Rechtsextremismus im Osten: Örtlich empfänglich
Ein Problem mit Vergangenheit: Warum in Teilen Ostdeutschlands rechtsextremes Gedankengut vergleichsweise stark verbreitet ist.
Erst im Mai hat der Anti-Rassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen die Verantwortlichen in Deutschland gemahnt, mehr zu tun gegen Hassparolen und Fremdenfeindlichkeit. Die aber scheinen derzeit lieber Schuldzuweisungen zu betreiben, wenn es um das Ausmaß von Rassismus und Rechtsextremismus geht. Ist der Osten hier schlimmer als der Westen? Mehrere ostdeutsche Ministerpräsidenten verwahrten sich gerade erst gegen diese Lesart, die ostdeutschen Linken-Politiker Gregor Gysi und Katja Kipping warnen vor pauschalen Urteilen. Dagegen sieht der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) eine „größere Bereitschaft zu einer fremdenfeindlichen Radikalisierung“ in den ostdeutschen Ländern. Die Kanzlerin wollte sich am Montag zwar nicht auf eine Ost-West-Debatte einlassen. Aber sie sieht auch, dass es in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern „durchaus Orte gibt, in denen rechtes Gedankengut salonfähig geworden ist“.
Übergriffe vermehrt im Osten
Was aber meinen Wissenschaftler? Und was sagen die Zahlen? Auffallend ist, dass in diesem Jahr von 359 Übergriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte, welche Pro Asyl und die Amadeo-AntonioStiftung zählten, sich 215 im Osten ereigneten. Der Politikwissenschaftler Hajo Funke ist sicher, dass das Pegida-Phänomen dabei eine Rolle spielt. Es habe der rechtsextremen Szene ermöglicht, sich nach Rückschlägen (die NPD flog 2014 aus dem sächsischen Landtag) wieder zu „reaktivieren“. Die Pegida-Märsche hätten ein Klima geschaffen, das fremdenfeindliche Haltungen und Taten ermutigt.
Und dann sind da die Ergebnisse der NPD bei der Bundestagswahl 2013. Auch wenn das NPD-Wählen zwischen Ostsee und Erzgebirge ein Minderheitenphänomen ist, kommt die Partei doch auf größere Stimmanteile. Wobei sie in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern stärker ist als in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Hochburgen liegen besonders in Grenzregionen zu Polen und Tschechien. Dort ist die NPD häufig auch in Gemeinderäten vertreten, was für eine gewachsene Verankerung spricht. Das nutzen die laut Funke sehr gut organisierten Führungsleute der rechtsextremen Szene: Wo man ohnehin stark sei, lasse man auch eher zuschlagen. Hier bieten sich der Szene ein Sympathisantenumfeld und ein Mitläufertum, das für Aktionen wie die in Heidenau aktivierbar ist.
Deutschnational-rassistische Minderheit
Warum sich in Teilen des Ostens ein deutschnational-rassistisches Milieu ausgebildet hat, ist jedoch nicht mit ein oder zwei Gründen zu erklären. „Hier kommen mehrere Faktoren zusammen“, sagt Funke. Einen sieht er in Defiziten bei Politik, Polizei und vor allem Verfassungsschutz, der bisweilen mehr an Unterwanderung der Szene interessiert war als an deren Bekämpfung. Empfänglichkeit für rechtes Gedankengut zeigte sich schon in den Umbruchjahren nach 1989. Das Abtreten einer „entmachteten Elterngeneration“ (Funke) führte zu einem sozialen Vakuum, das Rechtsextremen als Chance erschien, ihren gesamtdeutschen Einfluss über Erfolge im Osten auszubauen.
Eine Rolle spielt auch die Atmosphäre in der niedergehenden DDR. Deren Führung gab sich internationalistisch, im Innern aber wurde in einem Klima der Abschottung laut Funke eine „kleinbürgerliche, fremdenfeindliche Mentalität“ gefördert, zu der eine von der SED-Propaganda betriebene antiwestliche Einstellung gehörte – kein Wunder, dass zum Bild des ostdeutschen Rechtsextremismus heute das Schwenken russischer Fahnen gehört.
Die DDR schottete sich jedoch auch zu den Nachbarn im sozialistischen Lager ab, gegenüber den Tschechen schon während des Prager Frühlings, zu Polen hin massiv in der Solidarnosc-Ära. Die Vertragsarbeiter aus Vietnam, Mosambik oder Kuba wurden kaum in die deutsche Bevölkerung integriert, die sowjetische Besatzungsarmee hielt sich ohnehin separat. Kontakte zu Fremden waren für viele DDR-Bürger tatsächlich etwas Fremdes, erst recht wohl in den ohnehin abgehängten und vernachlässigten Rand- und Grenzregionen, in denen nach 1990 auch die Abwanderung stark war. Der Politologe Jochen Staadt spricht von einem „deutschnationalen Eigendünkel im SED-Staat“. Dort, wo die Rechtsextremen ihr Süppchen kochen, scheint der noch immer virulent zu sein.