Europaparlament: Orban wirft der EU Ehrverletzung Ungarns vor
Ein EU-Bericht sieht in Ungarn die Werte der Europäer bedroht. Ungarns Regierungschef Orban zeigt sich vor dem EU-Parlament unnachgiebig.
Für Manfred Weber wird der ungarische Regierungschef Viktor Orban zunehmend zur Belastung. Der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) steht vor der schwierigen Frage, wie er seine Leute auf das Votum an diesem Mittwoch im Europaparlament einschwören soll, bei dem es um den Zustand der Demokratie in Ungarn geht. Die Abgeordneten in Straßburg wollen darüber abstimmen, ob ein so genanntes Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn eingeleitet wird, das theoretisch zum Entzug der EU-Stimmrechte für das Mitgliedsland führen könnte. Ob die EVP-Fraktion dabei mitmacht, ist für den CSU-Mann Weber eine heikle Frage – denn auch Orbans Regierungspartei Fidesz gehört der Europäischen Volkspartei an.
Vor der Abstimmung machte Weber deutlich, dass er sich nicht vorbehaltlos hinter Orban stellen will. Die europäischen Werte müssten in allen Parteienfamilien verteidigt werden, sagte Weber am Dienstag in einer Debatte im EU-Parlament in Straßburg. Bewegung erwartet Weber von Orban unter anderem beim Umgang mit Nichtregierungsorganisationen, die Flüchtlingen helfen. Im vergangenen Juni hatte die Fidesz im ungarischen Parlament ein Gesetz durchgedrückt, das die Strafverfolgung von Flüchtlingshelfern ermöglicht. Für kritikwürdig hält Weber zudem, dass Orban weiterhin die Budapester Central European University (CEU), die mit Mitteln des US-Milliardärs George Soros gegründet wurde, mit der Schließung bedroht.
"Ich weiß, dass Sie sich ihre Meinung schon gebildet haben", sagte Orban im Europaparlament angesichts der anstehenden Abstimmung über den Bericht der niederländischen Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini, mit der das Artikel-7-Verfahren ausgelöst werden könnte. Der Bericht verletzte „die Ehre Ungarns und des ungarischen Volkes“, polterte Orban. Nach seinen Worten sei Ungarn „seit 1000 Jahren Mitglied der europäischen christlichen Familie“. In Wahrheit gehe es bei der Diskussion um den Entzug der EU-Stimmrechte darum, Ungarn für seine Haltung in der Migrationspolitik abzustrafen. Ungarn habe „Hunderttausende von illegalen Migranten gestoppt“ und werde auch weiterhin seine Grenzen verteidigen, erklärte Orban.
Zuvor hatte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, moniert, dass die Grundrechte insbesondere der Roma und die Unabhängigkeit des Justizsystems in Ungarn bedroht seien. Der Raum für die Zivilgesellschaft in Ungarn schrumpfe, kritisierte er.
Bericht: "Systemische Bedrohung" für die Werte der EU
In dem Bericht der Niederländerin Sargentini heißt es unter anderem, dass die Entwicklung in Ungarn eine „systemische Bedrohung“ für die Werte der EU darstelle. Die Einleitung eines Artikel-7-Verfahrens zum Entzug der Stimmrechte wird in dem Bericht unter anderem begründet mit dem überharten Vorgehen ungarischer Grenzschützer gegen Flüchtlinge sowie Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Damit die Artikel-7-Prozedur gestartet wird, wird eine Zweidrittel-Mehrheit der Abgeordneten benötigt. Über das weitere Vorgehen entscheiden im Fall einer Zustimmung anschließend die EU-Mitgliedstaaten.
Der Bericht der Niederländerin Sargentini sei schlüssig, sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, dem Tagesspiegel. „Ich halte es absolut nicht mehr für nachvollziehbar, dass die EVP ihre schützende Hand über Orban hält“, sagte sie weiter. Die Europäische Volkspartei müsse sich der Forderung anschließen, ein Verfahren zum Entzug der Stimmrechte einzuleiten.
Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Udo Bullmann (SPD). „Viktor Orban untergräbt seit Jahren Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Ungarn und tritt europäische Werte mit Füßen“, erklärte er. „Das Europaparlament muss ein klares Zeichen setzen und diesem antidemokratischen Treiben einen Riegel vorschieben – und die konservative EVP mit CDU und CSU muss hier endlich Farbe bekennen“, forderte er.
Die EVP-Fraktion will am Dienstagabend über ihr Abstimmungsverhalten beraten. In der Vergangenheit hatte der Umgang mit Orban innerhalb der Fraktion zu Differenzen geführt. Während sich Abgeordnete aus den nordischen Staaten und den Benelux-Ländern einen kritischeren Umgang mit der Fidesz oder sogar deren Rauswurf aus der EVP-Fraktion wünschten, stießen solche Forderungen bei deren Kollegen aus Kroatien, Spanien und Italien auf Widerstand.
Juncker hält Rede zur Lage der EU
Bevor das Europaparlament über Ungarn abstimmt, will EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwochvormittag zum letzten Mal vor der Europawahl seine jährliche Rede zur Lage der EU halten. Erwartet wird, dass sich Juncker dabei unter anderem mit dem europaweiten Vormarsch der Populisten und der EU-Flüchtlingspolitik befassen wird. Gleichzeitig will die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag veröffentlichen, dem zufolge die EU-Grenzschutzagentur Frontex personell gestärkt werden soll.