Diversität in Staat und Wirtschaft: Ostquote, Frauenquote? Migrantenquote!
Menschen nichtdeutscher Herkunft sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Das ignoriert Potenzial – und birgt gesellschaftlichen Sprengstoff. Ein Gastbeitrag.
- Ferda Ataman ist Autorin und Vorsitzende der „Neuen deutschen Medienmacher*innen" sowie Sprecherin der "Neuen Deutschen Organisationen", einem postmigrantischen Netzwerk von mehr als 120 Initiativen, die sich bundesweit für Vielfalt und gleichberechtigte Teilhabe einsetzen.
Dieses Jahr wurde viel über Quoten diskutiert. Über eine Frauenquote in Politik und Wirtschaft und sogar über eine Quote für Ostdeutsche. Das kommt daher, dass Frauen in wichtigen Positionen immer noch stark unterrepräsentiert sind, ebenso wie Ostdeutsche, die in den Spitzenpositionen des Landes nur mit zwei bis drei Prozent vertreten sind, während sie 17 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Interessanterweise gibt es aber keine bundesweite Debatte über eine Quote für Menschen mit Migrationshintergund. Dabei sind auch sie besonders stark unterrepräsentiert. Menschen, die nicht „typisch deutsch“ aussehen oder typisch deutsche Namen haben, fehlen nicht nur in den obersten Chefetagen, sondern auch in den Ebenen darunter. Zentrale Bereiche wie Parteien, Behörden, Medien, Wissenschaft oder Kultureinrichtungen sind noch sehr weiß.
Erst vor Kurzem hätte es eine Gelegenheit gegeben, über eine Minderheitenquote zu diskutieren: Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung hat eine Untersuchung zu Beschäftigten im Öffentlichen Dienst vorgestellt. Demnach gibt es Behörden, in denen rund ein Viertel der Mitarbeitenden einen Migrationshintergrund haben, aber auch Ministerien und Ämter, in denen fast nur weiße Deutsche arbeiten.
Die Studie gibt nicht preis, in welchen Behörden mehr People of Color arbeiten und in welchen Positionen man sie findet. Sind sie Referatsleiterinnen und Referenten oder arbeiten sie im Sekretariat oder in der Kantine? Eine Untersuchung von 2018, über Führungskräfte in öffentlichen Einrichtungen der Hauptstadt, zeigt allerdings: nur drei Prozent der Befragten in den Führungsetagen der Berliner Verwaltung sind People of Color oder Schwarze Menschen. 97 Prozent der Befragten sind weiß.
In der Politik gibt es ein ähnliches Bild: In den Parlamenten von Kommunen, Ländern und Bund gibt es gerade einmal vier bis acht Prozent Mandatsträger*innen mit Migrationshintergrund. Und nur sechs von 335 Oberbürgermeister*innen sind Nachkommen von Einwanderern. Mit anderen Worten: 98 bis 96 Prozent der Leute in der Politik sind weiß.
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Das ist nicht nur demokratisch fragwürdig, sondern auch politisch kurzsichtig. Menschen aus Einwandererfamilien sind keine vernachlässigbare Minderheit mehr. Bundesweit haben 26 Prozent der Menschen in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. Aber das ist nur der Durchschnitt, die meisten von ihnen leben in westdeutschen Städten und Berlin. Und hier ist ihr Anteil deutlich höher: in Stuttgart 46 Prozent, in Nürnberg 47 Prozent, in Frankfurt schon 54 Prozent. Berlin liegt bei 35 Prozent.
Aber interessant wird es, wenn man die Zahlen unter Kindern und Jugendlichen betrachtet: Fast die Hälfte aller Unter-18-Jährigen in Berlin haben einen Migrationshintergrund. In Hamburg, München, Stuttgart, Nürnberg, Hannover, Bremen, Wiesbaden sind es schon 50 bis 60 Prozent und in Frankfurt am Main mehr als 70 Prozent. Man kann das nun so sehen, dass sich die deutsche Gesellschaft (mal wieder) verändert – oder man sorgt sich darum, dass sie sich abschafft. Letzteres ist eine völkische Sicht.
Berlins Linkspartei arbeitet an einer Quote
Die Mehrheit der Stadtgesellschaft hat also bald eine internationale Familiengeschichte. Diese Diversität muss sich in Parlamenten, Amtsstuben, Medien und Theatern wiederfinden. Arbeitet man hier weiterhin überwiegend allein unter Weißen, birgt das gesellschaftlichen Sprengstoff: Demokratische Einrichtungen riskieren, an Akzeptanz und Anschluss in der Gesellschaft verlieren. Oder, positiver ausgedrückt: Es entgeht ihnen viel Potenzial.
Wohl auch deswegen planen die Berliner Linkspartei und ihre Integrationssenatorin Elke Breitenbach für die Reform des „Partizipations- und Integrationsgesetzes“ 2021 erstmals eine besondere Quote: „zur Einstellung und Förderung von von Rassismus Betroffenen und Menschen mit Migrationsgeschichte, die zu einer Repräsentanz entsprechend ihrem Berliner Bevölkerungsanteil auf allen Ebenen der Verwaltung führt“. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wird gerade diskutiert.
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Sollte die Reform kommen, wäre das eine dringend überfällige Korrektur. Denn das Integrationsgesetz hat ohne konkrete Zielvorgaben in zehn Jahren wenig erreicht. Guter Wille und ein paar Maßnähmchen ändern keine gewachsenen Verwaltungsstrukturen, da braucht es schon konkrete, messbare Zielmarken. Der bahnbrechende Quotenvorschlag der Linken könnte allerdings an der SPD scheitern.
Viele Parteien und Arbeitgeber finden Diversität gut, wollen aber nichts dafür tun und schon gar keine Quoten. Dabei spricht vieles dafür. Der eklatante Diversitäts-Gap wird oft mit Qualifikation erklärt: Was gut ist, setze sich durch, ganz unabhängig von Herkunft. Das stimmt aber nicht. Wer oder was sich durchsetzt, hat viel mit Einstellungsgewohnheiten zu tun, und hier haben Frauen, Nichtakademiker, Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund oft das Nachsehen. In den allermeisten Fällen entscheiden neben der Qualifikation auch Kriterien wie der sogenannte „similar to me“-Effekt – Menschen mögen Menschen, die Ähnlichkeit mit ihnen selbst haben. Und es braucht den richtigen Habitus, mit dem Neulinge ausstrahlen: Hier gehöre ich her. Und auch Bauchgefühle können eine Rolle spielen. Sie drücken sich in Floskeln wie „...passt gut ins Team“ aus. Wer hier vom Üblichen abweicht, hat schlechte Karten. Ganz einfach. Gar nicht böse gemeint. Deshalb wird sich ohne Quoten nichts ändern.
Ferda Ataman