, körperlich und in unserem Verständnis auch geistlich-religiös. Die größte Freiheit ist erreicht, wenn zwei Menschen sich entscheiden, gemeinsam durchs Leben zu gehen, auch durch Krisen und Krankheit. Diese ganzheitliche Sicht halte ich für einen hohen Wert. Doch kaum jemand kennt diese Begründung, auch Christen nicht. Die Alternative wäre, Sexualität von Bindung zu trennen. Das finde ich nicht richtig.

Sie sprechen vom Ideal. Was ist, wenn es nicht funktioniert?
Das ist eine dramatische Frage. Wir müssen als Kirche sicherlich noch viel dazulernen, was den Umgang mit Brüchen, Unvollkommenheit und Schuld angeht.

Die Kirche muss viel dazulernen beim Umgang mit Brüchen

Warum schließt die Kirche Homosexuelle per se von ihrer ganzheitlichen Sicht aus?
Zu unserem Verständnis von gelungener Sexualität gehört die Weitergabe von Leben. Bei homosexuellen Menschen ist das ausgeschlossen. Damit ist die Sexualität aus unserer Sicht beschränkt. Das schränkt aber die Wertschätzung für diese Menschen in keiner Weise ein, so sehe ich das zumindest. So wie der Mensch ist, ist er erstmal gut. Als ich in Köln das Seelsorge-Amt geleitet habe, habe ich mich regelmäßig mit einer Gruppe schwuler Männer getroffen. Viele aus der Gruppe sind mittlerweile alt und stehen selbstverständlich zueinander, über Krankheiten, Schlaganfälle hinweg. Da ist nichts mehr mit erotischer Leichtigkeit. Aber das ist eh ein Klischee.

Die evangelische Landeskirche will die Segnung homosexueller Paare mit Trauungen gleichstellen. Was halten Sie davon?
Das ist nicht hilfreich. Es zementiert die Debatte.

In der katholischen Kirche bekommen Schwule und Lesben nicht mal einen Segen. Was spricht dagegen?
Wir haben Sorge, dass das mit Trauung verwechselt wird. Homosexuelle sagen: Unsre Beziehung ist anders als die von Paaren mit Kindern. Die Frage ist: Wie können wir differenzierte Wirklichkeiten ansprechen, ohne zu diskriminieren?

Solange die Kirche die Ehe so hoch hängt, fühlen sich die Ausgeschlossenen automatisch abgewertet.
Na ja, das Höchste ist die Ehe in der katholischen Kirche auch nicht.

Wie jetzt?
Jesus hat die Menschen aufgefordert, Ehe und Familie zurückzulassen und sich in die neue, größere Glaubensfamilie einzufügen. Auch wir zölibatär lebenden Priester fallen aus der Ehe raus. Ich würde das nicht in diese Wertigkeit reinbringen. Aber so lange sich jemand abgewertet fühlt, haben wir ein Problem.

Sie fahren im Oktober nach Rom zur Familiensynode. Was erwarten Sie?

Ich hoffe, dass alle dort bereit sind zu lernen, auch von den Erfahrungen anderer Länder und Kulturen. Es wäre schlimm, wenn es nur darum ging, die eigene Überzeugung machtvoll durchzusetzen.

Im Moment stehen sich Reformwillige und Bewahrer unnachgiebig gegenüber. 

Ich hoffe, dass der Heilige Geist da Bewegung hineinbringt! Es ist auch abzusehen, dass die Debatte mit dem Ende der Synode am 26. Oktober nicht abgeschlossen sein wird.

 

Halten Sie eine dritte Synode für möglich?

Es würde der Sache gut tun. Das Thema Ehe und Familie ist nicht in Begriffe und Definitionen zu fassen, weil es um Beziehungen geht, das ist etwas Dynamisches. Es wird immer Menschen geben, die von festen Ordnungen nicht erfasst werden.

Der Fokus in der Bildung ist zu sehr auf die Verwertbarkeit des Wissens ausgerichtet 

Was spricht dann dagegen, die bestehende Ordnung zu lockern? Etwa beim Umgang mit Menschen in zweiter Ehe? Die sind von den Sakramenten ausgeschlossen.

Am Eheverständnis will kaum jemand in der Kirche rütteln. Aber das ist ja vielleicht auch keine Frage der Ehe, sondern der Eucharistie. Auf den Punkt gebracht: Kann es menschliche Situationen geben, in denen jemand, der Schuld auf sich geladen hat, über alle Ordnung hinaus zur Eucharistie zugelassen wird? Würde Gott auf jeden Fall sagen: Der darf in der Eucharistie nicht zu mir kommen? Verkünden wir als Kirche etwas, was Gott so nicht sagen würde? Kommt Gott vielleicht gerade in dem, der gescheitert ist, auf uns zu?

Wird sich Franziskus bei der Synode durchsetzen? Manche meinen, davon hänge das ganze Pontifikat ab.

Diese Überhöhung ist das beste Mittel, um die Synode zum Scheitern zu bringen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kommentare von links wie rechts schon in den Schubladen liegen nach dem Motto: „Die haben die Wahrheit verkauft“ oder auf der anderen Seite: „Die haben die Menschen vergessen“. Das macht mir große Sorgen, denn wir werden auch am Tag danach miteinander umgehen müssen.

Ihr Vorgänger hat im sozialen Brennpunkt in Wedding gewohnt. Sie ziehen nach Lichterfelde. Warum?

Das hat sich so ergeben. Ich ziehe in ein Pfarrhaus, das gerade in Wohnungen umgewandelt wird. Ich habe da drei Zimmer, Küche, Bad. Da kann ich in der Gemeinde mitleben und bin irgendwo zuhause in dieser großen Stadt. Noch schöner wäre eine zentralere Lage, damit ab und zu mal jemand vorbei kommt und klingelt. Das wird da draußen wohl nicht passieren.

Wer weiß. Vielleicht wird das ein neuer Pilgerort?

Jetzt sagen Sie nicht, ich bin eine Reliquie!

Erzbischof mit Faible für den Osten

Heiner Koch, 61, ist ein aufgeschlossener Rheinländer mit Sinn für Humor. Er stammt aus Düsseldorf, studierte Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften und begann als Jugend- und Studentenpfarrer in Köln. Das Engagement für Jugendliche, für Frauen und Familien setzte er auch als Leiter des Seelsogeamtes im Kölner Erzbistum fort, als Generalvikar und als Kölner Weihbischof. 2005 verantwortete er den Weltjugendtag in Köln. In der Bischofskonferenz ist er für das Thema Familie zuständig und fährt im Oktober nach Rom, wo die Bischöfe aus der ganzen Welt über Familie und Ehe beraten.

2013 schickte ihn Papst Franziskus als Bischof nach Dresden-Meißen. Dort habe er Bescheidenheit gelernt, sagt er, was er für eine sehr wichtige Tugend hält, gerade auch für die Kirche. Am morgigen Sonnabend um 11 Uhr wird er in St. Hedwig in sein Amt als Berliner Erzbischof eingeführt. Er zieht in ein Pfarrhaus in Lichterfelde, wo er in der Gemeinde mitleben könne, was er gut findet. Eine zentralere Lage wäre ihm noch lieber, „damit ab und zu mal jemand vorbei kommt und klingelt“.

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