Zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai: Ordnet Putin die Generalmobilmachung an?
Westliche Geheimdienste und die Ukraine fürchten eine massive Ausweitung des Krieges. Russland könnte weitere Zehntausende Soldaten einsetzen.
Westliche Geheimdienste und die ukrainische Militärführung gehen davon aus, dass der russische Präsident Wladimir Putin am Tag des Sieges, dem 9. Mai, der Ukraine offiziell den Krieg erklären könnte. Das würde den Kreml in die Lage versetzen, die Kampfhandlungen weiter zu eskalieren, eine Massenmobilisierung anzuordnen, Reservisten einzuberufen und in kurzer Zeit Zehntausende weitere Soldaten in dem Nachbarland einzusetzen.
Die Regierung in Moskau könnte zunächst mehr als 60.000 von ihnen einberufen wollen, sagt ein hochrangiger US-Militärvertreter, der namentlich nicht genannt werden will. Es sei unklar, wo die Soldaten eingesetzt würden. In Russland gibt es nach Angaben des Londoner Institut for Strategic Studies (ISS) mehr als eine Million aktive Soldaten und zwei Millionen Reservisten.
Der Tag des Sieges wird in Russland traditionell am 9. Mai im Gedenken an den Triumph über den deutschen Faschismus 1945 mit einer Militärparade in Moskau begangen. Putin hatte die Intervention in die Ukraine im Februar auch mit dem Kampf gegen angeblich faschistische Umtriebe in dem Nachbarland begründet, dafür aber nie Beweise vorgelegt.
Die Kämpfe müssen in Russland bisher als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet werden. Auf die Verwendung des Begriffs „Krieg“ in den Medien oder in der Öffentlichkeit stehen bislang harte Strafen wegen „Schmähung der russischen Armee“.
Sturm auf das Stahlwerk in Mariupol beginnt
„Russland hat bereits verdeckt mit einer Mobilisierung begonnen und wird in nächster Zeit die Generalmobilmachung verkünden“, ist der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kirill Budanow, laut Medienberichten überzeugt. Am Dienstag erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau, die Offensive auf das belagerte Stahlwerk Azowstal in Mariupol habe begonnen. Mit Artillerie und Flugzeugen würden die Stellungen ukrainischer Truppen zerstört.
[Aktuelle Entwicklungen im Ukraine-Krieg können Sie hier in unserem Newsblog verfolgen.]
Auf die Frage, ob Russland bis zum 9. Mai den Donbass erobern könnte, antwortete Budanow: „Das ist ihr Ziel, aber das schaffen sie auf keinen Fall.“ Das US-Verteidigungsministerium vermeldete am Montag auf seiner Webseite, die russische Armee mache im Donbass nur noch „minimale Fortschritte“. Die Truppen würden schlecht geführt, hätten eine niedrige Moral, der Nachschub laufe „alles andere als ideal“.
Der US-Sender CNN geht davon aus, dass in Moskau noch andere Optionen für die Rede Putins zum Tag des Sieges diskutiert werden. So könnte der russische Präsident beispielsweise ankündigen, dass ein Referendum für die Annexion der ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk ausgerufen werde.
[Alle aktuellen Nachrichten zum russischen Angriff auf die Ukraine bekommen Sie mit der Tagesspiegel-App live auf ihr Handy. Hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]
Der US-Botschafter bei der OSZE, Michael Carpenter, erklärte, das Weiße Haus verfüge über Informationen, dass Russland die beiden Gebiete wie die Krim eingliedern wolle. Darüber hinaus sei auch in der okkupierten Region Cherson ein Referndum geplant. Die USA würden die Gültigkeit solcher Referenden nicht anerkennen.
Russland legt im Streit mit Israel nach
Russland verschärft indessen den Streit mit Israel. Am Dienstag warf die Regierung in Moskau den Verantwortlichen in Jerusalem vor, das „Neonazi-Regime in Kiew“ zu unterstützen. Angesprochen darauf, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei doch Jude, behauptete der russische Außenminister Sergej Lawrow, dies sei kein Argument. Hitler habe auch „jüdisches Blut“ gehabt.
[Ukraine-Hilfe in Berlin - immer wieder Thema in den bezirklichen Newslettern vom Tagesspiegel, kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de]
Israels Außenminister Jair Lapid sprach von einer „unverzeihlichen“, historisch haltlosen Äußerung und verlangte eine Entschuldigung. Stattdessen legte das russische Außenministerium nach: Lapids Kritik sei „antihistorisch“. Welche Folgen der Eklat für die russisch-israelischen Beziehungen haben könnte, ist unklar.
Jerusalem hält sich bisher mit Sanktionen gegen Moskau zurück. Der jüdische Staat ist im Kampf gegen den Iran auf das Wohlwollen des Kremls angewiesen. Auch leben im jüdischen Staat Hunderttausende, die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind.